Home » Sensordatenfusion für die Navigationssystematik zur Rohstoffgewinnung in der Tiefsee

Sensordatenfusion für die Navigationssystematik zur Rohstoffgewinnung in der Tiefsee

Kupfererze finden sich in den Massivsulfidlagerstätten in den Riftzonen der Ozeane. Für die Erforschung und den Abbau dieser hydrothermal gebildeten und sehr kleinteilig heterogen strukturierten Lagerstätten sind exakte Positionsdaten der zum Einsatz kommenden Abbaugeräte und auch der einzelnen Abbauwerkzeuge erforderlich. Eine Navigation muss in Meerestiefen von über 2.000 m ohne Stützung der etablierten Navigationssysteme auskommen und erfolgt mittels inertialer Messsysteme. Diese sind sowohl für die Anforderungen der Tiefseeumgebung als auch die extremen Schwingungsbeanspruchungen aus dem Abbauprozess auszulegen. Die Nutzung robuster elektronischer Sensoren erfordert eine Kompensation von Drift und Störeinflüssen mittels Kalman-Filterung.

Authors/Autoren: Alexander Mölle M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Martin Sobczyk, Institute of Mechanical Engineering, TU Bergakademie Freiberg, Freiberg/Germany, Dr.-Ing. Matthias Semel, BAUER Maschinen GmbH, Schrobenhausen

1  Wachsende Rohstoffbedarfe durch Elektrifizierung

Die fortschreitende Elektrifizierung vieler Lebensbereiche wie Wärmegewinnung und Transport erzeugt einen schnell steigenden Bedarf für die dafür notwendigen Rohstoffe. Neben kritischen Mineralien wie Lithium, Kobalt oder Graphit ist dies vor allem Kupfer, das als Schlüsselrohstoff in großen Mengen für Generatoren, Transformatoren, Motoren und Leitungen unerlässlich ist, und bei dem nach Hochrechnungen die Nachfrage bis 2030 bei etwa dem fünffachen der aktuell verfügbaren Bergbaukapazität liegen wird. Diese kann kurzfristig nicht durch die Erschließung neuer Bergwerke auf dem Festland gedeckt werden. (1)

Durch die hohe Langlebigkeit vieler elektrischer Anlagen kann hier kein Sekundärmarkt zeitnah erschlossen werden, sodass vor allem die Produktivitätssteigerung, z. B. durch Semi-Autonomisierung der Abbaugeräte, in bestehenden Bergwerken sowie die Erschließung bekannter Lagerstätten in der Tiefsee in den Fokus rücken.

2  Rohstoffe in der Tiefsee

Für den Bergbau interessante Mineralien in der Tiefsee können grob in drei Gruppen unterteilt werden, die nicht nur hinsichtlich Entstehung und Vorkommen, sondern auch hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Gewinnungstechnik unterschieden werden. Diese Gruppen sind Manganknollen, kobaltreiche Krusten und Massivsulfide.

In der Tiefsee gebildete Manganknollen werden bereits seit den 1960er Jahren hinsichtlich ihrer ökonomischen Verwendung untersucht. Auch die aktuelle Diskussion um Projekte zum Abbau in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) vor Hawaii sind verstärkt in der politischen Diskussion über die Auswirkungen und Folgen des Tiefseebergbaus zu finden. Manganknollen finden sich vorwiegend in den flachen Becken der Tiefsee. Aktuelle Projekte zu ihrer Nutzung setzen hier auf mobile, bodengebundene Gewinnungsanlagen.

Kobaltreiche Krusten bilden sich durch die Ablagerung von im Meerwasser gelösten Mineralien auf freiliegendem Gestein in Bereichen mit vulkanischer Aktivität.

Massivsulfide entstehen an den Rändern von Riftzonen als Ergebnis der Wechselwirkung von Plattentektonik und Wasserkreisläufen. Durch den hohen Druck der Wassersäule wird Tiefenwasser in entstehende Spalten im Basaltmantel in große Tiefe gedrückt und dort auf ca. 500 bis 600 °C erhitzt. Infolgedessen werden Mineralien und Schwefel im Wasser in hoher Konzentration gelöst und das Wasser steigt an anderer Stelle wieder auf. Bei Austritt und Kontakt mit dem ca. 2 °C kalten Tiefenwasser fallen schlagartig die gelösten Minerale aus, sodass optisch der Eindruck einer Rauchfahne entsteht (Schwarzer oder Weißer Raucher). Die Mineralien lagern sich an der Austrittsstelle ab und bilden einerseits die typischen schlotartigen Strukturen aus ausgefällten Metall-Schwefel- sowie Metall-Silicat-Verbindungen, andererseits ein Bett aus feinkörnigem ausgefälltem Material. Im Lauf seiner aktiven Phase bildet der Schwarze Raucher um die Austrittsstelle einen sogenannten Mound, der vor allem Kupfer-, Kupfer-Eisen oder Zink- und Bleisulfide enthält. Die hohen Drücke, Temperaturen und extrem niedrigen pH-Werte lassen den Abbau eines aktiven Rauchers nicht zu, bieten jedoch Lebensraum für spezifisch auf Wärme und Schwefel ausgerichtete Lebewesen. Nach dem Ende der Aktivität kompaktiert der Mound durch Rekristallisationsprozesse und wird für die Exploration zugänglich, da auch das Leben infolge des Entfalls von Wärme allmählich erlischt.

