Anlass für den IEA-Bericht und internationale Ausgangslage

Fig. 1. IEA special report “Accelerating Just Transitions for the Coal Sector”. // Bild 1. IEA-Spezialbericht „Accelerating Just Transitions for the Coal Sector“. Source/Quelle: IEA.
Der IEA-Spezialbericht mit dem Titel „Accelerating Just Transitions for the Coal Sector. Strategies for rapid, secure and people-centered change“ (1) wurde nach Aufforderung der G7-Präsidentschaft Japans erstellt, im März 2024 publiziert und schließt an entsprechende Bitten der jüngsten Weltklimakonferenz COP28 an (Bild 1).
Dieser neue Spezialbericht zum Kohlesektor ist gewissermaßen ein update des bereits 2022 von der IEA publizierten Berichts „Coal in Net Zero Transitions“ (2), betont neben den energiewirtschaftlichen Implikationen insbesondere auch wirtschafts-, sozial- und regionalpolitische Aspekte des Wandels von der bisherigen CO2-intensiven Kohlenutzung hin zu einer klimafreundlichen Energiezukunft mit weniger Kohleverbrauch und präsentiert eine Reihe von nationalen Fallbeispielen auf diesem Weg. Dieser Weg muss nach Einschätzung der IEA keineswegs den Totalausstieg aus der Kohle bedeuten, jedoch eine massive Verringerung der Kohlenutzung ohne CO2-Vermeidung.
Nach wie vor gilt, dass global gut ein Drittel der Stromerzeugung und rd. 20 % der Energieversorgung von der Kohle abhängig sind, was verdeutlicht, welches enorme Gewicht dem Kohlesektor weltweit beim Übergang zu einer „Nettonull“-Energiewirtschaft zukommt. In der Stromerzeugung ist die Kohle nach wie vor der globale Energieträger Nr. 1. Dabei reicht das Spektrum des Kohleanteils an der Stromerzeugung im Jahr 2023 von 20 % in Thailand oder knapp darüber wie in den USA über 30 % in Deutschland oder Japan bis zu 63 % in China, 71 % in Indien, 72 % in Polen oder gar 87 % in Südafrika und 95 % in Botswana.
Die IEA stellt in dem neuen Spezialbericht aus ihrem Datenfundus noch einmal aktualisiert die internationalen historischen Trends sowie die Vorausschätzungen von Kohleverbrauch, Kohleproduktion und kohlebezogenen Emissionen dar (3). Nachdem der globale Kohleverbrauch nach seinem zunächst rasanten Zuwachs seit der Jahrtausendwende ungefähr eine Dekade lang stabil geblieben war mit einem Einbruch in der COVID19-Krise 2020/21, ist er 2022 und 2023 wieder angestiegen und hat ein neues Rekordniveau von nahezu 6 Mrd. t SKE erreicht. Mehr als die Hälfte der weltweiten Produktion und des Verbrauchs von Kohle entfällt auf China. Weitere rd. 12 % entfallen auf Indien – was nahezu genauso viel ist wie der Anteil aller Industrieländer zusammen. China und Indien zusammen stehen heute für fast zwei Drittel des Weltkohlemarkts. Der globale Kohleanteil etwa der EU liegt gegenwärtig nur noch bei 3 %.
Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Überblick der IEA über die bestehenden Kohlekraftwerkskapazitäten (Stand 2021) in der Welt nach Ländern, deren Durchschnittsalter – als Maßstab für den damit verbundenen „locked-in-Effekt“ – und die historischen kohlebedingten CO2-Emissionen im Zeitraum 1900 bis 2021, dies verbunden mit einer Projektion künftiger kohlebedingter CO2-Emissionen 2022 bis 2010, falls die bestehenden Kohlekapazitäten unverändert weiterlaufen würden (Tabelle 1).

Table 1. IEA estimate of coal-fired power plant capacities and coal-related CO2 worldwide. // Tabelle 1. IEA-Abschätzung von Kohlekraftwerkskapazitäten und kohlebedingtem CO2 weltweit. Source/Quelle: IEA 2024; eig. Darstellung
Demnach ist China bisher (bis 2021) für 27 % der weltweiten kohlebedingten CO2-Emissionen verantwortlich und wäre dies künftig (bis 2100) für sage und schreibe 62 %. Die historische „Verantwortung“ der USA für CO2 aus Kohle ist fast gleich hoch, der künftige globale Anteil läge nach der Projektion jedoch nur noch bei 3 %. Indien käme z. B. nach seinem historischen Anteil von 7 % in der Projektion auf 13 %. Deutschlands Anteil würde von historischen 5 auf 1 % zurückgehen.
