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Erstellung von Rettungsbohrungen im chinesischen Steinkohlenbergbau

Der chinesische Steinkohlenbergbau ist trotz intensiver Bemühungen und großer Vorschritte in der betrieblichen Sicherheit noch immer nicht als sicher zu bezeichnen. Neben zahlreichen betrieblichen und organisatorischen Maßnahmen wurden im Jahr 2012 als ein weiteres Element zur Verbesserung der passiven Sicherheit durch das „China national coal development“ sechs Bohranlagen zur Erstellung von Rettungsbohrlöchern in Deutschland geordert. Weltweit hat das erfolgreiche Abteufen von Rettungsbohrlöchern zur Evakuierung verschütteter Bergleute bereits viele Leben gerettet.

Spektakuläre Erfolge wie „das Wunder von Lengede“ und die jüngste Erfolgsstory aus Chile belegen das. Dennoch fehlt bislang ein klar organisiertes System, im Sinne einer Verfahrensanweisung für den Unglücksfall.

Der chinesische Steinkohlenbergbau steht insofern vor der Aufgabe, auf Basis der nun verfügbaren Bohrtechnologie das Rettungsbohrwesen zu einem systematischen Instrument mit klar definierten Zielen und einem jederzeit und an jedem Ort wiederholbaren Ergebnis zu entwickeln. Mögliche Ansätze dazu werden hier aufgezeigt.

Autoren:
Prof. Dr.-Ing. Albert Daniels, Technische Fachhochschule (TFH) Georg Agricola, Bochum
Dipl.-Ing. Ulrich Pelleter, Prakla Bohrtechnik GmbH, Peine

Der chinesische Steinkohlenbergbau in Zahlen

Die chinesische Volkswirtschaft hat im Jahre 2012 nahezu 4 Mrd. t Steinkohle verbraucht (1). Davon wurden im Land 3,6 Mrd. t gefördert und 230 Mio. t importiert, in großem Maße aus Australien. In China leben rd. 1,35 Mrd. Menschen, so dass jeder Chinese pro Jahr etwa 2,83 t Steinkohle verbraucht. Deutschland wurde in der Vergangenheit als bedeutendes Steinkohlenland in Europa bezeichnet, Steinkohle war das schwarze Gold, das das Wirtschaftswunder mit Brennstoff versorgt hat. Gegen Ende der 1950er Jahre wurde in den drei großen Revieren in Westdeutschland die höchste Gesamtfördermenge mit 150 Mio. t erreicht. Abzüglich der Exporte von 35 Mio. t lag der Verbrauch bei 115 Mio. t (2). Seinerzeit lebten in Westdeutschland ca. 55 Mio. Menschen, so dass sich pro Jahr ein spezifischer Verbrauch von ca. 2,1 t pro Einwohner und Jahr ergab. Das sind 26 % weniger als China heute verbraucht und mag aufzeigen, in welchen Dimensionen der chinesische Steinkohlenbergbau betrieben wird.

Der Steinkohlenbergbau Chinas geht in den östlichen und nordwestlichen Regionen um, es handelt sich dabei um eine Fläche, die deutlich größer als Europa ist. Im Jahr 2012 gab es in China etwa 12.000 aktive Bergwerke (3). Die exakte Zahl ist nicht bekannt, man geht von Tausenden illegal betriebener Bergwerke aus, die teilweise nur wenige tausend Tonnen pro Jahr für den nahe gelegenen Hausbrand produzieren.

Sicherheitslage im chinesischen Steinkohlenbergbau

Das Thema Sicherheit ist in der internationalen Presse durch Meldungen über Grubenunglücke mit vielen Toten geprägt. Im Jahr 2000 gab es offiziellen Angaben zufolge mehr als 7.000 tödliche Unfälle, im Jahr 2012 ist diese Zahl auf etwas über 1.000 gesunken (4). Das zeigt eine deutliche Verbesserung. Im Vergleich dazu hatten die USA, der zweitgrößte Steinkohlenproduzent, lediglich 54 Todesfälle zu bedauern. Die USA produzieren rd. 1,0 Mrd. t Steinkohle pro Jahr. Demzufolge verzeichnet China bezogen auf die Förderung eine mehr als fünffach höhere Zahl an tödlichen Unfällen. Bezüglich der Anzahl meldepflichtiger Unfälle sind keine belastbaren Zahlen für den chinesischen Steinkohlenbergbau recherchierbar, aber auch hier muss man von einem deutlich höheren Wert als z. B. in den USA oder in Europa ausgehen. Die Ursache für große Grubenunglücke mit mehreren Toten Bergleuten geht in den meisten Fällen auf schlagende Wetter, Staub oder eine Kombination aus beidem zurück (4).