Hydrothermal gebildete Massivsulfide sind im Fall von Chalko­pyrit, Bornit oder Covellin eine wesentliche Grundlage für den Kupfererzbergbau. Typischerweise sind diese Lagerstätten vor mehreren hundert Millionen Jahren gebildet worden, mit Sedimentschichten von Mächtigkeiten von mehreren hundert bis über zweitausend Metern Mächtigkeit überlagert und durch geologische Prozesse kompaktiert und rekristalliert. Typische Kupfergehalte liegen bei < 1 %. Ihre Erschließung als Tagebau setzt die Auffahrung entsprechend großer Gruben und Abraumhalden voraus. Im Falle der Tiefsee-Massivsulfide (Seabed Massive Sulfides – SMS) finden sich diese Erze relativ jung gewachsen und ohne Sedimentüberlagerung; wenig kompaktiert und daher leicht zu lösen, und mit Kupfergehalten > 10 %, sodass deren Erschließung unter vielen Aspekten der Gewinnung und späteren Verarbeitung interessant ist. Nachteilig wirken hingegen die Fragen der Tiefsee als – an vielen Stellen noch wenig erforschtem – Lebensraum und der damit verbundene Schutz der Umwelt, die extrem hohen Drücke und die schwierige Zugänglichkeit der Lagerstätten. (2, 3, 4, 5)

3  Herausforderungen und technische Lösungen

Fig. 1. Conceptional design of a Trench Cutter (6). // Bild 1. Schematische Darstellung der Schlitzwandfräse (6).

Der Vertikale Ansatz (Vertical Approach) für den Tiefseebergbau versucht, als ein minimalinvasiver Eingriff, ähnlich wie in der Chirurgie, den Impakt an der Abbaustelle auf das absolut notwendige Minimum zu beschränken. Durch Abschirmungen der Einstichstelle sowie den verfahrensbedingt notwendigen Unterdruck im Abbausystem wird die Sedimentwolke minimiert. Die Förderung innerhalb eines geschlossenen Systems vermeidet ebenfalls das Entstehen von Partikelwolken. Durch die vertikale Abbaurichtung werden die Topologie der Lagerstätte recht genau getroffen und die Erzeugung von Abraum minimiert (Bild 1). (6)

Die Randbedingungen für die Auslegung von Ausrüstungen für die Gegebenheiten im deutschen Lizenzgebiet sind:

  • Druck: 250 bis 300 bar,
  • Temperatur: 2 °C, an der Oberfläche > 20 bis 30 °C,
  • kein natürliches Licht,
  • starke Hangneigungen bis 30°,
  • sehr unebene Böden,
  • stark wechselnde Zusammensetzungen des Untergrunds,
  • hohe Porositäten und starke Streuung geomechanischer Eigenschaften.

Durch Schwarze Raucher entstehende Massivsulfidablagerungen werden aufgrund ihrer Form häufig als Mound bezeichnet – Hügel von einigen hundert Metern Fußdurchmesser und einigen zehn bis dreißig Metern Höhe. Die Raucher bilden Schlote, die im Lauf der Zeit immer wieder kollabieren und so eine Art Schuttkegel bilden, der geologischen Transformationsprozessen unterliegt. Dadurch ist der Untergrund, im Gegensatz zu beispielsweise durch Sedimentationsprozesse geformten Schichten, sehr unbestimmt in seinem Aufbau und in seiner mineralogischen Zusammensetzung.

