Kohleausstieg – energiepolitische Fragezeichen
Zum Jahresende 2023 überraschte die Bundesnetzagentur mit einem Veto gegen die weitere Stilllegung von Kohlekraftwerken vor dem Jahr 2031. Mindestens bis dahin würden diese Kapazitäten für die sogenannte Netzreserve der Energiewende benötigt, d. h. der von der aktuellen Bundesregierung „idealerweise“ schon bis 2030 angestrebte nationale Kohleausstieg lässt sich nicht umsetzen (1). Die als Alternative seit Längerem, sogar schon konkret bis Mitte 2023 angekündigte neue „Kraftwerksstrategie“ in Form des Baus von ca. 25 GW bzw. rund 50 oder mehr großen neuen, wasserstofffähigen (H2-ready) Gaskraftwerken lag bisher nicht vor und kann bis 2030 nicht mehr realisiert werden. Zudem fehlen Bund und Ländern die Haushaltsmittel für den nötigen Investitionsrahmen von mindestens 20 Mrd. €. (2)

Fig. 1. Gross electricity generation in Germany in 2023. // Bild 1. Bruttostromerzeugung in Deutschland 2023. Source/Quelle: AGEB
Wie der Winter 2023/24 erneut eindrucksvoll gezeigt hat, trägt der fossile Brennstoff Kohle in Deutschland neben seinen anderen rohstoffwirtschaftlichen Verwendungen nach wie vor wesentlich zur Sicherheit der nationalen Stromversorgung einschließlich Wärmelieferungen und Systemdienstleistungen bei. Nach dem im Frühjahr 2023 hierzulande endgültig vollzogenen Atomausstieg kann die deutsche Stromversorgung trotz steigenden Anteils erneuerbarer Energien – inzwischen auf über 50 % – wegen der wetter-, jahreszeit- und tageszeitabhängigen Volatilität von Windkraft und Photovoltaik (PV) nur durch die bestehenden Kohlekraftwerke und ergänzende konventionelle Gaskraftwerke gewährleistet werden (Bild 1). Hinzu kommen inzwischen noch anhaltende Überschüsse an Importstrom, vor allem aus französischer Kernenergie. Strom- und Energieversorgungssicherheit ohne konventionelle Energien als „Backup“ bleibt vorerst unmöglich.

Fig. 2. Anti-coal protests by climate activists. // Bild 2. Anti-Kohleproteste von Klimaaktivisten. Photo/Foto: © mw238, www.flickr.com/photos/mw238/42989734591
Gleichwohl gilt der Kohleausstieg in Deutschland weiterhin als politisch gesetzt. Für hiesige und internationale Klimaaktivisten und ihren politischen und medialen Resonanzboden ist der Kohleausstieg ein prioritäres, unhinterfragbares und auf jeder Bühne lautstark vertretenes „Must-have“ der Klimapolitik (Bild 2). Denn Kohle ist ja die „schmutzigste“ Energie.
Die Frage ist indes, ob ein, wie nach dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) vorgesehen, totaler Ausstieg aus der Kohleverstromung energiepolitisch noch tragfähig ist. Nach wie vor gilt das Ziel des KVBG von 2020, die Kohleverstromung in Deutschland stetig schrittweise zu reduzieren und bis spätestens 2038 vollständig zu beenden (Bild 3). Eine Beendigung der Kohleverstromung hat neben der Abschaltung aller noch bestehenden Braun- und Steinkohlenkraftwerke hierzulande gleichzeitig das Auslaufen des Braunkohlenbergbaus zur Folge, nachdem der heimische Steinkohlenbergbau bereits 2018 komplett stillgelegt worden war. Für das Rheinische Revier in Nordrhein-Westfalen gilt bereits zusätzlich eine politische Verständigung zur Beendigung der Verstromung und Gewinnung von Braunkohle bis 2030.