Fig. 1. Prakla-designed drilling rig with pipe handler for sinking rescue boreholes Bild 1. Das von Prakla für die Erstellung von Rettungsbohrungen konzipierte Bohrgerät mit Pipehandler Source / Quelle: Prakla Bohrtechnik GmbH

Fig. 1. Prakla-designed drilling rig with pipe handler
for sinking rescue boreholes
Bild 1. Das von Prakla für die Erstellung von Rettungsbohrungen konzipierte Bohrgerät mit Pipehandler
Source / Quelle: Prakla Bohrtechnik GmbH

Obwohl es in China durchaus sehr moderne Bergwerke gibt, die in jeder Hinsicht vergleichbar mit dem technischen Standard in amerikanischen oder deutschen Bergwerken sind, ist die unvorstellbar große Zahl an Werken, die auf einem deutlich niedrigeren Sicherheitsniveau arbeiten für das insgesamt hohe Unfallaufkommen verantwortlich. Die staatlichen Bemühungen sind durchaus zu registrieren, so sollten z. B. 2013 mindestens 5.000 unsichere Werke geschlossen werden. Um Druck in Hinblick auf die Verbesserung der Sicherheitsstandards auszuüben, soll es Anweisungen für Bergwerksdirektoren geben, ihre eigene Grube mindestens einmal pro Woche zu befahren. Der Erfolg dieser Maßnahmen in dem sehr großen Land mit für einen Europäer unvorstellbar großen Entfernungen muss bisher leider als „überschaubar“ angesehen werden.

Insbesondere die niedrigen Sicherheitsstandards und die medienwirksame Darstellung der Grubenunglücke in der Weltpresse setzen die aufstrebende Volksrepublik in der internationalen Politik unter Druck. Seit den 2000er Jahren beschäftigt man sich in China bereits mit dem Thema Rettungsbohrungen. Es wurden auch zu dieser Zeit schon erste Bohrgeräte in den USA gekauft und getestet. Seit etwa 2009 wurden Gespräche über die Beschaffung einer größeren Anzahl von Bohrgeräten mit verschiedenen Lieferanten geführt. Aus Deutschland war die Fa. Prakla Bohrtechnik GmbH, Peine, ein Tochterunternehmen der Bauer-Maschinen GmbH, Schrobenhausen, in diese technischen Vorverhandlungen eingebunden. Die Gespräche auf der fachlichen Ebene waren intensiv, schritten wegen der hohen Komplexität einer möglichst universellen Bohrtechnik für Rettungsbohrungen aber sehr langsam voran.

Der Einfluss der erfolgreichen Rettungsbohrung von San Jose in Chile auf die Entwicklung der chinesischen Rettungsbohraktivität

Und dann kam San Jose. Im Sommer 2010 blickte die ganze Welt nach Chile, wo verschiedene Bohrmannschaften mit unterschiedlichen Bohrtechnologien um das Leben von 33 verschütteten Bergleute kämpften. Aus allen Regionen Nord- und Südamerikas wurde verfügbares Bohrgerät herangeschafft und zum Einsatz gebracht. Der mögliche Aufenthaltsort der verschütteten Bergleute wurde in etwa 700 m Teufe in einer Fluchtkammer ermittelt. Es entbrannte ein Wettbewerb, wer mit seinem Bohrsystem zuerst das Zielgebiet erreicht. Nach 17 Tagen gelang einer Mannschaft mit einem Druckluft betriebenen, 6,5 Zoll- bzw. 17 cm DTH- (down the hole) Bohrhammer der Durchbruch, ca. 20 m neben der Rettungskammer, in einer Wendelstrecke (5). Durch dieses Bohrloch konnte eine erste Notversorgung der verschütteten Bergleute erfolgen, die bis dahin jeweils ca. 8 - 9 kg Gewicht verloren hatten. Eine zweite Bohrung mit gleichem Kaliber wurde in den Aufenthaltsbereich der Bergleute gestoßen und in zwei Stufen auf zunächst 30 cm und dann auf 71 cm Endmaß aufgeweitet. Bei den Aufweitungsbohrungen wurden ebenfalls Druckluft betriebene DTH Bohrköpfe eingesetzt, der Abtransport des Bohrkleins (cuttings) erfolgte durch das Vorbohrloch in den untertägigen Hohlraum. Das Material musste durch die eingesperrten Bergleute weggeschafft werden, es konnte nicht unter dem Bohrlochmund liegen bleiben. Wie im Erzbergbau üblich, wurden in der Grube San Jose LHD-Fahrzeuge für den Materialtransport eingesetzt. Eines dieser Geräte befand sich im Bereich der Bohrstelle und wurde von den Bergleuten für den Materialtransport verwendet. Die Versorgung mit Dieseltreibstoff, Wasser, Lebensmitteln, Sauerstoff und die Kommunikation erfolgten mittels spezieller Behältnisse bzw. Kabel über das erste Versorgungsbohrloch. Das Rettungsbohrloch stellte sich als sehr standfest heraus und aus dem Gebirge war kein nennenswerter Wasserzufluss zu registrieren. Lediglich die obersten 56 m in den lockeren Deckschichten mussten verrohrt werden. Anschließend konnten die verschütteten Bergleute über eine moderne Version der Dahlbusch-Bombe gerettet werden. Der letzte Kumpel verließ 55 Tage nach dem Unglück die Grube. Dieser historische Erfolg konnte nahezu live auf der ganzen Welt verfolgt werden.