4  Navigationssystematik

4.1  Lagedarstellungen im Raum

Eulerwinkel definieren drei Drehungen im euklidischen Raum. Dazu zählen die Rollbewegung ϕ (engl. roll), d.h. die Rotation um die x-Achse, die Nickbewegung θ (engl. pitch) mit der Rotation um die y-Achse und die Gierbwegung ψ (engl. yaw), eine Rotation um die z-Achse. Werden diese Bewegungen nacheinander ausgeführt, lassen sich die neuen Koordinaten des rotierten Körpers im dreidimensionalen Raum durch Multiplikation der jeweiligen Rotationsmatrizen fest definieren. (7, 8)

Fig. 2. Position representations. // Bild 2. Lagedarstellungen im Raum. Source/Quelle: TUBAF

Aufgrund des Kommutativgesetzes bei der Matrizenmultiplikation ist eine feste Rotationsreihenfolge einzuhalten. Neben den sechs Möglichkeiten wird in dieser Arbeit die z-y-x Konvention nach DIN 9300 und DIN ISO 8855 gewählt (Bild 2):

Erfolgt beim zweiten Rotationsschritt, dem Nicken, eine Drehung um ± 90°, führt dies zu einer kardanischen Blockade (engl. gimbal lock), da sich die x-Achse des Körpers mit der z-Achse des Referenzsystems dieselbe Achse teilt und somit ein Freiheitsgrad verloren geht. Die unabhängig gewählten Winkel ψ und ϕ führen zu einer Transformation, die nur noch einen Parameter besitzt. Um diesen Error zu umgehen, kann die Lagedarstellung auch mit Hilfe von Quaternion, einer Erweiterung der komplexen Zahlen, berechnet werden. Aufgrund der einfacheren Anschaulichkeit und zum besseren Verständnis werden jedoch parallel Eulerwinkel genutzt. (9, 10, 11, 12, 13)

4.2  Koordinatensysteme

Damit die geographischen Koordinaten ähnlich wie beim globalen Navigationssatellitensystem mit einer alternativen mobilen Messeinrichtung bestimmt werden können, sind unterschiedliche Koordinatentransformationen notwendig. Dabei wird die entsprechende Transformationsmatrix mit den bekannten Raum­koordinaten multipliziert. Eine Rücktransformation ist aufgrund der Orthogonalität der Matrix sowohl mit Hilfe der inversen als auch der transponierten Abbildungsmatrix möglich:

Das körperfeste Koordinatensystem (b-frame) ist dabei mit dem zu verfolgenden Objekt fest verbunden, wodurch sich die Achsen des Systems immer in der gleichen Ausrichtung relativ zum Körper befinden, unabhängig von der ausgeübten Rotation oder Beschleunigung. Der Ursprung des Navigationskoordinatensystems (n-frame) bzw. lokalen kartesischen Koordinatensystems ist identisch mit dem körperfesten Koordinatensystem. Die xn– und yn-Achse weisen hierbei stets in Ost- bzw. Nordrichtung und liegen parallel zur Tangentialebene des vereinfachten Erdmodells. Die zn-Achse steht entsprechend parallel zur Schwerebeschleunigung. Das Navigationskoordinatensystem kann entweder als lokale Ost­, Nord-, Aufwärtskoordinaten (engl. East-North-Up (ENU)) oder lokale Nord-, Ost-, Abwärtskoordinaten (engl. North-East-Down (NED)) ausgerichtet sein. Die vorliegende Arbeit referenziert sich auf das ENU-System. Das Inertialkoordinatensystem (i-frame) befindet sich im Mittelpunkt des Erdmodells, wobei die Koordinatenachsen fest in Bezug zu den Fixsternen ausgerichtet sind und unbeachtet der Erdrotation stehen. Die zi-Achse des Inertialkoordinatensystems entspricht der Rotationsachse der Erde, während die xi– und yi-Achse in der Äquatorebene liegen. Der Ursprung und die Hochachse des erdfesten Koordinatensystems (e-frame) sind identisch mit dem Inertialkoordinatensystem, welches mit der Winkelgeschwindigkeit der Erde rotiert. Die xe-Achse ist durch die Schnittgerade von der Äquatorebene und der Ebene des Nullmeridians bestimmt. Aufgrund der genannten Eigenschaften des erdfesten Koordinatensystems wird dieses auch als geographisches bzw. geozentrisches Koordinatensystem (engl. Earth-Centered, Earth-Fixed (ECEF)) bezeichnet (Bild 3). (14, 15, 16, 17)

Fig. 3. Coordinate systems used. // Bild 3. Verwendete Koordinatensysteme. Source/Quelle: TUBAF

