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Internationale Endlagerprojekte im Vergleich

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich 2011 entschieden, aus der Nutzung der Kernenergie bis zum Ende des Jahres 2022 auszusteigen. Weltweit jedoch wird die Kernenergienutzung weiter ausgebaut. Durch diese Nutzung fallen radioaktive Abfälle an. Während für schwach- und mittelradioaktive Abfälle weltweit bereits viele Entsorgungs- bzw. Endlagerlösungen umgesetzt wurden, sind derzeit noch keine Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb. Allerdings ist zu erwarten, dass in den nächsten zehn Jahren erste Endlager in den Ländern Finnland, Frankreich und Schweden den Einlagerungsbetrieb aufnehmen. In vielen weiteren Ländern wurden konkrete Konzepte und Projekte zur Suche nach einem geeigneten Standort für ein Endlager entwickelt sowie erste Entscheidungen für ein mögliches Endlagerdesign getroffen. Es ist damit zu rechnen, dass ab den 2020er Jahren bis zum Ende dieses Jahrhunderts 15 bis 20 Endlager für hochradioaktive Abfälle den Betrieb aufnehmen werden.

Autor: Dr.-Ing. Frank Charlier, Nukleare Entsorgung und Techniktransfer (NET), RWTH Aachen University, Aachen/Germany

1  Einleitung

Kernenergie wird in Deutschland und weltweit seit vielen Jahrzehnten genutzt. Während Deutschland sich unter den Eindrücken des schwersten Reaktorunfalls seit Tschernobyl (INES Stufe 7, höchste Stufe der „Internationalen Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse“) am japanischen Kernkraftwerksstandort Fukushima Daiichi entschlossen hat, aus der Nutzung der Kernenergie bis Ende des Jahres 2022 auszusteigen, wird weltweit die installierte Leistung weiter ausgebaut.

Mit der Nutzung der Kernenergie untrennbar verbunden ist die Fragestellung der Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Hochradioaktive wärmeentwickelnde Abfälle fallen an beim Betrieb von Forschungs- und Leistungsreaktoren, im Wesentlichen sind dies abgebrannte Brennelemente. Hinzu kommen mittel- und schwachaktive, nicht wärmeentwickelnde Abfälle, beispielsweise aus Betriebsabfällen der Kernkraftwerke, der Medizin oder der Forschung.

Für hochradioaktive Abfälle wird weltweit die Lagerung in tiefen geologischen Formationen als sinnvolle Lösung favorisiert. Die Endlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen wird sowohl an der Oberfläche, oberflächennah oder in tiefen geologischen Formationen betrieben bzw. vorgesehen.

2  Nutzung der Kernenergie in Deutschland und weltweit

Fig. 1. Nuclear power plants in operation worldwide excl. West/Central Europe (1). // Bild 1. Kernkraftwerke in Betrieb/weltweit ohne West-/Zentraleuropa (1).

Fig. 2. Nuclear power plants in West/Central Europe (1). // Bild 2. Kernkraftwerke in Betrieb in West-/Zentraleuropa (1).

Aktuell sind weltweit rd. 450 Kernkraftwerke mit einer Gesamtleistung von ca. 400.000 MW in 31 Ländern in Betrieb. Die Verteilung auf die Nutzerländer zeigen die Bilder 1 und 2 (1). Die in Deutschland befindlichen sieben Kernkraftwerke werden bis zum Jahr 2022 abgeschaltet.

Im Bau befinden sich weltweit 52 Kernkraftwerke – weitere 122 sind in Planung. Die fünf Länder mit der höchsten Anzahl von Kernkraftwerken sind (1):

  • USA 98 Einheiten
  • Frankreich 58 Einheiten
  • China 45 Einheiten
  • Japan 39 Einheiten
  • Russland 36 Einheiten

Im Wesentlichen planen alle Kernenergieerzeugerländer, ihre hochradioaktiven Abfälle in tiefen geologischen Endlagern im jeweiligen Verursacherland zu verbringen. In der Europäischen Union (EU) wäre zwar ein Export von radioaktiven Abfällen bei Erfüllung konkreter Randbedingungen grundsätzlich erlaubt, jedoch hat sich Deutschland für die Endlagerung der Abfälle im Inland ausgesprochen und dies gesetzlich verankert. Geregelt wird die Suche und Auswahl eines Standorts für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland im Standortauswahlgesetz (StandAG) (2, 3). Weltweit, wie auch in Deutschland, wird vorwiegend die Endlagerung in den Wirtsgesteinen Ton, Salz und Kristallin betrachtet (Bild 3).