Neben dem energiewirtschaftlichen ist auch das beschäftigungspolitische Gewicht des Kohlesektors immer noch beträchtlich. Nach Angaben der IEA arbeiteten 2022 weltweit noch ungefähr 7,8 Mio. Beschäftigte (einschließlich Hilfsarbeiter) im Kohlesektor, davon etwa 40 % im Kohlebergbau und die übrigen in Kohlelogistik, Kohlehandel und Kohleverarbeitung sowie der Kohleverstromung (hier rd. 340.000). Der größte Teil dieser Kohle-Jobs konzentriert sich auf Asien: rd. 3,9 Mio. in China, 2,1 Mio. in Indien oder 0,4 Mio. in Indonesien. Aber auch in Europa (ohne Russland) geht es immer noch um fast 300.000 Arbeitsplätze, in Deutschland knapp 18.000. (4)
Dabei sind viele dieser Jobs, soweit sie standardmäßig abgesichert sind (reguläre Arbeits- und Tarifverträge, Sozialversicherung etc.) relativ gut bezahlt. Allerdings gilt dies nicht für viele Hilfsarbeiter in weniger entwickelten Regionen der Welt, wo die Bezahlung oft niedrig und die Arbeitsbedingungen schlecht sind. In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Produktivität im Kohlesektor erheblich gesteigert, vor allem durch die Mechanisierungen in der Kohlegewinnung. Dadurch sind allein in China rd. 2,6 Mio. Stellen im Kohlebergbau verloren gegangen. In Deutschland ist der Steinkohlenbergbau 2018 komplett eingestellt worden. Massive Veränderungen haben sich also allein in den Beschäftigungsverhältnissen der Kohlegewinnung schon in jüngerer Vergangenheit vollzogen, woraus gewisse Lehren gezogen werden können. Kohlebezogene Jobs machen zwar weltweit gesehen nur 0,25 % aller Arbeitsplätze aus, doch in den Kohleregionen ist der Anteil sehr viel höher und das Problem der Schaffung alternativer Beschäftigung sehr viel schärfer. Die IEA geht in ihrem Szenario APS (Announced Pledges Scenario – Szenario der international angekündigten Pläne zur CO2-Reduzierung) davon aus, dass die weltweite Zahl der Kohlejobs durch die Energiewende bereits bis 2030 auf 5,6 Mio., also um fast 30 % zurückgehen wird.
Vor diesem Hintergrund fordert die IEA, dass die in vielen Ländern angestrebten „Kohle-Transitionen“ in der Stromerzeugung nicht nur klima-, sondern auch menschenfreundlich („people-centred“) sowie sozial gerecht („just“) sein müssen, ein umfassendes Stakeholder-Engagement verlangen und eine ganze Reihe politischer Maßnahmen zur Bewältigung der Konsequenzen erfordern. Für 85 % der energiebedingten CO2-Emissionen weltweit sind bis 2050 „Net Zero“-Pläne verkündet worden. Die nationalen Pläne zur Emissionsreduzierung und speziell zur „Dekarbonisierung“ der Stromerzeugung werden daher, wenn sie voll umgesetzt werden, einen erheblichen Einfluss auf die Beschäftigung im Kohlesektor und vor allem im Kohlebergbau haben. Gut die Hälfte der Jobverluste dürfte auf den Rückgang von Kohleproduktion und -verbrauch zurückzuführen sein, die andere Hälfte auf weitere Produktivitätsverbesserungen. 1,9 Mio. Kohlearbeitsplätze würden in den Entwicklungs- und Schwellenländern verschwinden, weitere rd. 325.000 Kohlejobs gingen in den Industrieländern verloren. Insgesamt sinke dadurch der Anteil der Kohle an der Gesamtbeschäftigung im Energiesektor bis 2030 von 12 auf 7 %. Das IEA-APS projiziert zugleich eine Zunahme der globalen Beschäftigung im Energiebereich von rd. 67 auf 80 Mio. Arbeitsplätze vor allem bei „grünen Energien“ im weiteren Sinne, also total um fast 20 % (Bild 2).

Fig. 2. Employees in the energy sector worldwide in 2022 and 2030 (IEA scenario). // Bild 2. Beschäftigte im Energiesektor weltweit 2022 und 2030 (IEA-Szenario). Source/Quelle: IEA 2024
Die IEA hält es für möglich, den Wandel weg von der CO2-ungeminderten Kohlenutzung („unabated coal“) ohne Beeinträchtigung der Bezahlbarkeit der Stromversorgung, d. h. ohne höhere Strompreise, zu bewältigen. Dies dank der erreichten bzw. zu erwartenden Wettbewerbsfähigkeit alternativer sauberer Energiequellen – von erneuerbaren Energien über Kernkraft bis hin zu fossilen Energien einschließlich Kohle mit CO2-Speicherung und -Nutzung (CCUS). In ihrem APS-Szenario würden die Kosten des (partiellen) Ersatzes bisheriger Kohle-basierter Stromerzeugung und ihrer Systemdienstleistungen sowie des nötigen Ausbaus der Stromnetze ausgeglichen durch Einsparungen bei den Brennstoffkosten. Das hänge allerdings von der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung, den jeweiligen nationalen Bedingungen und Strategien ab und unterscheide sich von Region zu Region. Unverzichtbar sei es dabei, die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der Stromversorgung weiter zu gewährleisten.