4.3  Geodätisches Datum

Damit die Zielkoordinaten p anhand des geographischen Koordinatensystems bestimmt werden können, muss ein Referenzmodell der Erde definiert werden. Hierbei gilt es, das sphärische vom ellip­soidischen geodätischen Modell zu unterscheiden. Während das sphärische Modell kugelförmig ist, lässt sich die tatsächliche Form der Erde mit Hilfe eines Rotationsellipsoids präziser darstellen. Die Wahl des Referenzellipsoids kann neben den Weltsystemen, z. B. dem geodätischen Referenzsystem 1980 (engl. Geod­etic Reference System 1980) oder dem World Geodetic System von 1984 (WGS 84) auch regional ausfallen, da sich die geometrische Rechenfläche unterschiedlich stark vom vorliegenden Geoid unterscheidet. So dient in Europa das Bessel-Ellipsoid als passendes regionales Datum, während das globale Datum WGS 84 als einheitliche Grundlage u. a. auch für das Global Positioning System (GPS) herangezogen wird. (15)

4.4  Berechnung kartesischer Koordinaten aus geografischen Koordinaten

Ähnlich der Drehfolge bei den Eulerwinkeln muss für die Berechnung der Koordinaten im geographischen Koordinatensystem eine Rotationsmatrix unter Berücksichtigung des Längen- λ und Breitengrades φ definiert werden:

Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass unter Berücksichtigung der Tangentialität des Navigationskoordinatensystems die geographische Breite beim sphärischen nicht gleich dem des ellipsoidischen geographischen Koordinatensystems entspricht. Auch liegt beim letzten Modell der Schnittpunkt auf der z-Achse nicht mehr im Koordinatenursprung (Bild 4). (15, 18, 19)

Fig. 4. Ellipsoidal versus spherical geographical coordinate system. // Bild 4. Ellipsoidisches versus sphärisches geographisches Koordinatensystem. Source/Quelle: TUBAF

4.5  Definition der Höhe

Zur Bestimmung der genauen Positionsdaten ist neben dem Längen- und Breitengrad die Gesamthöhe bzw. -tiefe, resultierend aus dem Erdradius b bzw. dem Querkrümmungsradius N und der ellipsoidischen Höhe h, relevant. Hierbei gilt es, h von der Normalhöhe und Geoidhöhe zu unterscheiden.

4.6 Inertiale Messeinheit

4.6.1  Konzeptionierung und Sensorauswahl

Damit ein ortsunabhängiges Messystem auch ohne Satellitenempfang uneingeschränkt in Echtzeit zur Lage und Positionsbestimmung eingesetzt werden kann, werden unterschiedliche Sensoren genutzt. Zu den Sensoren zählen wesentlich Beschleunigungs- und Drehratensensoren, die im Verbund auch als inertiale Messeinheit (IMU) bezeichnet werden. Über eine Koppelnavigation (engl. dead reckoning) lassen sich anhand dessen fortlaufend die Bewegungsrichtung, Geschwindigkeit und der zurückgelegte Weg bestimmen. Während zu Beginn der inertialen Navigation die Sensoren noch auf einer kardanisch gelagerten, stabilisierten Plattform montiert waren, wodurch die xb yb-Ebene stets parallel zur xn yn-Ebene bzw. die zb– und zn-Vektoren parallel stehen, besteht nun über fortgeschrittene Strapdown-Systeme die Möglichkeit, die IMU fest mit dem äußeren Rahmen des Körpers zu verbinden. Befindet sich dabei der zu beobachtende Körper in Ruhelage und ist horizontal zur Erdoberfläche ausgerichtet, so wird ausschließlich die Erdbeschleunigung von 1 g entlang der zb– bzw. zn-Achse aufgenommen. Wird der Sensor nun gekippt, so wird auch von xb und yb ein Anteil der Normalschwere detektiert. Solange die absolute Beschleunigung von 1 g nicht unter- bzw. überschritten wird, lassen sich mit Ausnahme des Gierwinkels die Roll- und Nickwinkel berechnen:

Der Drehratensensor hingegen misst unabhängig von der Schwere­beschleunigung der Erde, wodurch die Lagewinkel auch während eines Beschleunigungs- oder Abbremsvorgangs des Körpers ­numerisch über die Messdauer t ermittelt werden können.