Fig. 3. Sample images of clay, salt and crystalline rock (from left // to right). // Bild 3. Beispielbilder für Ton-, Salz- und Kristallingestein (von links nach rechts).

Im Folgenden werden zuerst die Endlagerprojekte in Deutschland skizziert. Im anschließenden Kapitel werden internationale Endlagerprojekte dargestellt.

3  Endlagerung in Deutschland

Ein Überblick über die Endlagerprojekte in Deutschland wird an anderer Stelle in diesem Heft gegeben (s. Seite 466 bis 474) und soll daher hier nur kurz angespochen werden.

3.1  Suche und Auswahl eines Standorts für ein Endlager für hochradioaktive wärmeentwickelnde Abfälle

Für die hochradioaktiven wärmeentwickelnden Abfälle, im Wesentlichen abgebrannte Brennelemente, hat Deutschland derzeit kein Endlager. Diese Abfälle werden an 16 Standorten zwischengelagert. Der Prozess der Standortauswahl für einen möglichen Endlagerstandort wurde im Jahr 2017 neu gestartet und beginnt mit der sogenannten weißen Landkarte von Deutschland. Alle Regionen werden anhand eines Kriterienkataloges in einem dreiphasigen Verfahren auf ihre Eignung untersucht. Es soll ein Standort mit „bestmöglicher Sicherheit“ unter umfassender Beteiligung der Öffentlichkeit ermittelt werden.

International wird klassifiziert in schwachradioaktive Abfälle (Low level waste – LLW), mittelradioaktive Abfälle (Intermediate level waste – ILW) und hochradioaktive Abfälle (High level waste – HLW).

In Deutschland wird klassifiziert in wärmeentwickelnde Abfälle (entspricht ungefähr HLW). Dies sind Abfälle mit hoher Aktivitätskonzentration und aufgrund des radioaktiven Zerfalls mit hohen Wärmeleistungen. Weiterhin wird unterschieden in Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung (entspricht ungefähr LLW und ILW). Dies sind Abfälle mit geringer bis mittlerer Radioaktivität und geringerer Zerfallswärmeleistung.

3.2  Endlager Morsleben: Stilllegung des Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle

Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) wurde im ehemaligen Steinsalz- und Kalibergwerk Bartensleben aufgefahren. Es liegt an der Grenze der Bundesländer Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Das Endlager Morsleben wurde in der ehemaligen DDR als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle betrieben. Radioaktive Abfälle wurden dort bis zum Jahr 1998 eingelagert. Derzeit wird die Anlage zur Stilllegung vorbereitet.

Das ERAM ist somit das erste Endlager für radioaktive Abfälle in Deutschland, das nach einem atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren sicher stillgelegt wird. Zu sehen in Bild 4 ist ein Versuchs-Abdichtbauwerk (in-situ) mit einer Länge von 25 m. Abdichtungsbauwerke gehören zu den geotechnischen Barrieren in einem Endlager.

Fig. 4. In situ structural seal at the Morsleben repository (4). // Bild 4. In-Situ-Abdichtbauwerk im Endlager Morsleben (4).

3.3  Schachtanlage Asse II: Rückholung der dort lagernden schwach- und mittelradioaktiven Abfälle

In Teilen des untertägigen Bergwerks Schachtanlage Asse II, einem ehemaligen Salzbergwerk (Raum Wolfenbüttel in Niedersachsen), wurden bis zum Jahr 1978 schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert. Beispielhaft ist in Bild 5 die Einlagerung von VBA-Behältern im Jahr 1975 in eine Einlagerungskammer zu sehen (VBA: Verlorene Betonabschirmung; die Abfälle werden zusammen mit der Abschirmung endgelagert).

Fig. 5. Storage of “lost shielding containers” in 1975 (4). // Bild 5. Einlagerung von VBA-Behältern im Jahr 1975 (4).

Wegen eines im Jahr 1998 festgestellten Laugenzuflusses sowie aufgrund von Instabilitäten in einigen Bereichen des Grubengebäudes sollen die eingelagerten Abfälle des Endlagers zurückgeholt werden. Im April 2013 trat hierfür die Lex Asse, das „Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II“, in Kraft.

