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“It’s the Mining World!”

Grubenretter besetzen eine Nische, deren Funktion überlebenswichtig ist. Und es geht nicht allein um die Sicherheit verschütteter Bergleute, sondern auch der Retter selbst, die in engen Räumen, bei großer Hitze, in Dunkelheit und kritischer Atmosphäre große physische und mentale Leistungen erbringen. Wie gefährlich die Aufgabe der Rettung untertage sein kann, zeigte das Ereignis in Lassing, Österreich, wo im Jahr 1998 zehn Männer der Rettungsmannschaft im Bergwerk blieben.
Die internationale Kooperation der Verantwortlichen für Grubenrettung fand am 8. und 9. September 2015 in Hannover ihre Fortsetzung und Weiterentwicklung. Im Schloss Herrenhausen trafen sich Experten für Grubenrettung und Notfallmanagement von allen Kontinenten, um sich über Erkenntnisse und neue Entwicklungen auszutauschen. Ausrichter waren die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), Heidelberg, sowie die Internationale Sektion für Prävention im Bergbau der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) mit der Unterstützung des Hauptsponsors Drägerwerk AG, Lübeck. Im Fokus standen Themen wie wirksames Notfallmanagement, Technik, Strategie und Organisation. Weitere Fachvorträge gingen auf wichtige flankierende Aspekte wie den Umgang mit Stress während eines Rettungswerks und posttraumatische Belastungsstörungen ein.

Autor: Peter Schrandt, Berufsgenossenschaft Rohstoffe
und chemische Industrie (BG RCI), Langenhagen

Grubenrettung lebt von Kooperation

Fünf Monate vor dem Ereignis in Lassing, Österreich, im Jahr 1998 starben sechs Retter im polnischen Kohlebergwerk Niwka-Modrejow durch Hitzebelastung. Dieses Ereignis führte im Jahr 2000 zu einer Konferenz im polnischen Bytom, unweit des Unglücksorts. Die polnische Bergbehörde verfolgte dort das Ziel, das Ereignis zu analysieren und eine Wiederholung solcher Tragödien zu vermeiden. Neben der Diskussion zu Forschungsergebnissen und Grubenrettungsstrategien erkannten die Experten, dass vermehrte internationale Kooperation erforderlich ist. Ein Jahr später begründete die Konferenz in Ustron-Jaszowiec, Polen, den Auftakt des International Mines Rescue Body (IMRB), der inzwischen mehr als 20 Bergbauländer zu seinen Mitgliedern zählt. Die Verantwortlichen für die Grubenrettung aus mehreren Ländern tauschen sich regelmäßig zur technischen Entwicklung der Ausrüstung, zu Forschungsergebnissen, Strategien und praktischen Erfahrungen aus. Flankiert werden die zweijährlichen Konferenzen von Grubenrettungswettbewerben in den Jahren dazwischen. Nach Südafrika, Australien, den USA, Tschechien, China und Kanada war nun Deutschland Gastgeber der IMRB-Konferenz. Am 8. und 9. September 2015 trafen sich mehr als 260 Experten für Grubenrettung und Notfallmanagement von allen fünf Kontinenten im hannoverschen Schloss Herrenhausen, um sich über neue Entwicklungen und Erkenntnisse aus Notfallereignissen auszutauschen (Bild 1). Neben zahlreichen Vorträgen im Auditorium fanden drei parallele Workshops zu den Themen “Mine Rescue Management System and Effective Operations”, “Emergency Preparedness” und “Future Trends” statt. Die Anbieter von interessanten technischen Lösungen präsentierten ihre Angebote in einer begleitenden Ausstellung – darunter eine Weltpremiere.