Für die Bestimmung der ausgeübten Geschwindigkeit vb und Position pb muss im Gegensatz zu den kardanisch gelagerten IMUs der erfasste Erdbeschleunigungsanteil gb nicht nur von der zb-, sondern auch von der xb– und yb-Achse der aufgezeichneten Beschleunigungsdaten abgezogen werden:

Zwar zählen Mikroelektromechanische Systeme (MEMS) zu den vergleichsweise ungenaueren Messeinrichtungen, jedoch weisen sie eine sehr geringe Baugröße auf und sind aufgrund von Massenfertigung erheblich kostengünstiger, weswegen sie in zahlreichen computerbasierten mobilen Endgeräten oder auch als Sicherheits- bzw. Regelsysteme in Fahrzeugen eingesetzt werden. Bei Beschleunigungssensoren dominiert die MEMS-Bauweise im Vergleich zu den mechanischen Modellen hinsichtlich Kompakt- und Robustheit, dem geringen Energieverbrauch, der Wartungsarmut, der niedrigen Kosten sowie der einfachen Handhabung. (15, 20, 21, 22, 23)

4.6.2 Sensor-Modell und Kalibrierung

Ideal stehen die drei Sensorachsen orthogonal zueinander und messen mit der gleichen Empfindlichkeit nach den zuvor genannten Eigenschaften. Da dies in der Praxis nicht der Fall ist und aufgrund der MEMS-Bauweise die eingesetzten Inertialsensoren eine hohe Messabweichung aufweisen, lässt sich folgende Modell­funktion zum diskreten Zeitschritt k allgemein aufstellen:

b      Bias

N      nicht-Orthogonalität der Achsen

S      Skalenfaktor

ubk   tatsächlicher Messwert

ybk    Rohdaten

εbk    Messrauschen

Ziel ist es, die tatsächlich vorliegenden Messwerte ubk zu erfahren. Damit die fehlerhaften Einflussgrößen speziell für die eingesetzten Sensoren fest definiert werden können, ist neben den Herstellerangaben eine praktische Untersuchung erforderlich. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass jeder Sensor individuell zu betrachten ist. Wie zuvor erwähnt, beträgt in jeder stationären Position die absolute Beschleunigung 1 g. Wird die Messeinrichtung innerhalb einer kardanischen Aufhängung mit dem Sensormittelpunkt im Schnittpunkt der drei gelagerten Achsen rotiert, so kann anhand der aufgezeichneten Punktewolke nicht nur die Nullpunktverschiebung, d. h. der Bias, sondern auch der Skalenfaktor ermittelt werden. Ideal entspricht die Punktwolke einer kugelförmigen Gestalt mit dem Radius von 1 g. Bei extremen Messungenauigkeiten gleicht die Punktewolke jedoch eher einem Ellipsoid. Über eine Singulärwertzerlegung lässt sich diese Struktur in die ideale, kalibrierte Kugelform überführen. Zu beachten ist, dass die Erdbeschleunigung von 1 g auf der Erde je nach Position variiert und unter Berücksichtigung des ausgewählten Erdmodells für die Kalibrierung einzubinden gilt.

Beim Drehratensensor ist eine stationäre Untersuchung nicht ausreichend, da damit lediglich der Bias und bei sehr präzisen Sensoren die Erdrotation aufgezeichnet würde. Wird der Drehratensensor jedoch mit einer bekannten Winkelgeschwindigkeit um eine definierte Achse rotiert, so kann die Ist-Drehrate mit der Soll-Drehrate verglichen werden. Da die Kalibriereinheit ebenfalls Messabweichungen unterliegt, wird die ausgeübte Winkelgeschwindigkeit, beispielsweise durch Ausgabe eines Rechteck­signals, mit Hilfe eines Inkrementalgebers überprüft (Bild 5). (16, 17, 24, 25, 26, 27)

4.7  Temperaturkompensation

Neben den IMU-Rohdaten gilt es ebenfalls, die während der Messung erfahrene Temperatur aufzuzeichnen, da diese maßgeblich für die Größe der Messabweichungen verantwortlich ist. Um eine Korrekturfunktion entsprechend herleiten zu können, wird die IMU in Ruhelage über einen vorgegebenen Temperaturbereich, der ihr maximal während ihres Einsatzes widerfahren kann, belastet. Neben der Temperatur haben der Luftdruck, die Luftfeuchte, die mechanische Erschütterung und auch die Versorgungsspannung der IMU einen negativen Einfluss auf die Messeinrichtung. (23)

Um die Fehlercharakteristik und das Verhalten der Messeinrichtung über eine längere Einsatzdauer hinweg unter stationären Bedingungen zu untersuchen und um dadurch die Leistung der einsetzenden Sensoren besser beurteilen zu können, bietet sich die Nutzung der Allan-Varianz an. Die Allan-Varianz ist ein Maß für die Frequenzstabilität und misst die quadratische Abweichung der einzelnen Messungen vom Mittelwert. Sie ist besonders nützlich für die Bewertung der Stabilität und des Rauschverhaltens von Sensoren (Bild 5). (14, 16, 21, 28, 29)

