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Ist Ihr Unternehmen fit für eine ältere Belegschaft?

Bis zum Jahr 2030 werden Arbeitnehmer im Alter von 55 bis 64 Jahren in vielen europäischen Ländern erwartungsgemäß 30 % oder mehr der Erwerbsbevölkerung ausmachen. Das Rentenalter steigt in vielen Mitgliedstaaten und viele Arbeitnehmer werden länger arbeiten. Das wirft wichtige Fragen für die betriebliche Prävention auf und stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. In der Strategie „Europa 2020“ wird der demografische Wandel als eine der größten Herausforderungen Europas bezeichnet. Um diese anzugehen, nennt der Strategische Rahmen der Europäischen Union (EU) für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz von 2014 bis 2020 Maßnahmen zur Förderung guter praktischer Lösungen und zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz für alle Arbeitnehmer.

Autor: Peter Schrandt, Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), Langenhagen

Voneinander lernen in Europa

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) unterstützt Unternehmen und Multiplikatoren dabei, Arbeitsplätze für alle Altersgruppen anzupassen und damit die Gesundheit der Beschäftigten wie die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Mit der europaweiten Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – für jedes Alter“ richtet sie sich an Einzelpersonen wie Organisationen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene in 30 europäischen Ländern.

Die Kampagne läuft in den Jahren 2016 und 2017 und verfolgt im Wesentlichen folgende Ziele:

  • Förderung der nachhaltigen Arbeit und des gesunden Alterns von Beginn des Berufslebens an,
  • Vermeidung von Gesundheitsproblemen während des
    gesamten Arbeitslebens,
  • Förderung von Möglichkeiten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit im Zusammenhang mit einer alternden Arbeitnehmerschaft zu gewährleisten und
  • Förderung des Austauschs von Informationen und bewährten Verfahrensweisen.

Ausgezeichnet: So machen es gute Unternehmen

Im Vorfeld des Welttags für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit am 28. April 2017 fand die Preisverleihung des Wettbewerbs für gute praktische Lösungen für gesunde Arbeitsplätze in Valletta/Malta statt. Die EU-OSHA stellte mit den ausgezeichneten Beiträgen erfolgreiche Maßnahmen vor, die europäische Organisationen ergriffen haben, um ihre Arbeitsplätze für Arbeitnehmer jeden Alters sicherer und gesünder und damit produktiver zu machen.

Die maltesische Präsidentschaft des Rats der EU war Gastgeber der Verleihung des Preises für gute praktische Lösungen für gesunde Arbeitsplätze, die am 26. April 2017 im Rahmen ihrer Dreiparteien-Konferenz für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit „Safeguarding Vulnerable Groups“ (Schutzbedürftige Gruppen schützen) stattfand. Der Wettbewerb ist ein wesentliches Element der Kampagne 2016/17 „Gesunde Arbeitsplätze – für jedes Alter“ und soll innovative Maßnahmen von Organisationen zur Förderung eines nachhaltigen Arbeitslebens aufzeigen.

Zur Eröffnung der Konferenz erklärte die maltesische Ministerin für sozialen Dialog, Verbraucherfragen und bürgerliche Freiheiten Helena Dalli: „Die maltesische Ratspräsidentschaft hat es sich zum Leitsatz gemacht, alles, was sie tut, in erster Linie an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger auszurichten. Viele europäische Arbeitnehmer über 50 Jahre sind der Meinung, dass sich ihre Arbeit nachteilig auf ihre Gesundheit auswirkt. Wir hoffen, dass die Auszeichnungen Unternehmer in der gesamten EU und in Malta dazu ermutigen werden, Schritte einzuleiten, um die Arbeitsplätze für ihre Arbeitnehmer sicherer, gesünder und gerechter zu machen.“

Christa Sedlatschek, Direktorin der EU-OSHA, stellte im Zusammenhang mit sicheren und gesunden Arbeitsbedingungen während des gesamten Arbeitslebens fest: „Die Erwerbstätigen in Europa altern, und in vielen Ländern wird das Renteneintrittsalter angehoben. Durch die Einführung bewährter Verfahrensweisen beim Altersmanagement können Arbeitgeber die Gesundheit ihrer Mitarbeiter schützen und die Zukunft ihrer Unternehmen sichern. Mit diesem Wettbewerb motivieren wir relevante Interessenträger, stellen Beispiele für erfolgreiche Maßnahmen bereit und schaffen in ganz Europa eine Präventionskultur.“

Aus allen Teilen Europas haben unterschiedlich große Organisationen aus verschiedenen Wirtschaftszweigen Beiträge zum Wettbewerb eingereicht (Bild 1). Die ausgezeichneten und die empfohlenen Beispiele waren nachweislich erfolgreich, nachhaltig und auf andere Arbeitsplätze übertragbar.