Die erfolgreiche Rettungsaktion führte dazu, dass verantwortliche Personen und Institutionen im chinesischen Steinkohlenbergbau unter einen massiven Erfolgsdruck hinsichtlich der Sicherheitslage im heimischen Bergbau gerieten. Die Gespräche zur Entwicklung einer speziell für das Abteufen von Rettungsbohrungen ausgelegten Bohrtechnik wurden deutlich intensiviert und beschleunigt. Getrieben durch den chilenischen Erfolg entwickelten sich die von der chinesischen Seite geforderten Anlagen immer stärker in Richtung einer Kopie der in Chile erfolgreichen Bohrtechnologie. Die für dieses Projekt verantwortlichen Delegationen wollten keine Fehler machen und nichts bestellen, was im Falle eines Fehlschlags zu der Frage führt, ob denn die richtige Bohrtechnologie eingesetzt wurde. Man ging davon aus, wenn man das gleiche nimmt, was in Chile den Erfolg gebracht hat, dann ist man vor einer persönlichen Anschuldigung geschützt.

Die Frage, ob und wie die Bohrbedingungen aus Chile auf die in China zu erwartenden Bedingungen übertragen werden könnten, trat dabei in den Hintergrund. Da der politische und gesellschaftliche Druck auf die Entscheidungsgremien von Tag zu Tag stieg, stand die erforderliche Zeit, ein spezifisches System zu konfigurieren und die dazu passenden Bohrverfahren auszuwählen, nicht zur Verfügung. Es mussten Tatsachen geschaffen werden, die ersten Bohrgeräte sollten so schnell wie möglich in China verfügbar sein. Die verantwortlichen Personen konnten in intensiven Beratungen davon überzeugt werden, keine Spezialgeräte anzuschaffen, die nur für das in Chile erfolgreich eingesetzte Bohren mit Imlochhammmer ausgelegt sind. Die Bohrgeräte, die letztendlich ausgewählt wurden, sind Universalbohrgeräte, mit denen nahezu alle gängigen Bohrverfahren bis in die vorgegebene Zielteufe von 800 m durchgeführt werden können.

Generelle Ansprüche an Rettungsbohrungen

Der dominierende und limitierende Faktor für die Erstellung einer Bohrung, die zur Rettung verschütteter Menschen aus einem untertägigen Steinkohlenbergwerk durchgeführt wird, ist die Zeit. Die Frage, welches Zeitfenster für den ersten Durchstich bis in einen möglichen Fluchtbereich der verschütteten Kumpel zur Verfügung steht, ist pauschal eigentlich nicht zu beantworten. Dafür müssen die lokalen Gegebenheiten individuell analysiert werden. Die Vorgabe, dass die Überlebenschancen nach 72 Stunden deutlich abnehmen, soll an dieser Stelle das Maß für das verfügbare Zeitfenster darstellen. Unter Annahme, dass in den verfügbaren Hohlraum, in den sich die verschütteten Bergleute begeben haben, keine frischen Wetter zuströmen, kein Trinkwasser verfügbar ist und nicht mehr gekühlt wird, ist das Zeitfenster von 72 Stunden als realistisch einzustufen.

Konkret bedeutet dies, dass innerhalb von 72 Stunden die komplette technische Ausrüstung und das Bedienpersonal antransportiert sein müssen, mindestens eine Bohrung das Zielgebiet erreicht und das Bohrloch gesichert ist. Durch dieses Bohrloch kann dann eine erste Hilfsversorgung für die verschütteten Bergleute erfolgen und dem Rettungsteam steht danach ein größeres Zeitfenster für das Abteufen eines zweiten, großkalibrigen Rettungsbohrloches zur Verfügung.