Fig. 1. More than 260 Experts from all continents made Hanover, Germany, the capital of mine rescue in September. // Bild 1. Mehr als 260 Experten aus allen Kontinenten machten Hannover im September zur Hauptstadt der Grubenrettung. Photo/Foto: Armin Plöger

Fig. 1. More than 260 Experts from all continents made Hanover, Germany, the capital of mine rescue in September. // Bild 1. Mehr als 260 Experten aus allen Kontinenten machten Hannover im September zur Hauptstadt der Grubenrettung. Photo/Foto: Armin Plöger

Fünf Kontinente, ein gemeinsames Ziel: Effiziente Rettung

Internationale Keynotes gaben Einblick in sicheren Bergbau und die Vorbereitung auf Notfälle. Peter Schrimpf, stellvertretender ISSA Mining-Vorstandsvorsitzender und Vorstand Belegschaft der RAG Aktiengesellschaft, Herne, erläuterte, wie sein Unternehmen die Unfälle drastisch durch das „TOM-Modell“ reduzierte (TOM = Technik, Organisation, Mensch). Schrimpf erinnerte an die Dimensionen der Vergangenheit, wie das Grubenunglück auf dem saarländischen Bergwerk Luisenthal im Jahr 1962 mit 299 Toten, und verdeutlichte den Wandel, den der deutsche Steinkohlenbergbau unter schwierigen geologischen Bedingungen durchlief – insbesondere auch im Arbeitsschutz. Heute sagen 97 % der Beschäftigten, dass die RAG „viel“ oder „sehr viel“ für die Sicherheit tue, zitierte Schrimpf das Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung. Die RAG ist mit einer 350 Mitglieder starken Grubenwehr inklusive Reservisten für ihre verbliebenen Bergwerke auf Notfälle vorbereitet.

Welche Lösungen für einen sicheren Bergbau Chile fand, Produzent eines Drittels der Weltkupferproduktion, zeigte Roberto Morrison, Vorstandsmitglied der Mutual de Seguridad. Zu den 70.000 Mitgliedsunternehmen mit insgesamt 1,9 Mio. Versicherten gehören viele kleine Gewinnungsbetriebe mit einer Personalstärke von vier bis sechs Beschäftigten, die es dezentral zu erreichen gilt. Für die Rettung stellen die großen Höhen wie auch die Nord-Südausdehnung des Landes von 4.300 km logistische Herausforderungen dar. Das Kriseninterventionsteam „ERIC“ steht bereit und deckt ein breites Spektrum bis zur Betreuung von Angehörigen ab. Arbeitsschutz im Bergbau bleibt auch in Chile eine wichtige Aufgabe, sagte Morrison. Seit der Rettung von 33 Bergleuten in San José im Jahr 2010 wurden 109 tödliche Unfälle im chilenischen Bergbau registriert.

Bergbaukatastrophen bestimmen häufig die öffentliche Wahrnehmung, sagte Hannes Struyweg, Director Health and Safety des International Council on Mining & Metals (ICMM). Wollen Eltern, dass ihre Kinder in dieser Industrie arbeiten? Der weltweite Verbund großer Bergbauunternehmen befasst sich auch mit dem Arbeitsschutz bis in die Facetten älter werdender Belegschaften – eine Herausforderung selbst in Entwicklungsländern. Mit der Methode des „Critical Control Management“ wolle der ICMM insbesondere aus Vorfällen in Hochrisikobereichen lernen und verspreche sich hier wirkungsvollere Erkenntnisse als bei der Betrachtung aller Unfälle mit resultierender Arbeitsunfähigkeit. Zwischen diesen und tödlichen Unfällen gäbe es keine ausreichend hohe Korrelation, sagte Struyweg.

Großes Interesse fand Stefan Dräger, dessen Unternehmen Drägerwerk AG, Lübeck, Hauptsponsor der IMRB 2015 war. Die Geschichte der Drägerwerk AG ist seit vielen Jahrzehnten eng mit der Grubenrettung verbunden, wie sein Abriss der Unternehmensgeschichte zeigte. In der internationalen Grubenrettung sei Dräger eine feste Größe, die sich im nordamerikanischen Raum auch in der Berufsbezeichnung „Dragerman“ wiederfinde.