3.4  Schacht Konrad: Errichtung und im Anschluss Betrieb eines Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle

Das Bergwerk Schacht Konrad ist ein stillgelegtes Eisenerz-Bergwerk in der Region Salzgitter, das aktuell zum Endlager für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung (schwach- und mittelradioaktive Abfälle) umgerüstet wird. Ungefähr 90 % der radioaktiven Abfälle in Deutschland sollen im Endlagerbergwerk Schacht Konrad eingelagert werden. Diese 90 % beinhalten ungefähr 1 % der Radioaktivität aller in Deutschland anfallenden radioaktiven Abfälle. Der Beginn der Einlagerung soll ab 2027 erfolgen. Bild 6 gibt einen Eindruck über die derzeitigen Vorbereitungsarbeiten unter Tage. Hier gezeigt ist eine Einlagerungstransportstrecke, die von Schacht Konrad 2 zu den Einlagerungs-kammern führt.

Fig. 6. Material transport tunnel leading from Konrad 2 shaft to the storage chambers (4). // Bild 6. Einlagerungstransportstrecke von Schacht Konrad 2 zu den Einlagerungskammern (4).

4  Länder mit Endlagerprojekten für hochradioaktive Abfälle

Um einen internationalen Vergleich der aktuellen Endlagerprojekte zu ermöglichen, wurden für diesen Beitrag zuerst alle Länder betrachtet, die Kernkraftwerke betreiben, betrieben haben oder zukünftig betreiben möchten. Für diese 38 Länder wurde im Anschluss recherchiert, ob konkrete Endlagerprojekte bzw. Vorhaben existieren. Man kann die Länder grob in fünf Gruppen unterteilen:

  • Länder mit benanntem Endlagerstandort,
  • Länder mit langfristigen konkreten Endlagerprojekten,
  • Länder mit langfristigen, unspezifischen Endlagervorhaben,
  • Länder mit einem multinationalen Ansatz und
  • Länder ohne erkennbare Endlagervorhaben.

Diese fünf Gruppen stellen den Versuch des Autors dar, die recherchierten Angaben zu den einzelnen Ländern zu einer besseren Übersicht zusammenzufassen. Die Eingruppierungen sind anhand der erhobenen Datenlage bzw. der Rechercheergebnisse erfolgt.

Betrachtet man die in den Ländern bereits ausgewählten oder betrachteten Wirtsgesteine, stellt man fest, dass in 17 Ländern Kristallingestein – meist Metamorphite oder unmetamorphe Plutonite – in neun Ländern Tongestein – klastisches Sedimentgestein – und in drei Ländern Salzgestein – chemisches Sedimentgestein – ausgewählt wurde oder untersucht wird. In den USA gibt es zudem ein Endlagerprojekt im Vulkanit Tuff (derzeit Projekt im „Standby“, s. Tabelle 1). 17 Länder haben entweder noch keine Entscheidung bezüglich eines Wirtsgesteins getroffen, haben kein Endlagerprojekt bzw. Vorhaben oder es konnten bei der Recherche keine belastbaren Angaben gefunden werden.

Wichtig festzustellen ist, dass sich aus der beschriebenen weltweiten Verteilung der favorisierten Wirtsgesteine keine Rückschlüsse auf eine etwaige bessere oder schlechtere Eignung der betrachteten Wirtsgesteine für ein Endlager ziehen lassen. Vielmehr spiegelt diese Verteilung die vorhandenen geologischen Situationen der jeweiligen Länder. Die ausgewählten Wirtsgesteine haben unterschiedliche Eigenschaften, aus denen sich spezifische Anforderungen an Behälter- und Endlagerdesign-konzepte ableiten lassen.

Alle erhobenen Informationen zu diesen Ländern sind in der Tabelle 1 zusammengefasst.

Table 1. Countries with final disposal projects for high-level radioactive waste and/or nuclear power plants (1, 8, 9, 10). // Tabelle 1. Länder mit Endlagerprojekten für hochradioaktive Abfälle und/oder Kernkraftwerken (1, 8, 9, 10).

4.1  Länder mit benanntem Endlagerstandort

Weltweit Vorreiter für Endlagervorhaben mit benannten Endlagerstandorten, Felslaboren und großem Fortschritt bei der Errichtung sind die Länder Finnland, Frankreich und Schweden (s. Tabelle 1).

In Finnland und Schweden soll im Wirtsgestein Kristallin eingelagert werden, in Frankreich wurde als Wirtsgestein Ton ausgewählt. Der Start der Einlagerung der ersten Endlagerbehälter ist geplant in den nächsten zehn Jahren. Beginnen wird voraussichtlich Finnland Anfang der 2020er Jahre, gefolgt von Frankreich mit einem projektierten Start der Einlagerung im Jahr 2025. Schweden plant den Beginn für das Jahr 2030. Exemplarisch ist im Folgenden kurz das finnische Endlagerprojekt am Standort Olkiluoto erläutert.

Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle soll verhindern, dass es zu einer unzulässigen Freisetzung von Radionukliden kommt. Um dieses Ziel zu erreichen, wird ein Multibarrierenkonzept zum Einschluss der Abfälle verfolgt. Hierzu gehören technische, geotechnische und geologische Barrieren.

Fig. 7. The multi-barrier concept (5). // Bild 7. Multibarrierenkonzept (5).

In Bild 7 ist zu sehen, dass der Kernbrennstoff (fuel pellet) in einem Hüllrohr (fuel rod) angeordnet ist. Mehrere dieser Hüllrohre werden zu einem Brennelement (fuel assembly) zusammengefasst. Nach der Verwendung werden abgebrannte Brennelemente zuerst im Kernkraftwerk in Becken nass gelagert. Im Anschluss werden diese abgebrannten Brennelemente zunächst trocken oder nass zwischengelagert, bevor sie in einen Endlagerbehälter umgelagert werden. Im finnischen und schwedischen Konzept werden diese Behälter zusätzlich mit einem „Overpack“ aus Kupfer ummantelt. Dieser ist gasdicht und korrosionsbeständig (Bilder 7 Mitte, 8). Der Endlagerbehälter schützt die Brennelemente vor mechanischer Beanspruchung.

Fig. 8. Container for spent fuel elements (5). // Bild 8. Behälter für abgebrannte Brennelemente (5).

Bild 8 zeigt einen Beispielbehälter für zwölf abgebrannte Brennelemente. Alle Endlagerbehälter sollen im Wirtsgestein von Olkiluoto in einer Teufe von etwa 400 bis 450 m vertikal eingelagert werden (Bilder 9, 10). Der kupferummantelte Endlagerbehälter stellt die technische Barriere im Multibarrierenkonzept dar.

Fig. 9. Storage and backfill arrangement (5). // Bild 9. Einlagerungs- und Versatzschema (5).

Alle aufgefahrenen Hohlräume werden verfüllt. Im Bereich des Endlagerbehälters selbst werden hierfür Bentonitblöcke verwendet (Bild 9, Nr. 2). Im Bereich der Zugangsstrecken werden ebenfalls Ton-/Bentonitblöcke und zusätzlich Bentonitpellets verwendet. (Bild 9, Nr. 3). Nach Beendigung der Einlagerung von Endlagerbehältern werden alle Strecken und Schächte mit Bentonit versetzt. Dies verhindert, dass Fließwege für Wasser bzw. Laugen entstehen und dient zusätzlich der Stabilität des Grubengebäudes. Der Versatz bzw. die beschriebene Hohlraumverfüllung und die Abschlussbauwerke bilden die geotechnischen Barrieren im Endlagersystem.

Bentonit ist ein Ton, der sein Volumen bei Kontakt mit Wasser vervielfacht, jedoch fast kein Wasser leitet. Durch das Aufquellen des Bentonits füllt sich der Raum zwischen Wirtsgestein und den Endlagerbehältern. Es wird so verhindert, dass Wasser an die Abfallbehälter gelangt. Im Fall eines Lecks eines Behälters wird der Transport von Radionukliden zum Wirtsgestein bzw. in die Biosphäre verhindert.

Das Wirtsgestein in der Region Olkiluoto (Gneis) ist ungefähr 1.800 bis 1.900 Mio. Jahre alt (Bild 9, Nr. 4). Es soll die Endlagerbehälter vor äußeren Einflüssen schützen und schafft mechanisch und chemisch stabile Bedingungen für das Endlager. Das Wirtsgestein bildet die geologische Barriere im Multibarrierenkonzept.

In Bild 10 wird das Grubengebäude veranschaulicht. Erschlossen wird das Grubengebäude über mehrere Schächte sowie eine Wendel. Neben der notwendigen Infrastruktur ist auch die Lage des Einlagerungsbereichs der Endlagerbehälter zu sehen.

Fig. 10. Underground layout and location of the waste storage area (5). // Bild 10. Grubengebäude und Lage des Einlagerungsbereichs (5).