Fig. 2. Vertical boring with a rotary drilling tool Bild 2. Vertikalbohrtechnik an einem Rotary-Bahrwerkzeug Source / Quelle: Smart Drilling GmbH

Fig. 2. Vertical boring with a rotary drilling tool Bild 2. Vertikalbohrtechnik an einem Rotary-Bahrwerkzeug Source / Quelle: Smart Drilling GmbH

Die Erstellung einer Rettungsbohrung ist also in zwei unabhängige Bohrungen aufzuteilen, eine kleine Bohrung zur Notversorgung – das Versorgungsbohrloch – und die eigentliche Rettungsbohrung. Jede der beiden Bohrungen hat spezifische Anforderungen an Zeit, Qualität und Treffgenauigkeit. Die in den folgenden Abschnitten näher beschriebenen Aufgaben und Vorgehensweisen zur Erstellung der jeweiligen Bohrlöcher ist keine konkrete und verbindliche Durchführungsanweisung, es sind allgemeine und abstrakte Überlegungen.

Die Aufgabenstellung, ein praxisgerechtes Ablaufprogramm zur Erstellung von Rettungsbohrlöchern für den chinesischen Steinkohlenbergbau zu entwickeln, ist eine sehr komplexe Herausforderung und wird sicher einige Jahre Zeit sowie nicht unerhebliche finanzielle Mittel in Anspruch nehmen. Allein die Tatsache, dass sich das zu betrachtende Einsatzgebiet über Tausende von Quadratkilometern erstreckt, macht ein universell geltendes Handbuch unmöglich. Man wird für jeden Standort einer Bohrausrüstung ein individuelles Konzept zu erstellen haben, in dem die lokalen geologischen, bergtechnischen, geografischen, logistischen und betrieblichen Belange Berücksichtigung finden.

Abteufen des Versorgungsbohrloches

Wie bereits erwähnt, ist das kurzfristige Erstellen des Versorgungsbohrlochs für die Überlebenschance verschütteter Bergleute von entscheidender Bedeutung. Dazu ist eine Reihe sehr präzise ablaufender Maßnahmen durchzuführen. Basis für den Erfolg einer Rettungsaktion ist die Verfügbarkeit eines verbindlichen und präzisen Risswerks über das komplette Grubengebäude. Unmittelbar nach dem Grubenunglück muss ein Stab von Mitarbeitern den Unglücksort lokalisieren und mögliche Fluchtpunkte für eingeschlossene Bergleute identifizieren.

Sodann müssen mögliche Bohransatzpunkte an der Oberfläche ermittelt werden, von denen das identifizierte Zielgebiet anvisiert werden kann. Im Idealfall befindet sich der Bohransatzpunkt genau lotrecht über dem Zielpunkt. Befindet sich der Zielpunkt unter einer bebauten Oberfläche oder ist das Terrain über dem Zielpunkt nicht mit den Bohrgeräten erreichbar, sind alternative Standorte zu ermitteln. Diese Standorte müssen mit einer hohen Genauigkeit eingemessen und an das Risswerk der Grube angeschlossen werden. Bis zum Eintreffen der Bohrausrüstung muss der Bohrplatz hergerichtet sein. Wenn bestimmte Grubengebäude als Sammel- und Rettungspunkte bereits im Vorfeld identifiziert sind oder wenn Rettungskammern angelegt sind, können mögliche Bohransatzpunkte zum Erreichen dieser Grubenbaue in ein übertägiges Kartenwerk eingetragen werden. Dann entfällt in den hektischen ersten Stunden nach dem Unglück die Aufgabe, unter hohem Zeitdruck eine präzise Einmessung eines Bohransatzpunktes durchführen zu müssen.
Unabhängig von der Ermittlung des Bohransatzpunktes stellt sich die Frage nach dem richtigen Bohrverfahren für das Versorgungsbohrloch. Ideal ist natürlich eines, das schnell, präzise und in jeder Gebirgsformation anwendbar ist sowie kalibergenau bohrt. Unter günstigen Bedingungen ist es in der Tat jenes Verfahren, mit dem in Chile der entscheidende Durchbruch geschafft wurde. Das Bohren mit einem druckluftbetriebenen DTH- (down the hole) Bohrhammer und RC- (reverse circulation) Spülung ist unter den nicht gerichteten Bohrungen das schnellste und präziseste Bohrverfahren für Festgesteinsformationen. In Chile wies die erfolgreiche Bohrung eine horizontale Abweichung von etwa 3,5 % aus, was unter der Vorgabe eines schnellen Bohrfortschrittes ein sehr gutes Ergebnis darstellt. Bei einer Bohrteufe von 700 m bedeutet das aber auch eine tatsächliche Abweichung von über 20 m vom Zielpunkt. In Chile hat man 17 Tage nach dem Unglück statt der anvisierten Rettungskammer eine großformatige Wendelstrecke getroffen.
Für das systematische und reproduzierbare Erstellen einer Rettungsbohrung für den Steinkohlenbergbau kann ein solches Ergebnis nicht akzeptiert werden. Es ist zwingend erforderlich, dass der erste Versuch innerhalb von 72 Stunden erfolgreich ist, andernfalls sinkt die Chance deutlich, die verschütteten Bergleute lebend zu retten. Die in der Bohrwirtschaft verfügbare Messtechnik zur Erfassung der Bohrgenauigkeit wie z. B. MWD (measurement while drilling) kann wegen der enormen Vibrationsbelastung der Bohrwerkzeuge und des Bohrgestänges beim Bohren mit einem Drucklufthammer nicht angewandt werden, da diese innerhalb weniger Minuten zerstört würden. Zur Richtungskontrolle muss der Bohrbetrieb eingestellt und das Gestänge aus dem Bohrloch gezogen werden. Erst dann kann die erforderliche Messtechnik ins Bohrloch eingeführt werden. Erforderliche Richtungskorrekturen können dann z. B. durch Keile vorgenommen werden. Dieser Prozess benötigt jedoch viel Zeit, die von den zur Verfügung stehenden maximal 72 Stunden abgehen.
Unberücksichtigt blieb in den bisherigen Betrachtungen auch die Tatsache, dass das Gebirge in Chile sehr standfest und nahezu ohne Wasserzuflüsse war. Das sind Bedingungen, die man in einem unter Abbauwirkung stehenden Karbongebirge nicht erwarten kann. Insbesondere der Wasserzufluss gefährdet die Bohrung mittels Drucklufthammer in zweierlei Weise.