Fig. 1. Companies from 23 countries came up with concepts to design workplaces suitable for all ages. The representatives of the winners were honored in Malta. // Bild 1. Unternehmen aus 23 Ländern haben Konzepte entwickelt, um Arbeitsplätze aus allen Altersgruppen gesundheitsfördernd zu gestalten. Die Repräsentanten der Gewinner wurden in Malta geehrt. Photo/Foto: EU-OSHA

Zu den Gewinnern gehören

  • ein österreichischer Leuchtenhersteller, der eine neue Abteilung speziell eingerichtet hat, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter in der Lage sind, länger im Unternehmen tätig zu bleiben,
  • ein deutscher Reifenhersteller, der eine unternehmensweite Datenbank mit Stellenangeboten und Erfordernissen von Mitarbeitern eingerichtet hat, um die Umbesetzung und Integration von Arbeitnehmern mit besonderen Bedürfnissen zu verbessern,
  • ein finnisches Bauunternehmen im Familienbesitz, das Anstrengungen unternimmt, um die Zahl der schweren Arbeitsunfälle bis zum Jahr 2020 auf Null zu senken, und
  • ein spanischer Autohersteller, der Maßnahmen ergriffen hat, um die Arbeit auf die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter zuzuschneiden und Arbeitsplatzrisiken individuell zu bewerten.

Lösungen aus dem Bergbau und der Zementindustrie

Vassiliko Cement Works PLC, Nikosia/Zypern, produziert Klinker und Zement. Dazu betreibt das Unternehmen mehrere Steinbrüche. Beschäftigte in der Altersgruppe von 50 bis 64 Jahren machen inzwischen ein Drittel der Belegschaft aus.

Um steigender Frühverrentung und Arbeitsunfähigkeit zu begegnen, führte Vassiliko eine Gefährdungsbeurteilung durch, die insbesondere den Risiken Rechnung trägt, denen ältere Beschäftigte ausgesetzt sind. Als besondere Belastungen stellten sich dabei physisch schwere Arbeiten und Schichtsysteme heraus. Als Reaktion wurde die Schichtzahl von vier auf fünf erhöht. Dafür wurden 15 neue Arbeitnehmer eingestellt. Zur ergonomischen Verbesserung wurden Hebehilfen installiert, und auch die Büroarbeitsplätze wurden ergonomisch umgestaltet (Bild 2).

Fig. 2. Cement producer Vassiliko from Cyprus wants to foster the ability to work of older employees and keep their skills and experience in the company. Physically strenuous work, shift systems and ergonomic workplace designs are in the focus. // Bild 2. Der Zementhersteller Vassiliko aus Zypern will die Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer sichern und Kompetenz im Unternehmen halten. Physisch schwere Arbeiten, Schichtsysteme und ergonomische Arbeitsplätze stehen im Fokus. Photo/Foto: EU-OSHA

Systematische arbeitsmedizinische Screenings überprüfen, ob die Beschäftigten noch für ihre Tätigkeit geeignet sind. Wo notwendig, werden in Abstimmung mit dem Beschäftigten, dem Management und dem Arbeitsmediziner neue Aufgaben zugewiesen. Die Teams werden nun aus Arbeitnehmern unterschiedlicher Altersgruppen gemischt zusammengestellt, für ältere Beschäftigte werden Schulungen zum Umgang mit Stress und neuen Technologien angeboten.

Im Ergebnis stellt der Baustoffproduzent fest, dass sich die Arbeitnehmerzufriedenheit ebenso verbessert hat wie die Produktivität.

Zu den Gewinnern des Wettbewerbs gehört auch das serbische Bergbauunternehmen Rudnik, das Blei-, Zink- und Kupfererz gewinnt. Seit der Privatisierung im Jahr 2004 stellte das Management fest, dass weder die Sicherheitstechnik noch das Arbeitsschutzmanagement ausreichten. Durch die zunehmende Frühverrentung verlor die Belegschaft vor allem in der Altersgruppe von 45 bis 50 Jahren ein hohes Maß an Kompetenz und Erfahrung. Die Beschäftigungsfähigkeit verbliebener älterer Arbeitnehmer stand in Frage.