Neu gegenüber den bisherigen Konferenzen war die Erweiterung um interdisziplinäre Themen. Dr. Markus Stuhr berichtete in seinem Vortrag „A Look beyond the Garden Gate: New Solutions for Rescue in Offshore Windenergy-Fields“ über ein Projekt, das die Erstversorgung und schnelle Rettung von Verletzten und Erkrankten aus Windparks in der Nord- und Ostsee verbessert. In diesem Wachstumssektor erwarte man 1.000 bis 2.000 permanent offshore tätige Beschäftigte, deren Erstversorgung und Rettung hohe logistische Anforderungen mit sich bringen. Dazu gehörten große Distanzen, enge Räume, die Rettung aus der Höhe bei Zugängen 100 m ü. NN, wie auch aus tiefen Zugängen bei unruhiger See. Die Antworten waren auch für die anwesenden Verantwortlichen für die Grubenrettung relevant. Zu den von Stuhr präsentierten Lösungen zählen eine verbesserte Ausrüstung, eine erweiterte Aus- und Weiterbildung der Ersthelfer sowie telemedizinische Unterstützung. Ebenso großes Interesse fand Rubi Hiebl, dessen Einblicke in die Rettungsaktion des verletzten Höhlenforschers Johann Westhauser in der Riesending-Höhle in Bayern im Jahr 2014 wichtige Erkenntnisse lieferten. Das multinationale Team umfasste mehrere hundert Helfer aus fünf Ländern, davon operierten mehr als 200 Retter in der Höhle in rd. 1.000 m Tiefe.

Zu den fast 40 Vorträgen gehörten auch die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit. So ergänzte Felix Lehnen von der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen Erkenntnisse aus dem europäischen Forschungsprojekt „I2 Mine“. Zu den Ergebnissen gehören auch innovative Notfallkonzepte.

 Workshops

Parallel stattfindende Workshops bündelten Fachvorträge zu den Themen “Mine Rescue Management System and Effective Operations”, “Emergency Preparedness” und “Future Trends” (Bild 2). Im Workshop zum Thema Management und effektive Operationen lernten die Teilnehmer intelligente Softwarelösungen kennen, in die Praktiker jahrzehntelange Erfahrung aus Rettungswerken einfließen ließen. Lehren aus Unglücken wie Lassing fanden sich in analytischen Zusammenfassungen wieder, welche die Komplexität von Rettungsoperationen durch unterschiedliche Akteure beleuchteten – und Empfehlungen abgaben, wie es gelingt, den Überblick zu behalten und lebenswichtige Zeit effektiv zu nutzen.

Fig. 2. In three workshops experts exchanged intensely. // Bild 2. In drei Workshops tauschten sich die Besucher intensiv zu Fachthemen aus. Photo/Foto: Armin Plöger

Fig. 2. In three workshops experts exchanged intensely. // Bild 2. In drei Workshops tauschten sich die Besucher intensiv zu Fachthemen aus. Photo/Foto: Armin Plöger

Wie sich kleine Bergwerke in Rettungskonzepte integrieren lassen und welche Lösungen komplexe Unternehmen gefunden haben, zeigten die Referenten im Workshop “Emergency Preparedness”. Unter der Überschrift „Zukunftstrends“ diskutierten die Teilnehmer innovative Technik zur Brandfrüherkennung unter Tage, die Ausgestaltung von Fluchträumen, die Kommunikation im Rettungseinsatz und den Umgang mit Gasausbrüchen untertage.

Auch in den Workshops wurde deutlich: Die Herausforderungen an Grubenretter sind an unterschiedlichen Orten der Welt oft ähnlich, z. T. sogar identisch. In Chile wie in Kanada etwa sind lange Strecken zu überwinden, um die Retter zum Einsatzort zu bringen. Lex Lovatt berichtete für die kanadische Worker’s Safety & Compensation Commission, was es dort bedeutet, wenn zwei benachbarte Bergwerke die Zusammenarbeit bei Rettungswerken vereinbaren, nämlich u. a. mehrere Flugstunden zum Einsatzort. Juristisch gestalte sich die Formulierung der Kooperationsbedingungen nicht immer einfach, berichteten Teilnehmer aus mehreren weit auseinanderliegenden Regionen wie Ozeanien, Mitteleuropa und Nordamerika in der folgenden Diskussion einstimmig. Aber was sei denn, wenn etwas passiere und die teils jahrelangen Verhandlungen um Memoranden noch nicht zum Abschluss gekommen sind? Die Teilnehmer wussten die Antwort, die in Kanada, Neuseeland und vielen anderen Orten gleich lautet: Natürlich hilft man sich dann trotzdem gegenseitig. Die einfache Begründung ergänzte Barrie Simoneau aus Kanada pointiert mit den Worten: „It’s the mining world!“.