4.2  Länder mit langfristigen konkreten Endlagerprojekten

Diese Ländergruppe umfasst 13 Nationen, in denen die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen konkret beabsichtigt ist. Als mögliche Wirtsgesteine werden auch hier Ton, Salz und Kristallin betrachtet. Geologische Daten für die Standortentscheidung wurden erhoben, jedoch in sehr unterschiedlichen Detailierungsgraden.

In einigen Ländern, wie beispielsweise in der Schweiz, ist der Standortauswahlprozess schon weit vorangeschritten. Hier soll innerhalb der nächsten Jahre ein Standort ausgewählt werden. Der Beginn der Einlagerung ist für das Jahr 2060 geplant. In Deutschland sind wir noch weit entfernt von einer Standortentscheidung. Angestrebt ist diese Entscheidung für das Jahr 2031. Der Schweiz „hinken“ wir demnach circa ein bis zwei Jahrzehnte im Verfahren hinterher.

Die Schweiz und Deutschland befinden sich in einem Prozess, in dem die Bevölkerung stark mit einbezogen wurde bzw. werden soll. In anderen Ländern dieser Ländergruppe ist zu erwarten, dass die Standortauswahl von den jeweiligen Regierungen ohne größere Beteiligungsformate erfolgt. Hier ist abzusehen, dass die Standortentscheidungen und die Errichtung der Endlager insgesamt zügiger erfolgen. Beispielsweise soll in Russland der Standort bis zum Jahr 2025 ausgewählt werden und die Einlagerung soll bereits im Jahr 2035 beginnen.

Nachfolgend zusammengefasst sind die Länder mit langfristigen konkreten Endlagerprojekten: Belgien, Bulgarien, China, Deutschland, Großbritannien, Indien, Japan, Kanada, Russland, Schweiz, Tschechien, Ungarn, USA (s. Tabelle 1).

4.3  Länder mit langfristigen, unspezifischen Endlagervorhaben

In den folgenden Ländern sind erste Überlegungen zu Endlagervorhaben vorgenommen worden: Argentinien, Brasilien, Litauen, Mexiko, Rumänien, Slowenien, Slowakei, Spanien, Taiwan, Ukraine (s. Tabelle 1). Konzeptionelle Studien für einen Standortauswahlprozess sowie Erkundungsprogramme wurden in Teilen durchgeführt. Auch wurden vereinzelt Zeitpunkte für einen möglichen Beginn der Einlagerung benannt. Der „Tiefgang“ der Planungen für ein Endlager ist aber noch nicht als konkret einzustufen.

4.4  Länder mit einem multinationalen Ansatz

Die Idee, einen multinationalen Ansatz für Endlagervorhaben zu verfolgen, geht bis in die 1970er Jahre zurück. Mehrere Überlegungen können diesem Gedanken zugrunde liegen, u. a.:

  • fehlende Ressourcen, um eigene geologische Endlager zu errichten,
  • fehlendes Fachwissen, um eigene geologische Endlager zu errichten,
  • internationale Zusammenarbeit bietet wirtschaftliche Vorteile,
  • internationale Zusammenarbeit bietet ökologische Vorteile.

Der Ansatz, dass Länder ein multinationales Endlagervorhaben vorantreiben, um gemeinsame Lösungen zu finden, ist beispielsweise auch in der EU möglich, setzt allerdings einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zwischen den Partnerländern voraus. Dies wirft jedoch Fragen auf in Bezug auf:

  • Safeguards (Kernmaterialüberwachung),
  • Governance (Steuerungs- und Regelungssysteme),
  • nationale und internationale (öffentliche) Akzeptanz,
  • grenzüberschreitenden Verkehr und
  • nationales und internationales Recht.

Identifizierte Länder, bei denen laut Recherche ein multinationaler Ansatz in Betracht gezogen wird, sind Lettland, Slowenien, Slowakei und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Konkrete Aktivitäten über Studien hinaus bzw. Bemühungen hin zu einem multinationalen Ansatz sind bei diesen Ländern aktuell nicht erkennbar.

4.5  Länder ohne erkennbare Endlagervorhaben

Folgende Länder haben aktuell oder zukünftig hochradioaktive Abfälle aus dem Betrieb von Kernkraftwerken: Ägypten, Armenien, Iran, Italien, Kasachstan, Niederlande, Pakistan, Südafrika, Türkei, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Weißrussland. Es sind jedoch keine Endlagerprojekte bzw. Vorhaben erkennbar oder sie konnten nicht recherchiert werden.