Rudnik verbesserte den Wissenstransfer innerhalb der Belegschaft auch im Arbeitsschutz, sowohl innerhalb des eigenen Bergwerks als auch in Kooperation mit einem Partnerunternehmen. Das Unternehmen intensivierte die Kooperation mit der Aufsichtsbehörde zur Prävention und holte Experten der Gewerkschaft mit an den Tisch, um die Stimmen der Arbeitnehmer besser zu berücksichtigen. Die Expertise von Arbeitsmedizinern und systematische Vorsorgeuntersuchungen wurden ergänzt, die persönliche Schutzausrüstung flächendeckend optimiert und die Qualifikation der Beschäftigten erhöht.

Fig. 3. Know-how transfer and participation support the systematic optimization of prevention at Rudnik in Serbia. // Bild 3. Wissenstransfer und Partizipation unterstützen die systematische Optimierung der Prävention bei Rudnik in Serbien. Photo/Foto: EU-OSHA

Die Maßnahmen zeigen Erfolg. Die Unfallquote konnte drastisch gesenkt werden, neue Erkrankungen wurden nicht mehr registriert. Die Zahl der vorzeitigen Renteneintritte wurde gemindert, und das Bergwerk hat seine Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt erhöht.

Hohes Ideenpotential aus 23 Ländern online verfügbar

Zum Wettbewerb für gute praktische Lösungen für gesunde Arbeitsplätze 2016/17 sind 42 Beiträge aus 23 Ländern von Organisationen aller Größenordnungen und aus vielen Branchen eingegangen.

Ausgezeichnet wurden:

  • VitaS, Belgien: partizipative Maßnahmen zur Minimierung körperlicher und psychosozialer Risiken im Bereich der sozialen Pflegedienste,
  • Continental AG, Deutschland: unternehmensweites Ergonomie- und Demographieprogramm eines großen Herstellers der Automobilindustrie,
  • Heidelberger Druckmaschinen AG, Deutschland: Förderung von Gesundheitsschutz, Fachwissen und Flexibilität durch partizipative Maßnahmen,
  • PSA Group, Spanien: Anpassung der Arbeitsplätze an Bedürfnisse von Arbeitnehmern in der Automobilindustrie, um die Beschäftigungsfähigkeit aller Mitarbeiter zu stärken,
  • MAVIR ZRt, Ungarn: Verbesserung der Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer im Energiesektor,
  • Zumtobel Group AG, Österreich: Erhaltung und Verbesserung der Arbeitsfähigkeit und Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern im Verarbeitenden Gewerbe,
  • Rudnik, Serbien: Führungskräfte und Bergleute arbeiten zusammen, um die Vorruhestandsquote zu senken,
  • Lujatalo Oy, Finnland: Beitrag zur Sicherstellung, dass Arbeitnehmer im Baugewerbe das Rentenalter bei guter Gesundheit erreichen.
  • SAP SE, Deutschland, offizieller Kampagnenpartner: „Run Your Health“ (Lauf Dich gesund!) – Befähigung von Arbeitnehmern aller Altersstufen, sich aktiv für ihre Gesundheit zu engagieren.

Folgende Beiträge wurden mit Empfehlungen gewürdigt:

  • Dienstleistungseinrichtung für das Ministerium für Inneres, Tschechische Republik,
  • Region Midtjylland, Dänemark,
  • Tarkett S.p.A., Italien,
  • Vassiliko Cement Works PLC, Zypern,
  • Loders Croklaan, Niederlande,
  • Polizeidirektion Murska Sobota, Slowenien,
  • Duslo, a.s., Slowakei,
  • The Federation of Finnish Technology Industries, Finnland,
  • Toyota Material Handling, offizieller Kampagnenpartner.

Weitere Informationen

Alle Beispiele werden in einer englischsprachigen Broschüre beschrieben. Download als PDF-Datei unter: https://osha.europa.eu/de/tools-and-publications/publications/healthy-workplaces-good-practice-awards-2016-2017-booklet/view

Autor: Peter Schrandt, Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), Langenhagen
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