Fig. 5. Electric gimbal mounting including IMU and data plot. // Bild 5. Elektrische kardanische Aufhängung inklusive IMU und Messdaten. Source/Quelle: TUBAF

4.8  Digitale Filter

Der MEMS-Beschleunigungssensor weist aufgrund seines Aufbaus mit seinen engen beweglichen Kammstrukturen ein besonders hohes Messrauschen auf, das auch noch nach der Kalibrierung weiterhin in geschwächter Form vorliegt. Mit Hilfe eines Tiefpassfilters kann das Rauschverhalten weiter gedämpft werden, allerdings ist das Reaktionsverhalten je nach Größe des Gewichtungsfaktors unterschiedlich groß. Je stärker die Wichtung, desto träger reagiert das System auf Winkeländerungen.

Beim Drehratensensor hingegen führt der noch nach der Kalibrierung minimierte Fehleranteil aufgrund der rekursiven Winkelfunktion zu einem Aufsummieren der Messabweichung, welche über die Messdauer hinweg stetig zunimmt. Ein Hochpassfilter zwingt das Messsignal zwar wieder in seinen Ursprung zurück, jedoch können so die Eulerwinkel nicht gehalten und langsame Rotationen nicht abgebildet werden.

Um die Nachteile mit den Vorteilen des jeweils anderen Sensors auszugleichen, besteht die Möglichkeit, mit Hilfe der Sensordatenfusion die gemessenen IMU-Daten zusammenzuführen. Die einfachste Möglichkeit bietet hierbei der Komplementärfilter, bei dem der Tiefpassfilter des Beschleunigungssensors mit dem Hochpassfilter des Drehratensensors kombiniert wird. Nachteilig ist, dass weiterhin der Gewichtungsfaktor fest eingehalten wird und über die Messdauer hinweg bestehen bleibt. Dies im Gegensatz zum Kalman-Filter, der ebenfalls ein rekursiver Datenverarbeitungsalgorithmus ist, jedoch nicht heuristisch, sondern probabilistisch den Zustandsvektor ermittelt. So erfolgt nach der Initialisierung der Variablen zunächst eine Vorhersage (Prädiktion) des Zustandsvektors und nach anschließender Berechnung der Kalman-Verstärkung eine Korrektur der Abschätzung. (14, 16, 30, 31, 32, 33)

4.9  Stützungsmethoden

Damit trotz aufwendiger Kalibrierung die verbleibende Messabweichung anderweitig korrigiert werden kann, besteht die Möglichkeit, die Messeinrichtung mit weiteren Sensoren zu ergänzen.

Mit Hilfe eines Magnetfeldsensors lässt sich durch Detektion des Erdmagnetfelds ein digitaler Kompass umsetzen, wodurch eine definierte Nordrichtung ausgegeben werden kann, unter Berücksichtigung der Deklination, d. h. der Abweichung des geografischen mit dem magnetischen Nordpol. Der Sensor kann somit bei der Sensordatenfusion mit dem Drehratensensor bei der Bestimmung des Gierwinkels kooperieren und wird im Verbund der IMU auch als Attitude Heading Reference-System (AHRS) bezeichnet. Nachteilig ist jedoch der sehr hohe Kalibrieraufwand, da die Sensoren sehr empfindlich auf metallische Elemente reagieren. (14, 16)

Damit die Höhe und zn-Position in Bezug zur kalibrierten Null­ebene neben den zweifach numerisch integrierten Beschleunigungsdaten gestützt werden kann, lässt sich über den vertikal veränderlichen Umgebungsdruck die Höhen- bzw. Tiefeninformation ermitteln.

Da für eine horizontale Positionsstützung die Informationen der vertikalen Druckänderungen nicht ausreichen, wird mit Hilfe laufzeitbasierter Unterwasser-Ortungssysteme durch akustische Distanz- und Richtungsmessungen die Position über Triangulation errechnet. Das fehlende Licht und die während des Fräsens entstehende Trübung wirken sich nicht nur nachteilig auf das vorgestellte, sondern auch auf optische Messverfahren aus. Aufgrund des sehr begrenzten Bauraums und Platzverhältnisses in der kompakten Schlitzwandfräse gestaltet sich die Installation von großdimensionierten Messeinrichtungen zudem äußerst schwierig. Darüber hinaus sind die hohen Umgebungsdrücke von bis zu 300 bar, die wechselnden Temperaturbedingungen bei starken Vibrationen und hohen wirkenden Kräften der Anlage nicht zu vernachlässigen, weswegen der Fokus auf kompakte und robuste Sensoren gelegt wird, die über einen intelligenten Algorithmus mit präziser Kali­brierung und aktiver Überwachung in Echtzeit kontrolliert werden.