Fig. 3. Planned reduction of coal-fired power plant capacities in Germany. // Bild 3. Geplanter Abbau der Kohlekraftwerkskapazitäten in Deutschland. Source/Quelle: GVSt
Begründet wird dies vor allem klimapolitisch. Nach § 2 (1) KVBG geht es hauptsächlich darum, „Emissionen zu reduzieren und dabei eine sichere, preisgünstige, effiziente und klimaverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität zu gewährleisten.“ (3) Dagegen sprechen indes mittlerweile trifftige Gründe:
- Die deutschen Kohlekapazitäten sind bereits deutlich reduziert worden.
- Der deutsche kohlebedingte CO2-Austoß ist weit überproportional zurückgegangen.
- Künftig geht es bei konventionellen Kraftwerken um einen deutlich verringerten Einsatz in Ausgleichs- und Reservefunktion mit viel geringeren Emissionen.
- Restliche CO2-Emissionen können durch die Carbon Capture Utilization and Storage (CCUS)-Technologie kompensiert werden.
- Diese Lösung wäre mit Kohle kostengünstiger als Erdgas- und Wasserstoffkraftwerke.
- Die Stromversorgungssicherheit würde dadurch beträchtlich erhöht.
Auch die jüngste Weltklimakonferenz vom 30. November bis 13. Dezember 2023 in Dubai (COP28) hat zwar einmal mehr das Ziel einer „transition away from fossil fuels in a just, orderly and equitable manner, accelerating action in this critical decade, so as to achieve net zero by 2050 in keeping with the science“ formuliert, zugleich aber anerkannt: „…transitional fuels can play a role in facilitating the energy transition while ensuring energy security.“ Vereinbart worden sind auf der COP28 mit Zustimmung Deutschlands u. a. „accelerating efforts towards the phase-down of unabated coal”, also ein Auslaufen der Kohlenutzung ohne emissionsmindernde Maßnahmen, ebenso jedoch das „accelerating zero- and low-emission technologies“, zu denen nicht nur regenerative Energien gezählt werden, sondern auch Kernkraft- und Wasserstofftechnologien, ebenso wie „abatement and removal technologies such as carbon capture and utilization and storage, particularly in hard-to-abate sectors“ (4) – was sachlich auch die weitere Nutzung von Kohle mit der sogenannten CCS-Technologie einschließt, wo das ökonomisch geboten erscheint.
Mit Frank Hennig kann zudem die Frage gestellt werden, ob nicht das ausgerechnet den naturbedingt stark schwankenden, enorm rohstoffintensiven regenerativen Energien Windkraft und PV zugeschriebene Etikett der „Freiheitsenergien“ viel eher auf die Kohle, insbesondere die heimische Braunkohle zutrifft? Denn welche Anforderungen müssten Freiheitsenergien erfüllen? „Sie müssten wetterunabhängig, sicher und stabil sein, regelfähig für die schwankenden Bedarfe, preiswert, nicht sanktionierbar, unabhängig von schwankenden Weltmarktpreisen, wenig Transporte verursachen, umweltverträglich und emissionsarm. Letzteres wird durch die in Deutschland geltenden Rekultivierungsanlagen und die Umweltstandards für Kraftwerke erfüllt, mit CCS auch die Klimaneutralität.“ (5) Gleichzeitig hat sich in der jüngsten Energiekrise auch die aus einem breit diversifizierten, logistisch bestens erschlossenen Weltmarkt importierte Steinkohle als „Schutzengel der Energieversorgung“ erwiesen, die nicht nur einen flexiblen Kraftwerksbetrieb erlaubt, sondern im Vergleich zum avisierten gesteigerten Gasimport in Form von Flüssiggas (LNG) auch preisgünstiger, stabiler und klimafreundlicher abschneidet. (6)
Der Autor dieser Zeilen hat bereits 2019 – damals noch bezogen auf den Abschlussbericht der sogenannten Kohlekommission und ihre Empfehlungen – darauf hingewiesen, dass mit dem geplanten Kohleausstieg aufgrund diverser Unwägbarkeiten ein „energie- und regionalwirtschaftliches Abenteuer“ verfolgt wird (7). Im Jahr 2022 plädierte er vor dem Hintergrund der durch den Russland/Ukraine-Krieg ausgelösten europäischen Energie- und Erdgaskrise dafür, den „Kohleausstieg aus(zu)setzen“ und der Transition in den Kohleregionen mehr Zeit zu geben (8). Im Jahr 2023 untersuchte er eingehend, welche verschiedenen, komplexen, schwierig auszubalancierenden Anforderungen die Leitprinzipien einer nachhaltigen Ökonomie an den Kohleausstieg stellen (9). Mittlerweile ist er im Licht neuer Entwicklungen zu dem Schluss gelangt, dass der weitere Vollzug des Kohleausstiegs in der vom KVBG vorgesehenen Weise ein energiepolitischer Fehler wäre. Der festgestellte strukturpolitische Förderbedarf der bereits von Stilllegungen betroffenen wie der vorläufig weiter aktiven Kohleregionen würde davon aus regionalökonomischer Sicht weitgehend unberührt bleiben.
Entsprechende Entscheidungen müssten jedoch möglichst bald fallen, denn die Kraftwerke fahren mit Auslaufziel auf Verschleiß und die Tagebauplanung der Braunkohle ist – wie gesetzlich vorgeschrieben – auf Stilllegung ausgerichtet. Die nach § 54 Abs. 1 KVBG gesetzlich zum 15. August 2022 vorgesehene erste Überprüfung des Kohleausstiegs und seiner Auswirkungen ist Anfang 2024 noch immer überfällig gewesen. Vorgelegt wurde von der Bundesregierung bloß eine Evaluierung des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes, wonach sich der Abruf von Braunkohlenkraftwerken aus der Sicherheitsbereitschaft für die Sicherung der Stromversorgung in Anbetracht der 2022 mit dem Russland/Ukraine-Krieg eingetretenen Strom- und Gasversorgungskrise bewährt hat. Doch die Sondergenehmigung der gemäß Versorgungsreserveabrufverordnung (VersResAbrV) aus der Versorgungsreserve geholten Braunkohlenkraftwerksblöcke Jänschwälde E und F im Lausitzer Revier sowie der Blöcke Neurath C , Niederaußem E und Niederaußem F im Rheinischen Revier – die im Winter 2023/24 teilweise unter Volllast laufen mussten – endet fristgemäß zum 31. März 2024. Gemäß der zwischen Bund, Land Nordrhein-Westfalen und der RWE AG abgeschlossenen Eckpunktvereinbarung zum vorgezogenen Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier sowie der damit verbundenen Leitentscheidung zum verbleibenden Abbau werden die Blöcke Neurath D und E ebenfalls zum 31. März 2024 stillgelegt, worauf natürlich auch schon die Tagebauplanung ausgelegt wird. Die gemäß Stromangebotsausweitungsverordnung (StrAAV) aus der Netzreserve zusätzlich bereit gestellten Kapazitäten auf Steinkohlenbasis sind ebenfalls nur noch bis zum 31. März 2024 zulässig.
Im Übrigen gilt der mit dem KVBG über Vereinbarungen (Braunkohle) sowie Ausschreibungen und Verordnung (Steinkohle) geregelte Ausstiegsfahrplan. Dadurch würden von den bislang noch gut 30 GW verfügbaren Kohlekraftwerkskapazitäten in Deutschland bis 2030 in jedem Fall mehr als die Hälfte vom Netz genommen sein. Spätestens 2038 dann sogar alle. Nach dem totalen Atomausstieg käme der totale Kohleausstieg.
Klimaschutz, deutscher Kohlestrom und Verhältnismäßigkeiten
Schon bisher war die Frage berechtigt, ob der Kohleausstieg in Deutschland mit Blick auf das Ziel des Klimaschutzes, der als globales Problem nur global gelöst werden kann, zielführend und mit dem rationalen Gebot der Verhältnismäßigkeit in Einklang ist.
Deutschland verfolgt bekanntlich regierungsamtlich sehr ehrgeizige klimapolitische Ziele in Form signifikanter und schließlich vollständiger Reduzierungen der von der deutschen Volkswirtschaft insgesamt ausgehenden Klimagasemissionen, vor allem des Ausstoßes an CO2. Tatsächlich konnten die bisherigen nationalen Ziele zur Treibhaushausgasminderung eingehalten werden, zuletzt das 40 %-Ziel bis 2020 gegenüber 1990. Der wichtigste Faktor dabei war die Emissionsminderung der Energiewirtschaft (Stromerzeugung und Fernwärme). In allen anderen Sektoren (Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft) gab es zwar ebenfalls nennenswerte Minderungen, aber nicht im gleichen Ausmaß. Bis 2023 wurde inzwischen eine Verringerung der energiebedingten CO2-Emissionen um insgesamt etwa 45 % erreicht, dies zuletzt trotz migrationsbedingten Bevölkerungszuwachses infolge zurückgehender, auch durch hohe Energiepreise gedämpfte volkswirtschaftliche Aktivität.