Der letzte Punkt ist beispielsweise auch aus EU-Perspektive von großer Bedeutung. Denn, wie der sogenannte Letta-Bericht zum EU-Binnenmarkt vom April 2024 gezeigt hat (5), gehört die Reduzierung der Stromkosten für Haushalte und Industrie gegenwärtig zur „EU’s first priority“. Die ökonomische Tragfähigkeit des Green Deal der EU sowie die Perspektiven ihrer Industrie hingen maßgeblich davon ab. Aus deutscher Sicht geben die Empfehlungen der IEA durchaus Anlass, den hierzulande eingeschlagenen Weg zum vollständigen Ausstieg aus der Kohleverstromung kritisch zu reflektieren und an einigen Stellen konkret zu überdenken. (6)
Kohleausstiegsziele und Kohleabhängigkeiten
Weltweit haben inzwischen zahlreiche Staaten Klimaschutzziele im Sinne von Nettonull-Emissionen verabschiedet. Im November 2023 galt dies für 93 Länder (plus der EU als Staatenbund), auf die fast 90 % des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 85 % der globalen CO2-Emissionen entfallen. Dies impliziert zugleich den Ausstieg aus der ungeminderten Kohlenutzung, wobei etliche Länder sich bereits explizite Kohleausstiegsziele auf die Fahnen geschrieben haben. Ende 2023 haben 84 Länder, die kollektiv 30 % der weltweiten Stromerzeugung ausmachen, solche expliziten Kohleausstiegsiele verkündet, wobei sich allerdings weniger als die Hälfte, wie z. B. Deutschland, zu einem kompletten Ausstieg aus der Kohleverstromung im Rahmen nationaler Ausstiegspläne verpflichten, andere indessen nur internationalen Vereinbarungen zum Kohleausstieg zugestimmt haben, wovon der überwiegende Teil die Vereinbarung nur auf die ungeminderte („unabated“) Kohleverstromung beziehen. Die beiden größten Kohleländer der Welt, China und Indien, gehören indes auch dort nicht dazu. Insgesamt unterliegen bislang 70 % des globalen Kohleverbrauchs keinen spezifischen Zielsetzungen zur Kohlereduktion. (7)
Die Bereitschaft einzelner Länder zur Reduzierung ihres Kohleverbrauchs ist laut IEA offensichtlich sehr unterschiedlich je nach Grad ihrer Kohleabhängigkeit. Natur und Umfang der Auswirkungen eines Ausstiegs aus der Kohleverstromung variieren im internationalen Vergleich erheblich entsprechend der Ausstattung mit heimischen Kohleressourcen, dem Anteil der Kohle im Energiemix, der Wirtschaftsstruktur und den Arbeitsmarktverhältnissen. Aufgrund nicht unbeträchtlicher Transportkosten wird Kohle nur zu einem begrenzten Teil international gehandelt und größtenteils auf den Heimatmärkten abgesetzt, weshalb fast jede nationale Rückführung des Kohleverbrauchs die eigene Kohleindustrie schädigt.
Um die Größenordnung der Aufgabe abzuschätzen, die für die jeweiligen Länder mit einer Transition weg von der Kohle verbunden ist, hat die IEA einen besonderen „Coal Transition Exposure Index“ (CTEI) entwickelt (8), der aus vier Komponenten mit jeweils zwei Indikatoren besteht:
- Kohleabhängigkeit des Energiesektors („energy dependence on coal“), quantifiziert durch den Kohleanteil am gesamten Primärenergieverbrauch sowie an der Stromerzeugung. Dadurch werden die Folgen eines Phase-out der Kohle für das nationale Energiesystem deutlich.
- Das gesamtwirtschaftliche Entwicklungsniveau („level of economic development“) bzw. die im internationalen Vergleich ersichtliche Entwicklungslücke („development gap“), quantifiziert durch das nationale BIP pro Kopf (in Kaufkraftparitäten) sowie den Endenergieverbrauch pro Kopf. Diese Indikatoren versteht die IEA wiederum als „Proxies“ für das zu erwartende künftige Energieverbrauchswachstum eines Landes sowie seine technische und finanzielle Kapazität. Davon hänge zugleich ab, in welchem Umfang bei einer Kohlereduktion neue Kapazitäten für „clean energies“ zugebaut werden müssen.
- Wirtschaftliche Abhängigkeit („economic dependence“) von der Kohle, gemessen am Anteil der Kohle am gesamten nationalen Güterexport sowie am Anteil der heimisch produzierten Kohle am nationalen Kohleverbrauch.
- Das Ausmaß der wirtschaftlichen Blockierung („locked in“) bestehender nationaler Kohlenutzungskapazitäten im Sinne noch nicht voll abgeschriebener Kapazitäten. Die IEA hat dies ermittelt anhand des kapazitätsgewichteten Alters der Kohlekraftwerke sowie der integrierten Stahlhütten.
Um daraus den Index CTEI zu bilden, sind von der IEA die Rohdaten für diese acht Indikatoren normalisiert und zu einem Einzelwert für jedes Land verdichtet worden. Das Land mit dem höchsten Indikator wurde jeweils auf 1 gesetzt und das mit dem niedrigsten Indikator auf 0, alle anderen Länder bekamen demgemäß pro rata Normwerte dazwischen. Sodann wurden die Werte jeder Komponente für jedes Land gewichtet aggregiert zu einem CTEI Score. Diese Kalkulation wurde von der IEA für 21 Kohleländer durchgeführt, darunter die 15 größten Kohleproduzenten und die 15 größten Kohleverbraucher in der Welt. Bild 3 zeigt die Reihenfolge der CTEI Scores vom geringsten für Kanada bis zum höchsten für Indonesien. Beachtlich ist, wie hoch die CTEI Scores für so große Länder wie China und Indien immer noch sind. Deutschland befindet sich zwar mehr am unteren Ende der Reihe, doch mit immer noch größerem CTEI Score als etwa die USA oder Japan, die keinen vergleichbaren expliziten Kohleausstiegsplan verfolgen, und dies hierzulande trotz jahrzehntelangem Rückzug und schließlich 2018 komplettem Ausstieg aus der heimischen Steinkohle.