5  Applikationen, Stand und Ausblick

Im Rahmen des Projekts Deep Sea Sampling (DSS) des Maritimen Forschungsprogramms des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wurden, beginnend mit einem Konzeptprototypen, vier Baustufen der Messvorrichtung entwickelt und unter stationären Bedingungen getestet. Ziel der kommenden Baustufen sind einerseits Prototypen für Drucktests zur Absicherung der Druckstabilität unter Temperaturwechsel sowie andererseits die technische Weiterentwicklung und Kalibrierung der Kompensationsmechanismen besonders für die nicht unerheblichen Schwingungsanregungen aus der Arbeitssystematik der Abbaumaschine.

In der späteren Anwendung sollen die Daten sowohl für die Navigation des Templates – einer ca. 60 t schweren Einheit – als auch die Bewegungsdaten des Fräskopfes für die Ermittlung der Abbaurichtung verwendet werden. Vor allem für die Steuerung des Fräskopfes, sowohl per manueller Fernsteuerung als auch als semi-autonome Regelung, sind exakte Positionsdaten von entscheidender Bedeutung.

Weiter gedacht lässt sich mittels robuster und preiswerter Sensoriken die Steuerung von Abbauprozessen unter Wasser, unter Tage oder auch bei extraterrestrischen Einsätzen realisieren. Besonders für die schnelle Reaktion auf sich ändernde Gegebenheiten sowie eine exakte Einmessung von sich schnell ändernden Bodenformationen sind eine genaue Positionsdatenbestimmung des Fräskopfes und der Abbaueinheit, auch ohne zusätzliche Stützung durch GPS, unerlässlich.

 

References / Quellenverzeichnis

References / Quellenverzeichnis

(1) Wood Mackenzie (2019): World Copper Report.

(2) Sharma, R. (2017): Deep-Sea Mining. Resource Potential, Technical and Environmental Considerations. Springer-Verlag.

(3) Johnson, K.; Dalton, G.; Masters, I. (2018): Building Industries at Sea: “Blue Growth” and the New Maritime Economy. River Publishers.

(4) Buschette, M. (2015): Hydrothermal Alteration and Lithogeochemistry of the Boundary Volcanogenic Massive Sulfide (VMS) Deposits. Master Thesis, Department of Earth Science, Memorial University of Newfoundland.

(5) Dombrowsky, J. M. (2018): Resource and Reserve Classification of a Solwara 1 type Deposit at an Arctic Mid Ocean Ridge. Norwegian University of Science and Technology, Department of Geoscience and Petroleum.

(6) Post, J., Schreiner, V., Weixler, L. (2021): Der „Vertical Approach“ – eine nachhaltige Lösung für Probenahme und Bergbau in der Tiefsee. In: Mining Report Glückauf (157) Heft 3, S. 258 – 267.

(7) ETH Zürich: Kinematics. Online abgerufen am 22.12.2023 unter https://ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/mavt/robotics-n-intelligent-systems/rsl-dam/documents/RobotDynamics2016/KinematicsSingleBody.pdf.

(8) Dong, Y. (2013): Mems for Automotive and Aerospace ­Applications || MEMS inertial navigation systems for aircraft. pp 177 – 219. doi:10.1533/9780857096487.2.177.

(9) Kuipers, J. B. (1999): Quaternions and Rotation Sequences: A Primer with Applications to Orbits, Aerospace and Virtual Reality. Princeton, New Jersey, USA: Princeton University Press.

(10) Academic dictionaries and encyclopedias. Gimbal Lock. Online abgerufen am 22.12.2023 unter https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/522844.

(11) Jones, E. M.; Fjeld, P.: Gimbal Angles, Gimbal Lock, and a Fourth Gimbal for Christmas. Online abgerufen am 22.12.2023 unter https://history.nasa.gov/alsj/gimbals.html.

(12) The MathWorks, Inc.: quaternion. Online abgerufen am: 22.12.2023 unter https://de.mathworks.com/help/robotics/ref/quaternion.html#d123e11308.

(13) Baker, M. J.: Maths – Transformations using Quaternions. Online abgerufen am 22.12.2023 unter https://www.euclideanspace.com/maths/algebra/realNormedAlgebra/quaternions/transforms/index.htm.

(14) Kok, M.; Hol, J. D.; Schön, T. B. (2017): Using Inertial Sensors for Position and Orientation Estimation. In: Foundations and Trends in Signal Processing: Vol. 11: No. 1 – 2, pp 1 – 153. https://dx.doi.org/10.1561/2000000094

(15) Wendel, J.: Integrierte Navigationssysteme: Sensordaten­fusion, GPS und inertiale Navigation. 1. Aufl., München [u. a.]: Oldenbourg.