Fig. 4. Energy-related CO2 emissions in Germany by energy source. // Bild 4. Energiebedingte CO2-Emissionen in Deutschland nach Energieträgern. Source/Quelle: BMWK Energiedaten; für 2023 eigene vorläufige Hochrechnung auf Basis AGEB 2023
Fokussiert man die Betrachtung auf den nationalen CO2-Ausstoß nach Energieträgern, zeigt sich, dass die bisherigen Reduktionserfolge vor allem auf den Rückgang der Emissionen aus der Kohle zurückzuführen sind (Bild 4). Bis 2023 sind die CO2-Emissionen – Braunkohle wie Steinkohle – insgesamt um jeweils 59 % gesunken, die aus den Kohlenwasserstoffen Mineralöl und Erdgas zusammen lediglich um 19 %. Das ist um so bemerkenswerter, als Mineralöl und Erdgas die bedeutendsten Energieträger im gesamten Primärenergieverbrauch (PEV) Deutschlands sind und auf sie daran gemeinsam fast 60 % entfallen (Mineralöl 36 %, Erdgas 24 %), während der gesamte Anteil der Kohle (Braun- und Steinkohle) lediglich noch 17 % ausmacht (10). Das bedeutet umgekehrt, dass für weitere CO2-Reduktionen in Deutschland das Potential der Kohle, deren Verwendung hauptsächlich in der Stromerzeugung erfolgt, nur noch sehr begrenzt ist und vor allem die Emissionen aus Mineralöl und Erdgas – und das heißt in anderen Sektoren als der Stromerzeugung – drastisch gesenkt werden müssten. Explizite Ausstiegsziele für Mineralöl- oder Erdgas gibt es (noch) nicht.

Fig. 5. Global increase in fossil CO2 emissions 1990 to 2023. // Bild 5. Weltweiter Anstieg fossiler CO2-Emissionen 1990 bis 2023. Source/Quelle: Global Carbon Project 2023
Gleichzeitig muss konstatiert werden, dass alle bisherigen Anstrengungen in Deutschland zur CO2-Reduktion auf die globale Entwicklung der CO2-Emissionen weder von der Richtung noch vom Umfang her einen spürbaren Einfluss hatten (Bild 5). Während in Deutschland die Emissionen seit 1990 um fast die Hälfte gesunken sind, stiegen sie weltweit um gut zwei Drittel an. Dem besonders starken Rückgang der deutschen Emissionen aus Kohle steht im globalen Vergleich ein besonders starker Zuwachs der weltweit kohlebedingten CO2-Emissionen gegenüber, wenn man die jüngsten Zahlen des von einem internationalen Kreis von Klimawissenschaftlern sozusagen als Inventar aufgesetzten Global Carbon Project anschaut (11). Letzteres verwundert nicht, da man konstatieren muss, dass der weltweite Verbrauch von Kohle keineswegs rückläufig ist, sondern vielmehr 2023 auf einen neuen Rekordwert von mehr als 8,5 Mrd. t angestiegen ist, wobei mehr als die Hälfte davon allein auf China entfällt (12) (Bild 6). Dort steht auch beinahe jedes zweite der weltweit rd. 2.500 Kohlekraftwerke. In China sind zusätzlich zu den installierten 1.200 GW an Kohlekraftwerkskapazität – das 40-fache der deutschen – aktuell mehr als 100 GW an neuer Kapazität in Planung. Das ist etwa das Dreifache dessen, was mit dem Kohleausstieg in Deutschland abgebaut wird.

Fig. 6. Fossil CO2 emissions worldwide by fuel. // Bild 6. Fossile CO2-Emissionen weltweit nach Brennstoffen. Source/Quelle: Global Carbon Project 2023
Der sehr geringe Einfluss der deutschen Energiewende einschließlich des Kohleausstiegs auf die globale Klimavorsorge manifestiert sich im Anteil Deutschlands an den globalen CO2-Emissionen, der inzwischen bei nur 1,8 % (0,4 % aus Kohlestrom) liegt (Bild 7) – Größenordnungen, die selbst bei einer Reduktion auf Null von der trendmäßigen weltweiten Entwicklung ceteris paribus binnen weniger als zwei Jahren völlig kompensiert würden.

Fig. 7. German CO2 emissions in global relation. // Bild 7. Deutsche CO2-Emissionen in globaler Relation. Source/Quelle: Global Carbon Project 2023
In der deutschen Energiedebatte kaum beachtet wird zudem, dass das langfristige Ziel der Klimaneutralität nach dem Weltklimaabkommen von Paris keineswegs eine Reduktion der Klimagase um 100 % bedeuten muss, schon gar nicht bis 2045. Das Klimaschutzabkommen von Paris verlangt gemäß Art. 4, Abs. 1 nämlich Folgendes: „Zum Erreichen des in Artikel 2 genannten langfristigen Temperaturziels sind die Vertragsparteien bestrebt, so bald wie möglich den weltweiten Scheitelpunkt der Emissionen von Treibhausgasen zu erreichen … und danach rasche Reduktionen im Einklang mit den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen herbeizuführen, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken … herzustellen.” Das bedeutet die Verpflichtung, in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts, also nach 2050, weltweit nicht mehr Klimagase zu verursachen als durch die natürlichen Senken aufgenommen werden können. Nun weisen der Weltklimarat in seinen Berichten und so auch das Global Carbon Project darauf hin, dass mehr als die Hälfte der weltweiten anthropogenen Klimagasemissionen, zuletzt 57 %, von den Landpflanzen und den Ozeanen absorbiert werden. Von den 40,3 Mrd. t CO2, die 2023 nach den Angaben des Global Carbon Project anthropogen durch die Nutzung fossiler Energien und Landnutzungsänderungen verursacht wurden, werden 23,8 Mrd. t von den natürlichen Senken aufgenommen, 16,9 Mrd. t gingen in die Atmosphäre (Bild 8). Klimaneutralität verlangt darum nicht Nullemissionen, sondern eine weltweite Reduktion von 40 bis 50 %, also im Durchschnitt in etwa eine Halbierung des heutigen Emissionsniveaus.