Die IEA weist darauf hin, dass die auf nationaler Ebene erhobenen CTEI Scores und die Folgen eines Kohlerückzugs innerhalb der einzelnen Länder substanziell differieren können zwischen unterschiedlichen Provinzen und Regionen. Der Kohlebergbau ist typischerweise regional hochkonzentriert. So entfallen auf die Provinzen von Kalimantan in Indonesien nur 6 % der Bevölkerung, aber 90 % der Kohleproduktion des ganzen Landes. Ebenso macht die Kohleproduktion weltweit zwar nur maximal gut 3 % des nationalen BIP aus, im erwähnten Indonesien sind es 2 %, in China beispielsweise bloß 6 %; doch in manchen Kohleregionen der Welt ist dieser Anteil weitaus höher, teils bis zu einem Drittel (wie in den Provinzen Cesar oder La Guajira in Kolumbien). Ähnliches gilt für das relative Beschäftigungsgewicht des Kohlesektors, das in kaum einem Land der Welt heute 1 % der Gesamtbeschäftigung überschreitet, jedoch regional wesentlich bedeutsamer sein kann. Auch historisch waren weitaus höhere Prozentsätze der Kohlebeschäftigung zu verzeichnen, z. B. in UK einst in der Spitze bis zu 7 %. Dort wie in anderen Industrieländern, darunter Deutschland, vollzog sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein enormer Strukturwandel der Beschäftigung nicht nur weg vom Kohlebergbau, sondern von der Industrie insgesamt hin zu den Dienstleistungen, was zwar belegt, welcher Wandel im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung möglich ist – der aber relativ viel Zeit braucht und keineswegs den totalen Kohleausstieg verlangt.
Energiepolitisches Management der Transition zu emissionsärmerer Stromerzeugung
Für eine Abkehr von der „unabated coal“ ist es aus Sicht der IEA zwingend, zunächst in hinreichendem Maß neue Stromerzeugungskapazitäten auf Basis von „clean energies“ bereitzustellen, die sowohl die Stromerzeugung als auch die Systemdienstleistungen ersetzen können. Bei einem steigenden Strombedarf müssen die Investitionen in die neuen Kapazitäten stärker vorangetrieben werden, als es der bloße Ersatz verlangt. Unter „clean energies“ versteht die IEA wie erwähnt nicht nur erneuerbare Energien, sondern ebenso Kernkraft wie auch Kohle oder Gas mit CCUS-Technologien, also der Abscheidung und ggf. Nutzung von CO2.(9) In ihrem APS-Szenario werden 75 % (aber keineswegs 100 %) des Rückgangs der Kohleverstromung bis 2050 weltweit durch Windkraft, Photovoltaik (PV) und andere Erneuerbare sowie Kernkraft ersetzt. Erdgas spielt für die IEA infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine nur eine nachrangige Rolle beim Kohleersatz. Zudem unterstellt sie im APS, dass ab Mitte der 2020er Jahre sowie von 2030 bis 2050 weltweit und d. h. vor allem auch in China nur noch in geringem Maß (im Schnitt bloß 1,5 GW/a) neue Kohlekraftwerke ohne Emissionsminderungsmaßnahmen nachgebaut werden.
Die vorzeitige Stilllegung („early retirement“) von Kohlekraftwerken vor dem Ende ihrer technischen Lebensdauer nach ca. 40 bis 50 Jahren Betriebsdauer ist für die IEA nur eine Option zur Senkung der Emissionen, bei der wirtschaftliche Aspekte ebenso berücksichtigt werden müssten wie die Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Weltweit wird bis 2040 nur rd. ein Viertel der gegenwärtigen Kohlekraftwerksflotte (ungefähr 500 GW) ihre technische Lebensdauer beendet haben. Allein 2022 sind 50 GW neu in Betrieb genommen worden. Allerdings dürften politische und wirtschaftliche Faktoren wie erhöhte Emissionsstandards, CO2-Steuern oder verschärfter Konkurrenzdruck anderer Energiequellen den Rückgang beschleunigen. Harte Regulierungsmaßnahmen wie in Deutschland in Form von Laufzeitbegrenzungen, Stilllegungsverfügungen und Neubauverboten sind bislang international eher die Ausnahme. Die IEA umschreibt dies zurückhaltend damit, dass sich der kosteneffektive Mix aus direkter Regulierung, finanziellen Anreizen und marktbasierten Maßnahmen von Land zu Land unterscheidet. Kohleausstieg muss man sich leisten können.