(16) VectorNav Technologies: Inertial Navigation Primer. Online abgerufen am 22.12.2023 unter https://www.vectornav.com/resources/inertial-navigation-primer.

(17) Madgwick, S. O. (2014): AHRS algorithms and calibration solutions to facilitate new applications using low-cost MEMS.

(18) Gruber, F. J. (2022): Formelsammlung für das Vermessungswesen. 21. Aufl., Wiesbaden, Springer Vieweg.

(19) The MathWorks, Inc.: Comparison of 3-D Coordinate Systems. Online abgerufen am 22.12.2023 unter https://de.mathworks.com/help/map/choose-a-3-d-coordinate-system.html.

(20) Wetzstein, G. (2021): EE 267 Virtual Reality. Course Notes: 3-DOF Orientation Tracking with IMUs. Stanford, Kalifornien, USA: Stanford University, Skript.

(21) Woodman, O. J. (2007): An introduction to inertial navigation. Cambridge, England: University of Cambridge, Computer Laboratory, Fachbericht.

(22) Zingsheim, J. M. (2015): Inertiale Navigation für die Rohstoffindustrie – Entwicklung und Konzeptionierung eines Positions- und Lagebestimmungssystems zur weiterführenden Automatisierung von Betriebsmitteln in der untertägigen Rohstoffgewinnung. Aachen: RWTH Aachen University, Dissertation.

(23) Tränkler, H.-R., et al. (2014): Sensortechnik – Handbuch für Praxis und Wissenschaft. Grünwald; Freiburg: Springer Vieweg, 2. völlig neu bearbeitete Aufl.

(24) Renaudin,, V.; Afzal, M. H.; Gérard Lachapelle, G. (2010): Complete Triaxis Magnetometer Calibration in the Magnetic Domain. In: Journal of Sensors, vol. 2010, Article ID 967245, 10 pages. https://doi.org/10.1155/2010/967245

(25) Kok, M.; Hol, J. D.; Schön, T. B.; Gustafsson, F.; Luinge, H. (2012): Calibration of a magnetometer in combination with inertial sensors. 15th International Conference on Information Fusion, Singapore, pp. 787 – 793.

(26) Kok, M.; Schön, T. B. (2016): Magnetometer Calibration Using Inertial Sensors. In: IEEE Sensors Journal, vol. 16, no. 14, pp. 5679 – 5689, doi: 10.1109/JSEN.2016.2569160.

(27) Li, Q.; Griffiths, J. G. (2004): Least squares ellipsoid specific fitting. Geometric Modeling and Processing. Proceedings, Beijing, China, pp. 335 – 340, doi: 10.1109/GMAP.2004.1290055.

(28) Looney, M. (2010): A simple calibration for mems gyroscopes. EDN Europe, Analog Devices.

(29) Lv, P.; Liu, J.; Lai, J.; Kai Huang, K. (2015): Allan variance method for gyro noise analysis using weighted least square ­algorithm. In: Optik, Vol. 126, Issue 20, pp 2529 – 2534. ISSN 0030-4026, https://doi.org/10.1016/j.ijleo.2015.06.044.

(30) Sanket, N. J.: Complementary Filter for Attitude Estimation. Online abgerufen am 22.12.2023 unter https://nitinjsanket.github.io/tutorials/attitudeest/imu.

(31) Marchthaler, R.; Dingler, S. (2017): Kalman-Filter – Einführung in die Zustandsabschätzung und ihre Anwendung für eingebettete Systeme. Esslingen am Neckar; Stuttgart: Springer Vieweg.

(32) Chui, C. K.; Chen, G. (2009): Kalman Filtering with Real-Time Applications. College Station, Texas, USA; Hong Kong, China: Springer-Verlag.

(33) Ludwig, S. A.; Burnham, K. D. (2018): Comparison of Euler Estimate using Extended Kalman Filter, Madgwick and ­Mahony on Quadcopter Flight Data. International Conference on Unmanned Aircraft Systems (ICUAS), Dallas, TX, USA, pp. 1236 – 1241, doi: 10.1109/ICUAS.2018.8453465.

Authors/Autoren: Alexander Mölle M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Martin Sobczyk, Institute of Mechanical Engineering, TU Bergakademie Freiberg, Freiberg/Germany, Dr.-Ing. Matthias Semel, BAUER Maschinen GmbH, Schrobenhausen
Online_Abonnement