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Für gesunde Arbeit: Führungskräfte in der Verantwortung

Gerade erst vor wenigen Wochen reiste die sechzehnjährige Greta Thunberg in die USA, um die dortige Klimaschutzbewegung zu unterstützen und ihre zentrale Botschaft hinsichtlich des im September 2019 stattgefundenen UN-Klimagipfels in New York weiter zu verbreiten. Greta erreichte als Umweltaktivistin so bereits zahlreiche Menschen überall auf der Welt. Aber was ist an Greta so besonders? Und welcher Zusammenhang besteht zwischen der Kampagne einer schwedischen Teenagerin und dem Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz?

Greta berichtete, dass sie erstmals im Alter von acht Jahren vom Klimawandel gehört habe und schon damals nicht nachvollziehen konnte, warum nur so wenig gegen eben diesen getan wurde. Auf der Konferenz TEDxStockholm 2018 erzählte sie davon, wie sie allmählich den Klimawandel zu begreifen begann, aber nicht verstand, warum dies nicht wichtigstes Thema in den Medien sei, so „als gäbe es derzeit auch einen Weltkrieg“.

Lassen Sie uns Greta und den Klimawandel für einen Moment außer Acht lassen und wenden wir, als Experten im Fach Arbeitssicherheit, uns erneut der Arbeitswelt zu. Dass es Unfälle und langfristig gesundheitlich schädigende Zustände an Arbeitsplätzen gibt, ist uns allen bestens bekannt. Schafft dies es auf die Titelseiten? Gelegentlich: „18-jähriger stirbt nach Entfernen des Schutzgitters einer Maschine”, „Mann stirbt nach 20 m-Sturz von einem Gerüst“, „Bauarbeiter von rückwärtsfahrendem Radlader überfahren“. Doch im Gegensatz zu den meisten wichtigen Meldungen bestehen sie meist nur aus wenigen Zeilen. Gleiches gilt für Verkehrsunfälle, die gleichsam zu unserem Aufgabengebiet der Prävention gehören, unabhängig davon, ob es sich dabei um tatsächliche Arbeitsunfälle oder Wegeunfälle handelt.

Und wie steht es um Berufskrankheiten? Werden diese von den Medien aufgegriffen? Selten. Zumeist finden sie Erwähnung im Zusammenhang mit deswegen geänderten Gesetzen, und noch seltener als konkreter Aufruf zu Verbesserungen.

Abgesehen von der Erwähnung in den Medien, wieviel Aufmerksamkeit wird denn der Arbeitssicherheit geschenkt? Sagen wir beispielsweise in der Bildung? Ich habe hierzu mit einem Kollegen aus unserer Arbeitsgruppe gesprochen, der gerade acht Bücher im Rahmen seiner Masterarbeit zum Thema Personalwesen und -management durchgearbeitet hatte. Was denken Sie, wie oft das Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zur Sprache gekommen ist? Die Antwort ist: gar nicht.

Es scheint daher, als würden wir dieses Thema als unveränderbar ansehen und Negativereignisse als willkürlich auftretende, unkontrollierbare oder einfach als unglückliche Vorkommnisse deuten. Tatsächlich sind diese Ereignisse aber eher eine Folge von Vernachlässigung des Themas selbst, und ich meine, dass ihr Umfang viel zu groß ist, als dass dies mit unschuldigem Achselzucken abgetan werden könnte.

Die International Labor Organization (ILO) schätzt, dass weltweit jährlich etwa 2,3 Mio. Frauen und Männer durch Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit zu Tode kommen (1) – das entspricht mehr als 6.000 Todesfällen pro Tag.

Sehen Sie, diese Sitzung dauert ca. zwei Stunden. In dieser Zeit, rein statistisch gerechnet, sterben weltweit nun also 500 Menschen durch arbeitsbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen. 500 Menschen in den zwei Stunden, in denen wir hier zusammen sind. Über die Zeit der gesamten Veranstaltung OSH-Africa sind es gar 18.000.

Ein tödlicher Arbeitsunfall ist natürlich das schwerwiegendste Ereignis und dennoch nur die Spitze des Eisbergs. Überlebende haben nach einem Arbeitsunfall nicht selten mit bleibenden Schäden wie Amputationen, Lähmungen oder dem Verlust von Sinnen und motorischen Fähigkeiten zu kämpfen. Der Verlust der eigenen Arbeitskraft ist auch gefolgt von finanziellen Auswirkungen für den Betroffenen und dessen Familie.

Laut ILO kommt es im Lauf eines Jahres weltweit zu etwa 340 Mio. Arbeitsunfällen und bei 160 Mio. Menschen wird eine Berufskrankheit diagnostiziert. Die Zahlen werden durch die ILO regelmäßig aktualisiert, woraus zu erkennen ist, dass sie steigen.