Sinnvoll sei es im Fall vorzeitiger Stilllegungen oftmals, die bestehenden Kraftwerksanlagen für neue energiewirtschaftliche Nutzungen umzuwidmen („converting sites“). Moderne Kohlekraftwerke beinhalten eine Reihe nützlicher Einzelanlagen („assets“), die Optionen für alternative stromwirtschaftliche oder industrielle Anwendungen bieten. Das betrifft die Kessel, die Wasser-Dampf- und Kühlungssysteme, Turbine und Generator, Transformatoren, weiteres Equipment, die Netzanschüsse, das verfügbare Gelände und ebenso qualifiziertes Personal, Zulieferindustrie und Dienstleister rund um die Anlage, aber auch die rechtliche Betriebszulassung und die bestehende lokale Akzeptanz. Die Kessel könnten z.B. als thermische Energiespeicher verwendet werden, die Netzdienste und Netzstabilität sichern. Die IEA führt ferner Projektbeispiele aus den USA an, bei denen Kohlekraftwerke zu Standorten für große Batteriespeicher für Strom aus Erneuerbaren oder aber auch für neue Kernkraftwerke umgerüstet werden. Die IEA führt hierzu insbesondere die neue, sich entwickelnde („emerging“) Technologie der Small Modular Reactors (SMR) an, die noch Forschung und Demonstration zur Stimulierung von Innovationen und Kommerzialisierung benötigt, wofür angemessene politische und regulatorische Unterstützung zu schaffen ist. Ein anderes Beispiel der IEA ist das eingemottete Kohlekraftwerk Komati in Südafrika, das im Rahmen der nationalen Transitionsstrategie neu genutzt werden soll als Standort für die Installation von PV-Anlagen (150 MW), Windkraft (70 MW) und einem Batteriespeicher (150 MW) in Verbindung mit einer Umschulungseinrichtung. Ergänzt werden kann dies etwa um einen Hinweis auf das 2023 abgeschlossene EU-Forschungsprojekt „Potentials“ (10), das eine derartige Umwidmung auf „clean energies“ von integrierten Kohlestandorten – Kraftwerken und Bergwerken – in Europa zum Gegenstand hatte. So technologieoffene staatliche Konversionsprogramme für Kohlestandorte, wie sie die IEA diskutiert oder das Projekt Potentials geprüft hat, gibt es unterdessen in Deutschland nicht.
Zu den Möglichkeiten, Kohlekraftwerke mit einem deutlich geringen CO2-Ausstoß zu betreiben, ohne auf ihre steuerbare Leistung zu verzichten, gehört die verstärkte Ko-Feuerung mit CO2-armen Brennstoffen, die Kohle partiell ersetzen. Hinsichtlich der Ko-Feuerung mit Biomasse gibt es seit Längerem Erfahrungen in den USA, UK und auch Indien, anderswo auch mit biogenen und nicht-biogenen Abfällen. In jüngerer Zeit wird vor allem in Japan eine Ko-Feuerung mit Ammoniak erprobt. Seit 2017 ist die technische Möglichkeit mit einem Zuschlag von 1 % Ammoniak erfolgreich demonstriert worden. Inzwischen gibt es einen ersten großtechnischen Versuch einer Beimischung („blending“) mit sogar 20 % Ammoniak, die allerdings aufwendigere Umrüstungen, Zusatzanlagen und mehr Platz im Gelände, eine gute Transportanbindung sowie zuverlässige Lieferquellen erfordert. Zudem kommt es für die längerfristige wirtschaftliche Tragfähigkeit bei der Ko-Feuerung generell auf die Entwicklung der Brennstoffkosten an.
Regelbare und zugleich nahezu klimaneutrale Stromerzeugung auf Kohlebasis durch bestehende Anlagen ist ebenfalls möglich, nämlich wenn Kohlekraftwerke mit CCUS-Technologie ausgestattet werden („retrofitting with CCUS“), wie die IEA hervorhebt. Das erfordert CO2-Abscheidemethoden wie das Oxyfuel-Verfahren, die internen Umbau und zusätzliches Außenequipment der Kraftwerke verlangen, ebenso Fazilitäten zum CO2-Abtransport hin zu den Einlagerungs- oder Nutzungsmöglichkeiten. Derzeit lassen sich mit CCUS gut 90 % des CO2 aus den Abgasen der Kraftwerke sequestrieren, künftig werden 99 % erwartet. Nötig ist dafür allerdings auch ein gewisser Eigenverbrauch an Energie, der die Nettostromausbeute reduziert. Für Öl- oder Gaskraftwerke mit CCUS würde indes Vergleichbares gelten. Die Frage der Wirtschaftlichkeit dürfte wesentlich von den energiepolitischen Rahmenbedingungen abhängen (Bild 4).

Fig. 4. Power generation costs of selected climate-friendly dispatchable technologies. // Bild 4. Stromerzeugungskosten ausgewählter klimafreundlicher regelbarer Technologien. Source/Quelle: IEA 2024; eig. Darstellung
Mittlerweile gibt es bereits einige großtechnische und kommerziell betriebene Kohlekraftwerke wie Petra Nova in Texas/USA und Boundary Dam in Saskatchewan/Kanada sowie zwei weitere Kohlekraftwerke plus eine Demonstrationsanlage in China. Darüber hinaus sind gemäß IEA-Report weltweit 15 zusätzliche Kohlekraftwerke mit CCUS in Planung und die Technologie hat über die Verbindung mit der Kohlenutzung hinaus auch in anderen Sektoren einen marktfähigen Reifegrad erreicht. Nach den Angaben der IEA kann sich Kohlestromerzeugung mit CCUS mit anderen emissionsarmen regelbaren Technologien sowie im Vergleich mit „unabated coal“ zzgl. CO2-Bepreisung inzwischen durchaus messen. Daher nimmt Kohle mit CCUS in den Szenarien der IEA einen erheblich zunehmenden Anteil am verbleibenden Kohleverbrauch ein, im Nullemissions-Szenario 2050 sogar bis 100 %. Die Umrüstung auf CCUS ist nach Einschätzung der IEA vor allem dort eine attraktive Option, wo Kohlekraftwerke in Nähe zum aktiven Kohlebergbau betrieben werden, wie das etwa bei der deutschen Braunkohle der Fall ist, und damit zugleich Bergbau-Jobs erhalten und Bergbau-Kommunen unterstützt werden können.