Fig. 8. // Bild 8. Global Carbon Budget 2023. Source/Quelle: Global Carbon Project 2023 auf Basis IPCC AR6 2023, Chapter5
Das aber ist eine Reduktionsleistung, die in Deutschland schon zu einem erheblichen Teil erbracht worden ist, Vorreiter ist es längst. Sachlich nicht gerechtfertigt ist daher das von der deutschen Klimapolitik ausgegebene extreme Ambitionsniveau von 100 %, selbst wenn alle bisher erbrachten Minderungen auf nationaler Ebene ausgeblendet würden.
Praktisch trägt der Kohleausstieg in Deutschland zum globalen Klimaschutz demnach fast nichts bei. Eine ganz andere Frage ist es, welchen globalen Beitrag Deutschland erreichen könnte, wenn es demonstrieren würde, wie man Kohle im Energiemix klimafreundlich einsetzen könnte. Das führt zur Frage der CCUS-Technologie.
CCUS-Technologie

Fig. 9. CO2 injection well of the research storage facility in Ketzin 2010. // Bild 9. CO2-Injektionsbohrung des Forschungsspeichers in Ketzin 2010. Photo/Foto: BGR 2023
Bereits die 2011 nach der Fukushima-Katastrophe von der Bundesregierung eingesetzte Ethik-Kommission „Sichere Energieversorgung“ sprach sich begleitend zum Atomausstieg in Deutschland für die Nutzung von CCS bzw. CCU sowie ein darauf gestütztes „High-tech-Programm für saubere Kohle“ und die Inwertsetzung von CO2 in wirtschaftlichen Kreisläufen aus (13). Diese ausdrückliche Empfehlung der Ethik-Kommission ist in der deutschen Energiewendedebatte jedoch bisher weitgehend ignoriert worden, die CO2-Speicherung wurde in Deutschland sogar bald darauf wegen fehlender Akzeptanz praktisch verboten, obwohl es vielversprechende, technisch erfolgreiche Ansätze dazu bereits gab, wie bei der Versuchsanlage Schwarze Pumpe am Pilotstandort Ketzin (14) (Bild 9).
Die CC(U)S-Technologie besteht, wie oben angesprochen, aus Verfahren zur Abscheidung von CO2 aus industriellen oder energiewirtschaftlichen Punktquellen wie den Abgasströmen von Kraftwerken, Industriefabriken oder Müllverbrennungsanlagen sowie dessen unterirdischer Speicherung in tiefen Gesteinsschichten, sodass es nicht in die Atmosphäre gelangen kann. Sofern das CO2 ganz oder teilweise als Rohstoff genutzt und in Produkten gebunden wird, etwa in der chemischen Industrie für synthetische Kunst- oder Kraftstoffe, spricht man nicht nur von CCS, sondern von CCU bzw. CCUS.
Inzwischen ist die CCS-Frage national wie international wieder in die Diskussion gekommen, so expressis verbis bei der COP28 in Dubai, zumal nicht nur eine Reihe von großen Ländern, die USA wie China, sondern auch der Weltklimarat, die IEA oder auch die EU-Kommission in der CCUS-Technologie eine wichtige klimapolitische Option sehen. Laut der Internationalen Energie-Agentur(IEA) ist das Momentum für die CCUS-Technologie in jüngerer Zeit enorm gewachsen. Die IEA erläutert, dass modernste CCUS-Techniken generell geeignet sind für das „Einfangen“ der CO2-Emissionen großer Punktquellen wie Industrieanlagen und ebenso Kraftwerken. Wenn das abgetrennte CO2 nicht in der Anlage selbst, also on-site genutzt werden kann, muss es in verpresstem Zustand per Pipeline, Zug, LKW oder Schiff zu anderweitigen Nutzungen direkt oder indirekt transportiert werden oder aber, wenn und solange es keine Verwendung gibt, in tief liegenden geologischen Formationen wie ausgedienten Öl- oder Gasfeldern oder salinen Aquiferen dauerhaft gespeichert werden. CO2-Injektionen werden übrigens schon seit je zur besseren Ausbeutung von Ölfeldern genutzt (Enhanced Oil Recovery), sodass hier an bewährte Verfahren angeknüpft werden kann. Die IEA empfiehlt deshalb der Energiepolitik ihrer Mitgliedstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, nicht nur Forschung, Entwicklung und Innovationsförderung für den künftigen Einsatz von CCUS, sondern bereits jetzt eine Skalierung der Anwendung, die Unterstützung eines besseren Verständnisses für die Möglichkeiten ihres Einsatzes, die Identifizierung und Ermöglichung möglichst früher Marktchancen, speziell in geeigneten energiewirtschaftlichen und industriellen Clustern oder auch die Einbeziehung von CCUS-Kriterien in öffentliche Beschaffungsregelungen. Derzeit gebe es weltweit schon rd. 500 Projekte entlang der gesamte CCUS-Wertschöpfungskette (Bild 10). Doch das Potential sei beträchtlich größer.