Einerseits limitiert der Wasserzufluss die Einsatzfähigkeit des Druckluftbohrens, indem es den pneumatischen Materialtransport hemmt. Um diesen Effekt zu verringern, muss der Luftdruck entsprechend hoch sein und man kann in einem gewissen Umfang durch die Zugabe von Schaumbildnern das Wasser binden und somit das Fördervermögen des Luft-Schaum-Feststoff-Gemisches unterstützen. Für das eigentliche Bohrverfahren benötigt der Antrieb des Hammers einen Luftdruck von 10 bar. Je 100 m wassergefülltem Bohrloch braucht man weitere 10 bar Druck, um das Wasser mit dem Bohrklein zusammen zu heben. Unter der Verwendung von sogenannten Boostern kann ein Druck von insgesamt etwa 70 bar aufgebaut werden, was letztendlich das Verfahren auf eine Teufe von 500 – 600 m unter dem Wasserspiegel begrenzt.

Andererseits gefährdet der Wasserzufluss in das Bohrloch, das nach dem Durchschlag in das Grubengebäude fließt, die eingeschlossenen Bergleute. Zwingend erforderlich für die Anwendbarkeit des Druckluftbohrens mit DTH- Bohrhämmern ist jedoch eine ausreichende Standfestigkeit des Gebirges. Da bei diesem Bohrverfahren keine Bohrloch stabilisierende Bohrspülung eingesetzt wird, muss die Eigentragfähigkeit der Bohrlochwand gegeben sein. Ist dies nicht der Fall, was bei einem Karbongebirge, das in der Regel bereits unter Abbauwirkung steht, wahrscheinlich ist, kann dieses Bohrverfahren nicht erfolgreich sein.

In einem solchen Fall müssen entweder Verrohrungen in die betreffenden Horizonte eingebracht werden oder es muss von vornherein ein anderes Bohrverfahren gewählt werden. Das Einbringen von Verrohrungen geht einerseits zu Lasten des Zeitfensters und andererseits muss anschließend mit einem kleineren Kaliber weiter gebohrt werden. Oder umgekehrt, es muss mit einem großen Kaliber angefangen werden, um am Ende mit dem Zielkaliber in das Grubengebäude durchzustoßen. Auch das erhöht den Zeitbedarf für die Bohrung.