Kohlestrom kann darüber hinaus auch ohne die vorgenannten Optionen mit drastisch geringen CO2-Emissionen verbunden sein, wenn der Kraftwerksbetrieb flexibilisiert und auf Reserve- und Ausgleichsfunktionen für volatile erneuerbare Energien beschränkt wird, wie es die Energiewende ohnehin mit sich bringt („repurposing with flexibility“). In ihrem APS-Szenario errechnet die IEA eine globale Reduktion des durchschnittlichen Kohlekraftwerkkapazitätsfaktors von 52 % im Jahr 2023 auf 23 % im Jahr 2050, in anderen Szenarien ist der typische Auslastungsgrad noch viel geringer. Bei nur wenigen Betriebsstunden und ansonsten Verbleib in einem Vorhaltestatus ergibt sich eben auch nur wenig CO2-Ausstoß. Das Problem ist freilich, dass eine nur noch geringe Stromerzeugung nur noch geringe Stromerlöse bedeutet und für die Kraftwerksbetreiber wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten entstehen, sofern das jeweilige Strommarktdesign die Flexibilitäts- bzw. korrespondierende Versorgungssicherungsleistung nicht entlohnt. Gesamtwirtschaftlich kann es aber gerade die günstigere Lösung sein, diese Leistung von bestehenden Kohlekraftwerken erbringen zu lassen als diese stillzulegen und voll abzuschreiben sowie stattdessen dafür andere neue Kraftwerke zu errichten. Der Spezialbericht der IEA impliziert, das zu prüfen.
Finanzierungsoptionen für die Wende in der Kohleverstromung
Der letztgenannte Punkt beschreibt zugleich ein wesentliches ökonomisches Hindernis für die Wende hin zu den politisch gewünschten „clean energy investments“. In den heute bestehenden Kohlekraftwerken sind substanzielle Mengen an Kapital gebunden, die von den Kraftwerksbetreibern erst refinanziert und mit Gewinn verknüpft sein müssen, bevor große neue Investitionen getätigt und verkraftet werden können. Hinzu kommt, dass sich in jüngster Zeit die Finanzierungsspielräume für neue Investitionen ebenso wie jene für die Tragfähigkeit vorzeitiger Stilllegungen durch die erhöhte Inflation, gestiegene Zinsen und Verwerfungen der globalen Lieferketten generell verringert haben. Gleichzeitig versucht die (Klima-)Politik in vielen Ländern, die Finanzierung von „clean energies“ zu erleichtern, indem die Finanzierung von Investitionen im Kohlesektor oder der Neubau von Kohlekraftwerken erschwert werden. (11) Die IEA warnt vor diesem Hintergrund ausdrücklich davor, die ultimative energiepolitische Priorität auch für jede Art der Kohletransition zu missachten, nämlich die Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit. Für eine Abkehr von der Kohle gebe es kein Patentrezept, stets müssten Art und Alter der Kraftwerke sowie die jeweiligen Marktstrukturen und energiepolitischen Erfordernisse beachtet werden.
Die IEA zeigt verschiedene nationale Beispiele auf, wie die Finanzierung von Kohlekraftwerken politisch beschränkt wird. In Deutschland hat die Staatsbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schon 2019 jegliche Kreditvergabe für den Bau neuer Kohlekraftwerke, der seit 2020 verboten ist, sowie andere kohlebezogene Geschäftsfelder – existierende Stromerzeugung und Fernwärme aus Kohle, Kohleproduktion und -transport – eingestellt. In der EU hat die Europäische Investitionsbank (EIB) die Finanzierung traditioneller fossiler Energien einschließlich Kohle 2021 beendet, zudem ist eine „nachhaltige Taxonomie“ am Kapitalmarkt eingeführt worden. An einer grünen Taxonomie arbeiten auch Kanada oder Indien. In Kanada wie in einigen anderen OECD-Staaten werden auch keine Exportkredite für Kohlekraftwerkstechnologie vergeben. China hat angekündigt, keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr zu finanzieren. In Japan gibt es keine staatliche Unterstützung mehr für „unabated coal“ im Ausland und mit einer Übergangsphase bis 2030 auch nicht mehr für „ineffiziente“ Kohlekraftwerke im Inland. In Südkorea müssen öffentliche Banken ihre Kreditvergabe an den Regierungsplan zum Phase-out der Kohle bis 2050 anpassen. In den USA sind 2021 Exportkredite der Bundesregierung für „unabated coal“ gestoppt worden und die Börsenaufsicht SEC hat im April 2022 verschärfte ESG-Kriterien auch zulasten der Kohlefinanzierung aufgestellt, auf der Ebene einzelner Bundestaaten gibt es jedoch divergierende Regelungen.
Die IEA erörtert ihrerseits weitere Möglichkeiten, die Stilllegungen von bestehenden oder noch nicht fertig gestellten Kohlekraftwerken voranzubringen. Dies setzt typischerweise voraus, dass die Kosten des Betriebs für den Betreiber voraussichtlich höher sein würden als die risikogewichteten Erlöse. Das kann neben Staatseingriffen wie direkten Regulierungen oder Verstaatlichungen, die von der IEA erwähnt, aber nicht empfohlen werden, durch finanzielle Anreize und marktbasierte Instrumente geschehen. Durch CO2-Bepreisung wie im EU-ETS können Emissionen sozusagen monetarisiert werden. Die Asian Development Bank (ADB) hat einen Energy Transition Mechanism (ETM) entwickelt, der Finanzkapital diverser Investoren sammelt, um einen Kohleausstieg durch zwei neue Finanzierungsvehikel zinsgünstig zu erleichtern. Eine Carbon Reduction Facility soll vorzeitige Stilllegungen oder Neunutzungen im Kohlesektor refinanzieren, eine Clean Energy Facility soll ebensolche Investitionen erleichtern. Einige Länder wie Deutschland haben staatliche Kompensationen für vorzeitige Stilllegungen von Kohlekraftwerken in Kombination mit Auktionen organisiert. Andere Länder setzen auf staatliche Zinszuschüsse oder Erlass von Schulden gegenüber staatlichen Kreditoren oder, wie die USA, auf Steuervorteile für beschleunigte Abschreibungen. Weitere Finanzierungsoptionen sind Sonderumlagen auf die Strompreise, Schuldverschreibungen mit Abschlägen für die Kunden („customer-backed securitization“) oder an Nachhaltigkeitskriterien gebundene Obligationen (“sustainability-linked bonds“).