Fig. 10. // Bild 10. The CCUS value chain. Source/Quelle: IEA 2023
Selbst die Bundesregierung sieht inzwischen durchaus Einsatzmöglichkeiten für CCS, erkennt sie aber anders als andere energiepolitische Akteure in der Welt vorerst nicht als Argument an für die langfristige weitere Nutzung fossiler Energien, sondern nur für die Bewältigung der „Restemissionen“ von Industrien, wie z. B. der Zementherstellung, bei denen ein CO2-Austoß unvermeidbar bleibt. Sie arbeitet gegenwärtig in diesem Sinn an einer aktiven „Carbon Management“-Strategie und teilt grundsätzlich und ausdrücklich die Einschätzung, dass CCS und CCU „Bausteine für eine klimaneutrale und wettbewerbsfähige Industrie“ bilden können. Der Kraftwerkssektor wird dabei indes ausgeschlossen, ohne dass es dazu eine sachlich fundierte Begründung gibt. (16)
Ein wesentlicher Grund für die geänderte Akzeptanzeinschätzung der CCUS-Technologie hierzulande dürfte sein, dass im Vordergrund der geplanten CO2-Speicherung nicht mehr die Speicherung an Land steht, bei der weiterhin lokale Konflikte zu befürchten wären, sondern die submarine CO2-Speicherung in der Nordsee. Bis auf Deutschland verfolgen bereits alle Nordsee-Anrainerländer verschiedene konkrete CCS-Projekte mit CO2-Speicherung im tiefen Nordseeboden. Vorreiter dafür ist schon seit den 1990er Jahren Norwegen, das nun seine Infrastruktur dafür weiter ausbaut, so im Northern-Light-Projekt, und sich als CO2-Speicherer für die ganze EU anbietet. Aber auch Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Dänemark sind auf dem Weg des CCS-Ausbaus. Großbritannien allein hat angekündigt, in den nächsten 20 Jahren Investitionen von rd. 20 Mrd. £ in CCS-Projekte anzustoßen. Dänemark und Belgien haben im März 2023 gemeinsam das erste grenzüberschreitende europäische Pilotprojekt „Greensand“ gestartet. Belgien plant darüber hinaus ein komplettes eigenes Pipelinenetz zum „Export“ von eingesammeltem CO2 unter die Meeresoberfläche, um zu einer nordeuropäischen Drehscheibe bei CCS zu werden. Dass sich auch Deutschland künftig daran beteiligt, wird erwartet. Eine andere Frage ist, ob sich das wie etwa in Großbritannien infrastrukturell ebenfalls auf Kraftwerke beziehen wird. (17) Technisch spricht nichts dagegen, ökonomisch im Vergleich mit anderen Klimaschutzoptionen auch nicht, wie noch zu zeigen sein wird. Vorerst verbleibt jedoch eine ideologische Blockade.
Funktionsfähigkeit des Strommarkts vor großen Herausforderungen
Die deutsche Energiewende setzt darauf, die deutsche Stromerzeugung in völliger Abkehr vom früheren, lange Zeit überwiegend auf Kernkraft, Kohle und auch Erdgas gestützten Energiemix immer mehr und dann ganz allein auf erneuerbare Energien, vor allem Windkraft und PV, zu stützen. In den kommenden Jahren soll der Ausbau der Erneuerbaren systematisch und in beschleunigtem Tempo weiter vorangetrieben werden. Wie realistisch diese Ausbaupläne sind angesichts absehbarer volkswirtschaftlicher Engpässe bei Kapital, Material und Personal, soll hier nicht erörtert werden. Hingewiesen sei nur auf den dadurch gewaltig steigenden Rohstoff- und Flächenbedarf für die Stromversorgung. So müssten z. B. statt der Fläche eines Fußballfelds, die ungefähr von einem Kohlekraftwerk benötigt wird, für die mengenmäßig gleiche, allerdings unstetige Stromerzeugung durch Windkraft beinahe 1.800 Fußballfelder beansprucht werden. (18)
Wegen der Volatilität der Erneuerbaren sind indessen auch bei deren weiterem Ausbau steuerbare Kraftwerkskapazitäten erforderlich. Weil dies „klimaschädliche“ bestehende Kohle- und Gaskraftwerke nicht mehr sein sollen, werden derzeit als versorgungspolitische Alternative allein neu zu bauende H2 -ready-Gaskraftwerke angestrebt. Bisher gibt es dafür nur ein einziges kleines 123 MW-Pilotprojekt in Leipzig, aber weder konkrete Baupläne oder gar eingeleitete Baumaßnahmen der Energiewirtschaft. Der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BWMK) schon Anfang 2023 angekündigte, aber bis Jahresende noch nicht vorgestellte Plan für eine neue Kraftwerksstrategie sieht konkret den Zubau von 8,8 GW an reinen Wasserstoffkraftwerken sowie weiteren 15 GW an neuen, sogenannten wasserstofffähigen Gaskraftwerken vor, von denen 10 MW schon bis 2026 fertiggestellt werden sollen. Offen geblieben ist neben den wirtschaftlichen Bedingungen u. a. auch, wie bis dahin die nötige Wasserstoffinfrastruktur bereitgestellt wird. Abgesehen von den zunehmend kritisch werdenden Zeit- und Kostenfaktoren dieses Plans gibt es erhebliche Zweifel, ob dessen Grundannahmen stimmen, wie die viel beachtete, im Herbst 2023 veröffentlichte e.venture-Studie „Zukunft des deutschen Strommarkts“ gezeigt hat (19).