Ausstellung

In einer begleitenden Ausstellung stellten die Anbieter persönliche Schutzausrüstung, Systeme zur schnellen Erkennung von Schäden und Intervention vor. Ein besonderes Highlight war das MRV 9000, ein Fahrzeug, das die Drägerwerk AG in Zusammenhang mit der kanadischen Goldcorp Inc. entwickelte, um Rettungskräfte über lange Strecken schnell und sicher zum Einsatzort zu bringen und Verletzte zu transportieren. Anlass für die Konzeption war u. a., dass die Reichweite der verwendeten BG4-Sauerstoffgeräte in den Strecken der Goldcorp-Bergwerke nicht bis zum Einsatzort reicht. Das Gemeinschaftsprojekt der Drägerwerk AG, dem Fahrzeughersteller Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH, Emsbüren, und Goldcorp wurde von Drägerchef Stefan Dräger und Markus Uchtenhagen von Goldcorp Inc. als Weltpremiere in Hannover präsentiert (Bild 3).

Fig. 3. The Dräger MRV 9000 celebrated its world premiere at the IMRB. // Bild 3. Das Rettungsfahrzeug MRV 9000 feierte seine Weltpremiere auf der IMRB. Photo/Foto: Armin Plöger

Fig. 3. The Dräger MRV 9000 celebrated its world premiere at the IMRB. // Bild 3. Das Rettungsfahrzeug MRV 9000 feierte seine Weltpremiere auf der IMRB. Photo/Foto: Armin Plöger

Enger zusammen und besser informiert:
IMRB 2015 endet erfolgreich

Die Teilnehmer äußerten sich unisono lobend über die Veranstaltung. Sie begrüßten die informativen Diskussionen und deren Praxisrelevanz, das Workshopkonzept mit seinen Zusammenfassungen für das Plenum und die gastfreundliche Atmosphäre. Deutschland habe eine exzellente Visitenkarte hinterlassen. Weit vorn stand bei allen Teilnehmern die Chance der Vernetzung, wie es ISSA Mining-Generalsekretär Helmut Ehnes in seinem Impulsreferat „Vision Zero and the Seven Golden Rules – the Global Prevention Strategy of ISSA for Rescue and Beyond“ bereits eingangs betonte.

Die Kooperation mit ISSA Mining und Partnern wie dem ICMM erweiterten den Fokus gegenüber den Vorgängern der Konferenz bis 2013. Neu war auch das Konzept drei paralleler Workshops zu Fachthemen, deren Ergebnisse im Plenum kumulierten.

Auch in der Bilanz von Ulrich Meesmann als Gastgeber und Mitglied der BG RCI-Geschäftsführung ging das Konzept auf. Die Verknüpfung effektiver Rettungswerke mit der Eigensicherung passe mit der internationalen Präventionsstrategie „Vision Zero“ zusammen. Meesmann appellierte an die internationalen Teilnehmer, die Zusammenarbeit weiter zu intensivieren und nicht allein auf die Konferenzen zu beschränken.

Nächste Konferenz in Russland, Wettbewerb in Kanada

Nach Deutschland wird Russland der nächste IMRB-Gastgeber sein. Im Jahr 2017 trifft sich die Speerspitze der Grubenretter in Moskau, St. Petersburg und im sibirischen Novokuznetsk zur 8. IMRB-Konferenz. Unter dem Motto „Extending knowledge, improving safety“ findet das Treffen vom 2. bis 13. September in Europa und Asien statt. Informationen werden auf www.imrb2017.ru veröffentlicht.

Schon vorher kommen die Grubenretter erneut zusammen: Die „International Mines Rescue Competition“ findet 2016 in Kanada statt. Nach anschaulichen Eindrücken aus dem Wettbewerb 2014, die Adam Nowak aus Polen in einem Filmbeitrag demonstrierte, erinnerte Alex Gryska als Gastgeber der kommenden Veranstaltung, dass es gerade bei der rückläufigen Zahl an Einsätzen um das Schärfen der Fähigkeiten geht. Für die anvisierten 30 teilnehmenden Teams aus 20 Ländern werden realistische Einsatzszenarien an unterschiedlichen Orten in Kanada angeboten. „It‘s not about winning, it‘s about learning“, verdeutlichte Gryska. Weitere Informationen finden sich unter www.imrc2016.ca.

Autor: Peter Schrandt, Berufsgenossenschaft Rohstoffe
und chemische Industrie (BG RCI), Langenhagen

 

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