Seit 2012 läuft im Bergbausektor nun das Programm VISION ZERO als eine Vision von einer Arbeitswelt ohne Unfälle oder arbeitsbedingte Krankheiten. Oberste Priorität hat die Vermeidung von allen tödlichen und schweren Arbeitsunfällen sowie die Verhütung von Berufskrankheiten.

Kritiker behaupteten indes, wir seien zu ambitioniert. Sie fragten, wie man jeden einzelnen Unfall vermeiden solle und ob Arbeitsunfälle nicht einfach zum Berufsalltag dazugehörten, so wie es immer gewesen sei und wohl immer sein werde. Blickt man jedoch auf die einzelnen tödlichen Unfälle, so wird schnell deutlich, dass jeder davon mit entsprechenden präventiven Maßnahmen vermeidbar gewesen wäre.

Darüber hinaus stellt sich die Frage aber auch ganz anders: Welche Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle ist denn vertretbar und sollte in der Zielvorstellung zum Arbeitsschutz festgeschrieben werden? Nehmen wir ein Land wie Deutschland mit rd. 80 Mio. Einwohnern: 300 Tote pro Jahr? So wenige gab es tatsächlich noch nie, also ein guter Grund, damit zufrieden zu sein? Natürlich nicht. Und 200? Oder wären 50 ok? Was würde die Familie eines berufsbedingt tödlich Verunglückten sagen, wenn Sie ihr die traurige Botschaft überbringen aber gleichzeitig betonen, dass Sie insgesamt mit der Unfallstatistik ganz zufrieden seien?

„Visionen sind Strategien des Handelns. Das unterscheidet sie von Utopien.“, so formulierte es der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1998 in einem Weckruf an die Nation. Und dies gilt für VISION ZERO gleichermaßen.

Fig. 1. The Southern Africa-German Chamber of Commerce and Industry also supports the goals of ISSA Mining: René Zarske, Project Manager – Mining & Mineral Resources, of the Chamber (r.) with Helmut Ehnes (l.), General Secretary of ISSA Mining. // Bild 1. Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika unterstützt die Ziele von ISSA Mining: René Zarske, Projektmanager Mining & Mineral Resources von der Handelskammer (re.) mit Helmut Ehnes (li.), Generalsekretär von ISSA Mining. Photo/Foto: ISSA

Als Arbeitssicherheitsexperten hatten wir die Chance, im Rahmen des Netzwerks von ISSA Mining in den Betrieben weltweit die am besten funktionierenden Methoden in Sachen Arbeitsschutz kennenzulernen, die von Betrieben auf ihrem eigenen Weg zu mehr Arbeitssicherheit angewandt wurden. Wir zogen daraus das, was wir für die beste Kombination für eine Strategie hielten und führten diese als die sogenannten 7 Goldenen Regeln für Sicherheit im Bergbau zusammen.

Die Ideen wurden dabei nicht rein akademisch zusammengetragen. Wir erhielten reichlich Unterstützung (Bild 1), Beurteilung und Hinweise bei der Formulierung von über 1.000 Experten auch aus der Industrie. Wir erhielten zahlreiches Feedback und drei Jahre danach übernahm die International Social Security Association (ISSA) dieses Konzept schließlich für all ihre 13 Sektionen, die sich für Unfallprävention in allen Teilen der Industrie und weltweit einsetzten. Im Jahr 2017 wurde VISION ZERO schließlich auf der 21. Konferenz zum Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in Singapur der Öffentlichkeit vorgestellt und breitete sich von nun an wie ein Lauffeuer aus. In weniger als zwei Jahren schlossen sich etwa 6.000 Unterstützer offiziell dem Programm VISION ZERO an.

Greta Thunberg hat mit ihren Aktionen weltweit Aufsehen erregt, Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels geschaffen und zahlreiche Schüler und Studenten für ihre Bewegung „Fridays for Future“ gewonnen. Inwiefern betrifft uns dies jetzt?

Millionen Menschen von überall auf der Welt erkennen nun, dass es Zeit zum Handeln ist und die lange Phase des Wegsehens vorbei sein muss. Wieder einmal hat uns die junge Generation gezeigt, dass manchmal mehr getan werden muss und auch getan werden kann, um schlimmere Folgen von uns als Gesellschaft abzuwenden. Also, wo ist unsere Greta? Wer wird die Jugend heute für VISION ZERO motivieren? Wann wird es „Fridays for VISION ZERO“ geben? Unfallfreiheit ist kein neues Ziel. Ich fühle mich geehrt, meinen Teil zum Erreichen dieses Ziels beitragen zu können. Ich persönlich kann mir derzeit nichts Wertvolleres vorstellen, als mich für das Leben von Menschen und deren Integrität einzusetzen.

Autor: Ulrich Meesmann, Vorsitzender der Internationalen Arbeitsgruppe Bergbau (ISSA Mining), Bochum/Deutschland
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