Fig. 11. Expected development of electricity generation and demand up to 2040. // Bild 11. Erwartete Entwicklung von Stromerzeugung und -bedarf bis 2040. Source/Quelle: e.venture 2023
Diese Studie hat die Auswirkungen eines dekarbonisierten, auf bestehende Kohle- und Gaskraftwerke – und sowieso stillgelegte oder neue Kernkraftwerke – ganz verzichtenden Stromsystems auf Investitionen, Marktdesign und Versorgungssicherheit gründlich untersucht. Sie geht davon aus, dass der Strombedarf in Deutschland durch die angestrebte Transformation hin zu einer Vollelektrifizierung auch von Industrie-, Wärme- und Verkehrssektor beträchtlich steigen dürfte, und zwar gegenüber 2021 um 31 % bis 2030 und 67 % bis 2040 auf dann 943 TWh/a (Bild 11). Eine regelbare Absicherung der dann planmäßigen regenerativen Stromerzeugung würde aber nicht bloß knapp 25 GW, sondern 75 GW, also gut das Dreifache, an neu zu bauenden oder umzurüstenden H2 -ready-Gaskraftwerken erfordern, sofern nicht wiederkehrende Abschaltungen oder unsichere Abhängigkeit von Stromimporten in großem Stil in Kauf genommen werden sollen (Bild 12). Andere Studien kämen zwar zu geringeren investiven Erfordernissen, überschätzten jedoch die Flexibilitäten von Nachfrage und Angebot um Größenordnungen.

Fig. 12. Conversion and new construction requirements for H2-ready gas-fired power plants. // Bild 12. Umrüstungs- und Neubaubedarf für H2-ready-Gaskraftwerke. Source/Quelle: e.venture 2023
Die e.venture-Studie hat zudem deutlich gemacht, dass bei einem allein auf erneuerbare Energien sowie H2 -ready-Gaskraftwerke bzw. Wasserstoffkraftwerke gestützten System die Grenzkosten der Stromerzeugung und damit die Strompreise dauerhaft deutlich ansteigen (höhere Systemkosten kommen noch hinzu), selbst wenn die Gasversorgungssicherheit nicht beeinträchtigt würde und temporäre Preissteigerungen am Gasmarkt 2022/23 ausblieben (Bilder 13, 14).

Fig. 13. Foreseeable marginal costs of electricity generation
(excluding coal). // Bild 13. Absehbare Grenzkosten der Stromerzeugung (ohne Kohle). Source/Quelle: e.venture 2023

Fig. 14. Electricity price level in Germany today and in the future (excluding coal). // Bild 14. Strompreisniveau in Deutschland heute und künftig (ohne Kohle). Sources/Quellen: EEX, EPEX Spot, SMARD.de, e.venture Analyse

Fig. 15. CO2-equivalent coal/natural gas/LNG. // Bild 15. CO2-Äquivalente Kohle/Erdgas/LNG. Source/Quelle: Howarth 2023
Letzteres ist angesichts der aus heutiger Sicht dauerhaft anzunehmenden Abhängigkeit der deutschen wie der EU-Gasversorgung von LNG-Importen aus Übersee sowie der geopolitischen Risiken auf den internationalen Gasmärkten eine gewagte Annahme (20). Noch klarer ist, dass Gaskraftwerke, die durch LNG-Importe versorgt werden, mit Blick auf die CO2-Äquivalente der gesamten Lieferkette unter Klimaaspekten keineswegs einen Vorteil gegenüber Kohlestrom, sondern einen Nachteil darstellen, wie die Howarth-Studie für LNG-Exporte der USA belegt hat (21). Dabei ist nahezu CO2-freie Kohleverstromung mit CC(U)S in diesem Vergleich noch gar nicht berücksichtigt (Bild 15).
Ein Rechenexempel zu klimafreundlichen Stromerzeugungskosten
Eine klimafreundliche Stromerzeugung aus Kohle mit CC(U)S als Teil des Energiemix böte nicht nur unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit beträchtliche Vorteile gegenüber einer Kraftwerksstrategie, die nur auf Gas in Verbindung mit Wasserstoff setzt, sondern nach Stand der Dinge auch unter ökonomischen Gesichtspunkten. Dazu wird nachfolgend ein einfaches Rechenexempel präsentiert, dass zwar recht grob ist, weil es auf wirtschaftliche Szenarien und Bandbreitenabschätzungen verzichtet, aber auf robuste, realitätsbezogene Annahmen sowie klare Aussagen zu den Stromkosten je Kilowattstunde abstellt.
Verglichen werden die Stromkosten aus dem Einsatz von Braun- und Steinkohle sowie Erdgas in GuD-Anlagen oder mit einfacher Turbine verknüpft CCS- bzw. CO2-Zertifikatekosten mit denen von Wasserstoffkraftwerken. Nicht einbezogen sind stillgelegte Kernkraftwerke, die mit rd. 2,5 Ct/kWh die bei weitem kostengünstigste klimafreundliche Stromerzeugung hätten bereitstellen können, jedoch in Deutschland seit April 2023 Geschichte sind. Für neue Kernkraftwerke bzw. die neue Generation der Kernkrafttechnologie gibt es unter den hiesigen Rahmenbedingungen gegenwärtig keine belastbare Kostenschätzung. Das kann sich in Zukunft durch die weitere Entwicklung natürlich ändern.
Benchmark sind zugleich die aktuellen Stromgestehungskosten von Windkraft und PV gemäß ihrer Mindest- bzw. Endvergütung von 7,35 bzw. 7 Ct/KWh, bei denen eine im Durchschnitt noch eben kostendeckende Produktion unterstellt werden kann. Einzelne Standorte mögen aufgrund günstiger Witterungs- und/oder geografischer Bedingungen geringere Gestehungskosten aufweisen. Ein ökonomisch sachgemäßer Erzeugungskostenvergleich erfordert allerdings zusätzlich die Anrechnung der höheren Systemkosten im Vergleich zu den bestehenden Kohle- und Gaskraftwerken, bei denen wiederum die CO2– bzw. CO2-Vermeidungskosten aufzuschlagen sind. Diese Systemkosten beziehen sich auf die nötigen Backup- oder Speicherkapazitäten, Regelenergie und Abregelungsbedarfe, den zusätzlichen Netzausbau und das Redispatching, die sich aus ihrer naturbedingten Volatilität und Dezentralität ergeben. Sie werden im deutschen Stromversorgungssystem jedoch in den Netzkosten und -entgelten abgebildet, nicht in den unmittelbaren Gestehungskosten und im Strommarktpreis. Diese Systemkosten sind im Hinblick auf ein vollständig dekarbonisiertes Erzeugungssystem bei Stilllegung aller bestehenden konventionellen Kapazitäten schon vor einigen Jahren auf ein Anwachsen bis zu 8 Ct/kWh geschätzt worden (22). Die Vollkosten für Wind- und Solarstrom würden demnach rd. 15 Ct/KWh betragen. Ein Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken mit CCS wäre voraussichtlich günstiger und könnte Stromkosten und -preise künftig beträchtlich senken.
Nachfolgende Stromkostenberechnungen beziehen sich auf eine Präsentation von Vahrenholt nach Branchenangaben aus dem Herbst 2023 (23) sowie die e.venture-Studie, bei denen die Zusatzkosten für CO2 bzw. CCS eigenständig hochgerechnet worden sind. Dabei wird keine Präzision behauptet oder beansprucht, sondern lediglich eine realitätsnahe Abschätzung von Größenordnungen zu Vergleichszwecken. Nach Vahrenholt können die kompletten CCS-Kosten für Transport und dauerhafte Speicherung des CO2 in Basaltgestein, wie sie derzeit im Projekt von Carbfix auf Island demonstriert wird, auf 60 bis 80 €/t CO2 veranschlagt werden. Damit liegen sie unterhalb der CO2-Preise im europäischen CO2-Emissionshandelssystem (ETS), die Ende 2023 bei knapp über 80 €/t CO2 lagen und durch die planmäßige weitere Rationierung künftig tendenziell aufwärts gerichtet sein dürften. Dem rechnerischen Vergleich sollen deshalb CCS-Kosten von jeweils 60 und 80 €/t CO2 sowie einem unterstellten künftigen CO2-Preis im ETS von 100 €/t zugrunde gelegt werden (Tabelle 1).