Alternativ kann das klassische Rotary-Verfahren mit Bohrspülung eingesetzt werden. Wegen seiner geringen Vortriebsgeschwindigkeit und Zielungenauigkeit ist es jedoch als nicht prozesssicher einzustufen. Lediglich in Kombination mit einer Richtbohrtechnik kann es sehr effektiv sein. Eine solche Technik ermöglicht es, während des laufenden Bohrbetriebes die Bohrrichtung zu erfassen und zu korrigieren. So können sehr lotrechte Bohrungen mit einer Abweichung von unter 0,5 m auf 700 m und auch geneigte Bohrungen mit einem ähnlichen Genauigkeitserfolg erstellt werden. Bild 2 zeigt ein solches Richtbohrsystem an einer normalen Bohrausrüstung für drehendes Bohren nach dem Rotary-Prinzip.

In Bild 3 ist die Lotrechtigkeit einer solchen Bohrung dargestellt. Diese Technologie wurde in Deutschland u. a. für das Anbohren alter Grubenräume zur Gasabsaugung entwickelt und häufig angewandt. In der Öl- und Gasgewinnung ist sie weltweit Stand der Technik. Nachteilig sind extrem hohe Kosten, ein hoher Schulungs- und Wartungsaufwand und sehr hohe Ansprüche an eine definierte und saubere Bohrspülung. Weiterhin ist zu beachten, dass beim Durchschlag die im Bohrloch befindliche Spülung in den Grubenraum fließt. Bei einer 6,5 Zoll Bohrung auf 700 m Teufe sind das etwa 16 m3. Inwieweit die Bohrspülung die Bohrlochwand während der Bohrung bereits durch die Bildung eines „Kuchens“ abgedichtet und stabilisiert hat und ob dieser „Kuchen“ nach dem Absacken der Bohrspülung noch stabil und dicht ist, kann nur experimentell ermittelt werden. Andernfalls fließt auch bei diesem Verfahren das in das Bohrloch eintretende Grund- und Formationswasser in den Grubenbau.

Das ideale Bohrsystem, bezogen auf Schnelligkeit und Genauigkeit, ist der DTH- Motor, angetrieben durch die Spülungsflüssigkeit, in Kombination mit einer 3D- Richtbortechnik (directional drilling). Mit dem Bohrlochmotor können bis zu fünfmal höhere Vortriebsgeschwindigkeiten gegenüber dem normalen Rotarybohren und bis zu dreimal höhere Vortriebsgeschwindigkeiten gegenüber dem mit Druckluft betriebenen Bohrhammer erzielt werden. Die 3D-Richtbohrtechnik ermöglicht es, jeden Punkt im Raum mit einer Genauigkeit von unter 0,2 m auf 700 m zu treffen. Sofern das Risswerk präzise und der Bohransatzpunkt exakt eingemessen ist, kann das identifizierte Ziel innerhalb der vorgegebenen Zeit mit nahezu 100%iger Sicherheit getroffen werden.

Abteufen eines Rettungsbohrloches

Viele Aspekte, die bei der Erstellung einer Versorgungsbohrung erörtert wurden, gelten natürlich auch für das Abteufen der Rettungsbohrung. Der bedeutende Unterschied zwischen beiden Bohrungen ist das Kaliber, also der Durchmesser, in dem die Rettungsbohrung zur Verfügung stehen muss. Der erforderliche Innendurchmesser einer solchen Bohrung liegt bei etwa 700 mm.
Bei der Planung des Rettungsbohrloches kann auf unmittelbare Erfahrungen der zuvor erstellten Bohrung für das Versorgungsbohrloch zurückgegriffen werden. Man kennt die Standfestigkeit der Gebirgsschichten, deren Wasserzulauf, Klüftigkeiten etc. Vor allem aber hat man, nachdem man mit den verschütteten Bergleuten eine Kommunikation aufgebaut hat, Informationen zu den räumlichen, klimatischen und wassertechnischen Bedingungen in dem betreffenden Grubenbau. Daraus bestimmt sich u. a. die erforderliche Zielkoordinate und die Zielgenauigkeit der Rettungsbohrung. Zusammen mit der Analyse des körperlichen Zustands der verschütteten Bergleute kann dann ein Zeitfenster für die Fertigstellung der Rettungsbohrung sowie das anzuwendende Bohrverfahren festgelegt werden.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei der für den Einsatz in China bereits erwähnte Anspruch an das Bohrgerät, als Universalbohrgerät alle gängigen Bohrverfahren anwenden zu können. Bei der Wahl des geeigneten Bohrverfahrens gibt es eine große Auswahl einzelner bzw. die Kombination verschiedener Verfahren.