Bedingungen für eine menschenfreundliche Transition des Kohlesektors
Die weltweiten Bemühungen um die Dekarbonisierung der Stromerzeugung werden, wenn sie vollständig umgesetzt werden, gravierende Auswirkungen auf die Beschäftigung im Kohlesektor haben, insbesondere in der Kohlegewinnung. Die öffentliche Akzeptanz und die Gerechtigkeit („justness“) dieses Wandels – der, so betont die IEA, nicht nur klima-, sondern auch menschenfreundlich sein muss – hängt von möglichst effektiven Politikmaßnahmen zur Bewältigung dieser Jobverluste ab. Die Optionen dafür umfassen Einkommenshilfen wie Abfindungspakete, Sozialmaßnahmen und Vorkehrungen zur Frühverrentung. Einige Regierungen böten darüber hinaus Umschulungs- und Trainingsmaßnahmen sowie Job-Beratung und weitere Beschäftigungshilfen für freigesetzte Kohle-Arbeitnehmer an. Bislang (Stand Ende 2023) fallen jedoch global nur 14 % der Kohlebeschäftigten in den am meisten kohleabhängigen Ländern in Just-Transition-Programme – immerhin 10 % mehr als noch ein Jahr davor. Neben zusätzlichen Maßnahmen dieser Art werden für unterentwickelte oder strukturschwache Kohleregionen aktive Maßnahmen zur Industrialisierung und Ansiedlung neuer Wirtschaftsaktivitäten sowie Initiativen zur Umweltsanierung benötigt. Die IEA hat für einige ausgewählte Länder, darunter Deutschland, deren Just-Transition-Politiken im Kohlesektor genauer betrachtet und verglichen (Tabelle 2). (12)

Table 2. Overview of just transition policies in selected countries. // Tabelle 2. Übersicht zu Just-Transition-Politiken ausgewählter Länder. Source/Quelle: IEA 2024
Konzeptionelle Empfehlungen für „people-centred transitions“ sind auch von der Global Commission on People-Centred Energy Transitions ausgearbeitet worden. Diese unterstreicht, dass der Wandel zu „clean energies“ zugleich den Zugang zu Energie, die Bezahlbarkeit von Energie, die jeweilige sozio-ökonomische Entwicklung der Region, einen inklusiven Ansatz der Politikgestaltung sowie die Maßstäbe der International Labour Organization (ILO) für einen gerechten Wandel auf den Arbeitsmärkten beachten müsse. Letzteres beinhaltet die aktive staatliche Unterstützung der Arbeitnehmer, die von der Energietransition betroffen sind, die Schaffung adäquater und anständiger („decent“) neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, Respekt vor den grundlegenden Arbeitsschutz- und Arbeitnehmerrechten sowie einen effektiven sozialen Dialog. Die IEA leitet daraus ab, dass für die Kohletransition drei komplementäre Ziele angestrebt werden sollten:
- Effektive politische Unterstützung für Arbeitnehmer und Unternehmen im Wandel.
- Entwicklung alternativer Wirtschaftszweige und Stimulierung des regionalen Wirtschaftswachtums, um für ergänzende Beschäftigungschancen zu sorgen.
- Verbesserung der Lebensqualität und der sozialen Kohäsion, etwa durch Sanierung der Umwelt, Standortattraktivität sowie Förderung der lokalen Kultur und Identität.
Darüber hinaus präsentiert die IEA einige Streiflichter zu den Kohle-Transitionspolitiken unterschiedlicher Länder: Von den USA, wo ein besonderer Schwerpunkt bei der Ertüchtigung von Infrastruktur in den Kohleregionen liegt, über China, wo regionale Diversifizierungsprogramme gestartet worden sind, und Indien, das einen „Skill Council for Green Jobs“ eingerichtet hat bis zu Polen, das für freigesetzte Kohlebergleute sehr konkret staatliche Vergünstigungen bei Einkommensteuer und Krankenversicherung gewährt. Eine Passage gilt auch Spanien, das eine Just Transition-Strategie für den Kohlesektor verfolgt, u. a. durch regionale Entwicklungspläne und eine zuletzt 2020 getroffene Rahmenvereinbarung zwischen der Regierung, den Gewerkschaften und den Energieunternehmen über neue Beschäftigungsperspektiven, die alle fünf Jahre ein „Update“ bekommen soll.