Table 1. Comparison of electricity costs for coal/gas/hydrogen (with CO2 and CO2 avoidance costs). // Tabelle 1. Stromkostenvergleich Kohle/Gas/Wasserstoff (mit CO2– bzw. CO2-Vermeidungskosten).
Ob und inwieweit die hier zugrunde gelegten Kostenprämissen unter jeweils konkreten Bedingungen tatsächlich zutreffen, ist zu überprüfen – was erstaunlicherweise in dieser Form bisher offiziell nirgendwo erfolgt ist. Freilich kann der technische und wirtschaftliche Fortschritt die spezifischen Werte in Zukunft verändern und möglicherweise zu niedrigeren Kosten führen. Doch das gilt freilich für alle Optionen. Sollten die Annahmen wie in Tabelle 1 dargestellt einigermaßen zutreffen, bleibt Wasserstoff die teuerste Option und auch H2 -ready-Gaskraftwerke sind auf Sicht zu teuer, notabene im Vergleich zu klimafreundlicher Stromerzeugung auf Basis konventioneller Kraftwerke mit CCS. Erdgas wäre erst bei hohen CO2-Preisen günstiger als Kohle. Doch Kohle mit CCS ist und bleibt günstiger als Erdgas mit CCS, sofern die angenommenen CCS-Kosten realistisch sind. Wenn das der Fall ist, stellt sich aus ökonomischer Sicht in der Tat die Schlüsselfrage: Warum verfolgt Deutschland eigentlich noch den Ausstieg aus der Kohleverstromung?
Fazit
Da nach der vorgelegten Analyse ein Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland weder einen international verhältnismäßigen Beitrag zur CO2-Reduktion noch auf nationaler Ebene einen ökonomisch überzeugenden Beitrag zu einem klimafreundlichen Stromsystem leistet, sollte er dringend überdacht werden. Die Entwicklung der CC(U)S-Technologie ist ein Gamechanger. Die gesetzlich anstehende, längst überfällige Überprüfung des Kohleausstiegs bietet schon rein formal Anlass dafür. Die Sachlage gebietet es auch ohne diese. Das müsste entsprechende Konsequenzen für die neue nationale Kraftwerksstrategie haben, die auch bestehende Kohlekraftwerke einbeziehen bzw. weiterlaufen lassen und mit CCS ausstatten sollte. Das wiederum sollte zu Kurskorrekturen bei den energiepolitischen Weichenstellungen für den heimischen Braunkohlenabbau und die Steinkohlenimporte führen. Das ist keineswegs ein grundsätzliches Plädoyer gegen den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien, aber ein Votum für einen ökonomisch vernünftigeren, ausgewogeneren Energiemix, in dem die Kohle auch künftig eine Rolle spielt. Ähnliche Überlegungen könnten für das heimische Erdgas angestellt werden, was aber nicht Gegenstand dieser Untersuchung war, ebenso wenig wie die Frage nach einer möglichen Wiedereinbeziehung der Kernkraft. Klar ist, dass bei einem zunehmenden Anteil Erneuerbarer die Rolle der Kohle in der Stromerzeugung weiter eingeschränkt wird. Doch eine Ausgleichs- und Reservefunktion bleibt weiterhin nötig und diese erfüllt die Kohle besser und kostengünstiger als ein vollständig aus Erdgas oder gar Wasserstoff konzipiertes Backup. Dies steht auch nicht den eingeleiteten strukturpolitischen Fördermaßnahmen für die deutschen Kohleregionen entgegen, denn erstens sind eine Reihe von Kraftwerksstilllegungen bereits erfolgt und wie die bereits vorliegende erste Evaluation des Investitionsgesetzes Kohleregionen belegt, haben diese unverändert einen relativ hohen strukturpolitischen Nachhol- und Förderbedarf, abgesehen davon, dass der Erfolg und die Zeitdauer vieler in Aussicht genommener Transitionsprojekte noch weitgehend offen ist. (24)
References / Quellenverzeichnis
References / Quellenverzeichnis
(1) Die Welt vom 29.12.2023: Verbot der Stilllegung. Abrufbar unter https://www.welt.de/wirtschaft/plus249179614/Verbot-der-Stilllegung-Bundesnetzagentur-ueberrascht-mit-Veto-gegen-Kohleausstieg.html
(2) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/gaskraftwerke-kohlekraftwerke-energie-100.html. Andere Schätzungen reichen bis zu 60 Mrd. €.
(3) Gesetz zur Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz – KVBG) vom 8.8.2020, zuletzt geändert am 19.12.2022. Abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/kvbg/BJNR181810020.html
(4) Siehe COP28 Final Declaration, insb. Ziffer 28. Abrufbar unter https://unfccc.int/topics/global-stocktake
(5) Hennig, F. (2023): Erst fallen die Blätter, dann die Illusionen. In: Tichys Einblick Heft 12/2023, S. 62f.
(6) FAZ vom 22.11.2023: Ohne Kohle geht es nicht.
(7) van de Loo, K. (2019): Der Kohleausstieg: ein energie- und regionalwirtschaftliches Abenteuer. In: Mining Report Glückauf (155) Heft 2, S. 178 – 193.