Grundsätzlich gilt es zu unterscheiden zwischen dem Bohren auf einem Vorbohrloch und dem Bohren aus dem Vollen. Bezüglich Richtungsgenauigkeit und Schnelligkeit ist das Bohren auf Vorbohrloch zu bevorzugen. Nachdem das Vorbohrloch erstellt ist, wird es in einer oder mehreren Stufen aufgeweitet. Dieser Aufweitungsprozess erfolgt entweder von unten nach oben, nach dem Raise Boring-Prinzip, oder von oben nach unten, dann drehend mit Rollenwerkzeugen oder mit Druckluft betriebenen Bohrhämmern. Bei beiden Verfahren fällt das Bohrklein durch das Vorbohrloch zum Bohrlochtiefsten, im Falle einer Rettungsbohrung, in den untertägigen Fluchtbereich. Dieser an sich vorteilhafte Effekt, da er die Bohrung einfach und leistungsfähig gestaltet, birgt ein großes Risiko für eine Rettungsbohrung.

In Chile wurde das Rettungsbohrloch nach diesem Verfahren mit einem Drucklufthammer erstellt. Insgesamt hat der Prozess, vom ersten Durchschlag der Versorgungsbohrung bis zum Beginn der eigentlichen Rettung, etwa 50 Tage gedauert. Ob den Bergleuten trotz der guten Versorgungslage mit Lebensmitteln, Medizin und Wasser diese Leistung in der gleichen Zeit auch ohne das vorhandene Ladegerät geglückt wäre, muss ernsthaft in Frage gestellt werden.

Im Gegensatz zum Bohren auf Vorbohrloch bietet das Bohren aus dem Vollen den speziellen Vorteil, dass das Bohrklein nach Übertage ausgetragen wird. Allerdings ist eine solche Bohrung relativ ungenau und die Richtungskontrolle sowie die Richtungskorrektur muss in entsprechend kurzen Intervallen erfolgen. Die Wahl des als geeignet erscheinenden Verfahrens kann erst dann erfolgen, wenn mittels der Kommunikation und Auswertung von Bild- und/oder Vermessungsmaterial Informationen zu der Situation vor Ort vorliegen.
Für die nach China gelieferten Anlagen wurde von dem Auftraggeber die Bohrausrüstung gewählt, mit der man auch in Chile erfolgreich war. Die mit der Anlage ausgelieferte Bohrausrüstung besteht aus einem 216 mm und 311 mm DTH- Bohrhammer für direkte Spülung (DC – direct circulation) sowie zwei verschiedenen 711 mm DTH-Bohrhämmern (Bild 4), davon ein System mit einer Führungsnase (bull nose) . Der in Bild 4 links dargestellte 900 mm-Flügelbohrer ist für die Erstellung der Standverrohrung im lockeren Deckgebirge erforderlich und soll hier nicht weiter betrachtet werden.

Fig. 3. Vertical alignment of directional borehole Bild 3. Lotrechter Verlauf einer gerichteten BohrungSource / Quelle: Smart Drilling GmbH

Fig. 3. Vertical alignment of directional borehole Bild 3. Lotrechter Verlauf einer gerichteten BohrungSource / Quelle: Smart Drilling GmbH

Fig. 4. Tools supplied as part of the drilling consignment Bild 4. Darstellung der zum Lieferumfang gehörenden Bohrwerkzeuge Source / Quelle: Prakla Bohrtechnik GmbH

Fig. 4. Tools supplied as part of the drilling consignment
Bild 4. Darstellung der zum Lieferumfang gehörenden Bohrwerkzeuge
Source / Quelle: Prakla Bohrtechnik GmbH

Aufbau eines Rettungsbohrwesens in China

Mit der Lieferung von sechs Bohranlagen zur Erstellung von Rettungsbohrungen nach China ist ein erster, kleiner Schritt zum Aufbau eines Rettungsbohrwesens erfolgt. Aufgabenstellung für das Rettungsbohrwesen muss es sein, gezielte und reproduzierbare Bohrergebnisse zur Rettung verschütteter Bergleute zu erreichen. Das, was in Chile erreicht wurde, kann in gleicher Weise nicht auf die Bedingungen im chinesischen Steinkohlenbergbau übertragen werden. In Chile kamen viele, günstige Bedingungen zusammen, damit am Ende einer ungeplanten und niemals wiederholbaren Aktion das Leben der 33 Bergleute gerettet werden konnte.