Schlussfolgerungen aus deutscher Perspektive
Aus deutscher Perspektive wäre ein regelmäßiges formales Update des bis 2038, nach Vorstellung der amtierenden Ampel-Koalition „idealerweise“ schon bis 2030 zu vollziehenden Kohleausstiegs bzw. des dahin eingeleiteten Ausstiegspfads ebenfalls eine gute Idee. Zwar sieht das deutsche Kohleausstiegsgesetz festgelegte Überprüfungstermine im Hinblick auf die jeweilige energiepolitische Situation vor (13), die bisher allerdings nicht eingehalten worden sind und die, was die Perspektiven der Stromversorgungssicherheit in Deutschland betrifft, Anlass zu erheblicher Kritik geben. (14) Was zudem weiterhin fehlt, ist ein geregeltes Monitoring der Auswirkungen des Kohleausstiegs auf Strukturwandel und Beschäftigung in den betroffenen Regionen. So bleibt der 2018 politisch beschlossene, im Jahr 2020 gesetzlich eingeleitete Kohleausstieg „ein energie- und regionalpolitisches Abenteuer“. (15)
Wie die IEA-Empfehlungen und ihre Beispiele aus aller Welt zeigen, ist ein totaler Kohleausstieg, wie ihn die deutsche Bundesregierung anstrebt, auch klimapolitisch keineswegs alternativlos. Bestehende Kohlekraftwerke könnten mit CCUS-Technologie nachgerüstet werden und sogar im dauerhaften Regelbetrieb emissionsarm Strom und ggf. auch Fernwärme erzeugen, was für die Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit der Energiewende vorteilhaft wäre gegenüber dem politisch an Stelle dessen mit großem Aplomb angekündigten, aber bisher nur rudimentär angestoßenen Neubau von H2-ready-Gaskraftwerken. Auch ohne CCUS könnten vorgehaltene Kohlekraftwerke mit reiner Ausgleichs- und Reservefunktion und infolgedessen nur geringer Auslastung und Emissionsaktivität eine flexible Rolle als Systemdienstleister in der Energiewende spielen. (15) Schließlich ergeben sich eine Reihe von Möglichkeiten zur Umnutzung bestehender Kohlekraftwerksstandorte auf alternative Energien und/oder Energiespeicher, bei der Braunkohle teils noch im Verbund mit aktiven Bergbaubetrieben. Auch Wärme oder Grubengas aus stillgelegten Steinkohlenbergwerken, übertägig auch deren Flächen und Halden, bieten noch ungenutzte energetische Potentiale. Zwar gibt es in diesem Bereich zahlreiche Projekte, doch bisher keine von der Energiepolitik systematisch begleitete Erfassung und Begleitung des Wandels im Kohlesektor.
References / Quellenverzeichnis
References / Quellenverzeichnis
(1) IEA Report (2024): Accelerating just transitions for the coal sector. Strategies for rapid, secure and people-centered change. March 2024. Download: https://www.iea.org/reports/accelerating-just-transitions-for-the-coal-sector
(2) IEA Report (2022): Coal in Net Zero Transitions. November 2022. Download: https://www.iea.org/reports/coal-in-net-zero-transitions
(3) IEA 2024, S. 13ff.
(4) Euracoal 2024: Coal industry across Europe. 8. Edition, p. 7. Download: https://public.euracoal.eu/download/Public-Archive/Library/Coal-industry-across-Europe/EURACOAL-Coal-industry-across-Europe-8ed.pdf
(5) Siehe Enrico Letta – Much more than a market (April 2024). Download: https://european-research-area.ec.europa.eu/documents/letta-report-much-more-market-april-2024
(6) van de Loo, K. (2024): Warum eigentlich noch Kohleausstieg? In: Mining Report Glückauf (160) Heft 2, S. 165 – 178.
(7) IEA 2024, S. 19ff.
(8) Ebenda S. 23ff.
(9) Ebenda S. 28ff.
(10) Einen Überblick zu Forschungsansatz und Ergebnissen des EU- bzw. RFCS-Projekts Potentials einschließlich von Best Practice Guidelines liefert die Website https://potentialsproject.uniovi.es/
(11) IEA 2024, S. 43ff.
(12) Ebenda, S. 57ff.
(13) Siehe dazu § 54 KVBG (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz). Abrufbar zusammen mit anderen einschlägigen Vorgaben beim BMWK unter: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/ueberprufung-der-reduzierung-und-beendigung-der-kohleverstromung.pdf?__blob=publicationFile&v=1
(14) Bundesrechnungshof (2024): Energiewende nicht auf Kurs: Nachsteuern dringend erforderlich. März 2024, insb. S.7f.; darin sieht die Bundesrechnungshof in Deutschland nicht nur die Sicherheit der Energieversorgung gefährdet, sondern auch das Ziel der Bezahlbarkeit der Energieversorgung angesichts hoher Strom- und Energiepreise und des absehbaren Risikos weiterer Strompreissteigerungen. Zudem lasse sich die Umweltverträglichkeit der Energiewende nicht beurteilen, weil neben den Treibhausgasminderungen keine oder nur unzureichende Daten über andere Umweltfolgen erhoben werden und bislang kein wissenschaftliches Monitoring zu negativen Auswirkungen auf andere Schutzgüter wie Flächen, Ressourcen oder biologische Vielfalt erfolgt. Der Sonderbericht ist abrufbar unter: https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2024/energiewende-volltext.html?nn=23102
(15) van de Loo, K. (2019): Der Kohleausstieg – ein energie- und regionalwirtschaftliches Abenteuer. In: Mining Report Glückauf (155), Heft 2, S. 178 – 193.
(16) Siehe van de Loo 2024, insb. S. 175f.