(8) van de Loo, K. (2022): Kohleausstieg aussetzen – Bestandsanlagen im Betrieb halten und verfügbare Kapazitäten reaktivieren, der Transition mehr Zeit geben. In: Mining Report Glückauf (158) Heft 6, S. 547 – 570; siehe auch Ders: Suspend coal phase-out – Keep existing plants in operation and reactivate available capacities, give transition more time. In: vgbe energy journal No. 3 (2023), pp.73 – 84.
(9) van de Loo, K. (2023): Grundlagen einer nachhaltigen Ökonomie der Transition von Bergbauregionen (dargestellt am Beispiel des Kohleausstiegs in Deutschland). Berichte zum Nachbergbau Heft 4, Selbstverlag der Technischen Hochschule Georg Agricola Bochum.
(10) Vgl. die Angaben der AG Energiebilanzen zum PEV 2023. Abrufbar unter https://ag-energiebilanzen.de
(11) Siehe die Angaben des Global Carbon Project zu 2023 auf https://globalcarbonbudget.org/
(12) IEA Coal Report 2023. Abrufbar unter https://www.iea.org/reports/coal-2023
(13) Abschlussbericht der Ethik-Kommission: Sichere Energieversorgung: Deutschlands Energiewende – ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft. S. 98, 107ff. Abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/2065474/394384/518484484f75214eb933bcdf8fdb1434/2011-07-28-abschlussbericht-ethikkommission-data.pdf?download=1
(14) Siehe zur Akzeptanzproblematik (nicht nur) von CCS Haske, J.; van de Loo, K. (2024): Akzeptanz von Infrastrukturmaßnahmen. In: EEK 140. Jg. Ausgabe 1, S. 23 – 36.
(15) Wirtschaftswoche vom 2.12.2023: Einmal schnell die Welt retten – und die Koalition. Abrufbar unter https://www.wiwo.de/politik/deutschland/klimakonferenz-cop28-streit-um-ccs-technik/29537394-2.html. Ferner die IEA-Website Carbon Capture, Utilization and Storage. Abrufbar unter https://www.iea.org/energy-system/carbon-capture-utilisation-and-storage
(16) Siehe www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Industrie/weitere-entwicklung-ccs-technologien.html. Außerdem die Ausführungen zu CCS/CCU in der neuen Industriestrategie des BMWK („Industriepolitik in der Zeitenwende“), S. 53f. Abrufbar unter https:// www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Industrie/industriepolitik-in-der-zeitenwende.pdf?__blob=publicationFile&v=16
(17) Siehe Haske/van de Loo, a.a.O., S. 34.: neuere geologische Forschungsergebnisse sehen sogar enorme CO2-Speicherpotenziale, ein „super basin“, in Nord- und Ostsee. Siehe dazu Underhill, J. R. et al. (2023): Use of exploration methods to repurpose and extend the life of a super basin as a carbon storage hub for the energy transition | AAPG Bulletin | GeoScienceWorld. Abrufbar unter https://pure.hw.ac.uk/ws/portalfiles/portal/100898466/bltn22097.pdf
(18) van de Loo, K.; Haske, J. (2023): Windkraft für die Transition von Kohlestandorten – Perspektiven und Probleme. In: Mining Report Glückauf (159) Heft 5, S. 437 – 464, hier insb. S. 450.
(19) e.venture-Studie: Zukunft des deutschen Strommarkts. Abrufbar unter https://e-vc.org/wp-content/uploads/e.venture_Strommarkt-2040_Versand.pdf
(20) Umbach, F. (2023): Die LNG-Versorgungssicherheit der EU: Ausreichende Kapazitäten oder Stranded Assets? In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Heft 5, S. 24 – 29.
(21) Robert W. Howarth, R. W. (2023): The Greenhouse Gas Footprint of Liquefied Natural Gas (LNG) Exported from the United States. Cornell University. Abrufbar unter https://www.research.howarthlab.org/publications/Howarth_LNG_assessment_preprint_archived_2023-1103.pdf
(22) Diese Zahlen stammen aus der gründlichen Bestandsaufnahme vorliegender Berechnungen zu den Vollkosten der Stromerzeugung einschließlich der Systemkosten in Abhandlung von F. Blümm: Vollkosten pro KWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2024? Abrufbar unter https://www.tech-for-future.de/kosten-kwh/. In diesem Zahlenwerk fehlen jedoch die Einberechnung der CCS-Option und die Berücksichtigung spezifischer deutscher Gegebenheiten.
(23) Die Präsentation von F. Vahrenholt fand statt auf der Tagung von Energievernunft Mitteldeutschland am 15.11.2023 in Berlin „Höchste Zeit für einen energiepolitischen Kurswechsel“. Abrufbar unter https://www.energievernunft-mitteldeutschland.de/.cm4all/uproc.php/0/Pr%C3%A4sentation%20PK%2015.11.2023.pdf?cdp=a&_=18bdcc2f0e9&cm_odfile
(24) Siehe „Erster Bericht über die Evaluierung des Investitionsgesetzes Kohleregionen“. BT-Drs. 20/8117. Abrufbar unter https://dserver.bundestag.de/btd/20/081/2008117.pdf