Ein professionelles Rettungsteam mit speziell entwickelten und zusammen gestellten Ausrüstungen muss einen anderen, deutlich höheren Anspruch erheben. Welches Bohrverfahren mit welchen Ansprüchen an Dauer und Genauigkeit des Bohrprozesses in China letztendlich einzusetzen ist, kann weder zeitlich noch regional abgeschätzt werden. Basis eines jeden Erfolges und Garant für eine schnelle und sichere Rettungsbohrung ist eine erfahrene und jederzeit einsetzbare Bedienmannschaft, die jederzeit und unbegrenzt auf die jeweils erforderliche Bohrausrüstung zurückgreifen kann. Das wird nicht eine einzelne Ausrüstung sein, sondern es werden verschiedene Ausrüstungen für verschiedene Bohrverfahren zusammen mit den entsprechenden Messeinrichtungen sein. In letzter Konsequenz bedeutet das für die Bergwerksbetreiber, dass mit der ersten Investition für das Bohrgerät und die erste Grundausstattung an Bohrmaterial nur ein kleiner Teil der insgesamt nötigen Investition getätigt worden ist.

„Learning by doing“ und Paragraph eins des murphyschen Gesetzes – „expect the unexpected“ – sind die zu beachtenden Grundregeln für ein erfolgreiches Rettungsbohrwesen. In der Praxis bedeutet dies, dass die für diese Aufgabe von sämtlichen anderen Arbeiten freigestellten Mitarbeiter täglich mit Ihrem Gerät und dem Bohrzubehör üben müssen, und zwar im realistischen Einsatz. Es müssen unter vergleichbaren Bedingungen zahlreiche Bohrlöcher zu vorgegebenen Zielen in einer vorgegebenen Zeit abgeteuft werden. Die in diesem Trainingsprozess zu erstellenden Bohrlöcher müssen keine Trainingslöcher sein, sie können durchaus einen Zweck erfüllen. Es können z. B. Brunnen-, Bewetterungs- oder Versorgungsbohrungen erstellt werden. Wichtig ist, dass in solchen geologischen Verhältnissen gebohrt wird, wie sie auch in einem potentiellen Zielgebiet einer Rettungsbohrung vorliegen. Dann können Erfahrungen wie z. B. typische Richtungsabweichungen, Bohrfortschritte, Wasserzuläufe, Standsicherheiten, Werkzeugverschleiß, Spüldrücke etc. dokumentiert und im Fall einer realen Rettungsbohrung erfolgreich umgesetzt werden.

Darüber hinaus muss die technische Einsatzbereitschaft permanent gesichert sein. Dafür ist ein qualifiziertes Instandhaltungsprogramm zu entwickeln. Das gilt sowohl für die Maschinen als auch für das Zubehör. Es müssen zu jeder Zeit jedes Bohrsystem und jedes Messsystem in einem technisch einwandfreien Zustand und in ausreichender Menge verfügbar sein.

Zusammenfassung

Trotz einer sich stetig verbessernden Sicherheitslage im chinesischen Steinkohlenbergbau gilt dieser insgesamt noch immer als unsicher. Zur Verbesserung der passiven Sicherheit wurden durch das „China national coal developement“ insgesamt sechs Universalbohrgeräte zur Erstellung von Rettungsbohrungen international ausgeschrieben und bei der Prakla Bohrtechnik GmbH,  bestellt. Auslösendes Ereignis für die schnelle Vergabe der Gerätschaft war die erfolgreiche Rettungsbohrung im Bergwerk San Jose in Chile. Inwieweit der Erfolg in Chile auf die im chinesischen Steinkohlengebirge vorliegenden Bedingungen übertragbar ist, wurde in diesem Bericht analysiert.

Entscheidende Vorgaben für den Aufbau eines professionellen Rettungsbohrwesens als systematisches Instrument mit klar definierten Zielen und einem jederzeit und an jedem Ort wiederholbaren Ergebnis ist es, eine erste Versorgungsbohrung innerhalb von 72 Stunden mit einer maximalen Abweichung von einem Meter in ein potenzielles Zielgebiet mit verschütteten Bergleuten abzuteufen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein logistisch und technisch komplexes Rettungsbohrwesen zu entwickeln. Basis für den Erfolg im Ernstfall ist darüber hinaus permanentes Training.

References / Quellenverzeichnis

References / Quellenverzeichnis

(1) www.worldcoal.org (2) www.gvst.de/site/steinkohle/grafik_statistik.htm (3) www.mining.com/china-to-close-5000-coal-mines-this-year-77539/ (4) www.hazardexonthenet.net/article/58189/China-coal-mine-safety-improves–but-fatalities-still-high.aspx?AreaID=2# (5) http://de.wikipedia.org/wiki/Grubenunglück_von_San_José

Authors / Autoren:
Prof. Dr.-Ing. Albert Daniels, Technische Fachhochschule (TFH) Georg Agricola, Bochum
Dipl.-Ing. Ulrich Pelleter, Prakla Bohrtechnik GmbH, Peine

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