4.6  Endlagerung in tiefen Bohrlöchern

Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass international vereinzelt die Option der Einlagerung von radioaktiven Abfällen in tiefen Bohrlöchern betrachtet wird. Auch in Deutschland wurde diese Option untersucht (s. Seite 475 bis 484). Hierzu zeigt Bild 11 eine Beispielskizze für ein mögliches Einlagerungsschema (6).

Fig. 11. Schematic example of borehole disposal (6). // Bild 11. Mögliches Schema für eine Bohrlochlagerung (6).

Während speziell in den USA diese Einlagerungsoption weiter betrachtet wird und auch aktiv Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten stattfinden, wird in Deutschland dieser Entsorgungspfad nach einer Empfehlung der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ nicht aktiv weiterverfolgt (7).

5  Zusammenfassung

Der Blick über die Landesgrenzen von Deutschland hinaus zeigt, dass Kernenergie in den nächsten Jahrzehnten weiter eine wesentliche Rolle bei der Energieerzeugung spielen wird. In Deutschland gehen wir einen anderen Weg. Ab dem Jahr 2022 wird die Kernenergie für den Energiemix keinen Beitrag mehr leisten. Was bleibt, ist die Herausforderung der Entsorgung und Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Seit dem Jahr 2017 regelt in Deutschland das neue Standortauswahlgesetz die Suche nach einem geeigneten Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle (3). Als mögliche Wirtsgesteine werden Ton-, Kristallin- und Salzformationen untersucht. Dieser Auswahlprozess und die Errichtung eines Endlagers werden noch viele Jahrzehnte andauern.

International kann man die Fortschritte bzw. Bemühungen zur Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle in einem Endlager unterteilen in drei Länder mit benanntem Endlagerstandort (Finnland, Frankreich und Schweden), 13 Länder mit langfristigen konkreten Endlagerprojekten und zehn Länder mit langfristigen, jedoch unspezifischen Endlagervorhaben. Ohne erkennbare Endlagervorhaben sind aktuell zwölf Länder, welche die Kernenergie nutzen, genutzt haben bzw. nutzen möchten.

Abschließend lässt sich feststellen, dass international der Beginn der Einlagerung von hochradioaktiven Abfälle in ein Endlager kurz bevorsteht. Es werden in den nachfolgenden Jahrzehnten weitere Endlagerprojekte folgen. In Deutschland ist der Weg zur Standortentscheidung für ein Endlager durch das Standortauswahlgesetz skizziert, wir befinden uns jedoch erst am Anfang eines langen Prozesses.

Fußnoten

Fußnoten

(1) NUC19: Bilder und Informationen des Nuklearforum Schweiz/nuclearplanet.ch (mit freundlicher Genehmigung der Verwendung); Informationsabruf am 30.08.2019; www.nuklearforum.ch. 2019.

(2) EURATOM11: Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates der Europäischen Union über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, 2011.

(3) StandAG17: Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle (Standortauswahlgesetz). Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Bonn, 2017.

(4) BGE19: Pressebilder und Informationen der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) (mit freundlicher Genehmigung der Verwendung); Informationsabruf am 30.08.2019; www.bge.de/bge/presse/pressebilder. 2019.

(5) POS19: Pressebilder und Informationen der Posiva Oy Olkiluoto (mit freundlicher Genehmigung der Verwendung); Informationsabruf am 30.08.2019; www.posiva.fi/en/media/image_gallery. 2019.

(6) DBD16: Bracke, G.; Charlier, F.; Geckeis, H.; Harms, U.; Heidbach, O.; Kienzler, B.; Liebscher, A.; Müller, B.; Prevedel, B.; Röckel, T.; Sperber, A.: Gutachten Tiefe Bohrlöcher für die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe. K-MAT52. 2016.

(7) KOM17: Abschlussbericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe. K-Drs. 268. 2016.

(8) DOE16: Faybishenko, B.; Birkholzer, J.; Sassani, D.; Swift, P.: International Approaches for Nuclear Waste Disposal in Geological Formations. Geological Challenges in Radioactive Waste Isolation – Fifth Worldwide Review. United States. doi:10.2172/1353043. 2016.

(9) IRSN16: Storage of nuclear spent fuel: concepts and safety issues. Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN). IRSN Report No 2019-0181. 2019.

(10) WNA19: Informationen der World Nuclear Association/world-nuclear.org; Informationsabruf am 04.09.2019; www.world-nuclear.org/our-association/who-we-are/contact-us.aspx. 2019.

Autor: Dr.-Ing. Frank Charlier, Nukleare Entsorgung und Techniktransfer (NET), RWTH Aachen University, Aachen/Germany
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