Öffentliche Wahrnehmung und Gemeinschaftsbeteiligung bei der Kohletransition im Ruhrgebiet – Teilresultate des EU-Forschungsprojekts WINTER
Das EU-Forschungsprojekt WINTER

Ziel des EU-Forschungsprojekts WINTER ist die Erstellung einer interaktiven Web-Plattform für die Unterstützung des Managements von Kohleregionen, die sich in der Transition weg von der Kohle befinden, also eine Art interaktives Online-Handbuch für den Strukturwandel von Kohleregionen. WINTER steht für “Web-INTEractive management tool for coal Regions in transition”. Projektpartner sind das Forschungszentrum Nachbergbau (FZN) an der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA), Bochum, aus Deutschland (im Konsortium als DMT-THGA benannt), das Centre for Research and Technology in Hellas (CERTH) aus Griechenland und das Poltegor-Instytut aus Polen. (1) Gefördert worden ist das bis Juni 2024 gelaufene Projekt aus dem europäischen Research Fund for Coal and Steel (RFCS), der 2002 aus dem Restvermögen der früheren Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) errichtet worden ist und von der EU-Kommission für Forschungszwecke rund um den Kohle- und den Stahlsektor verwaltet wird (Bilder 1, 2).

Untersucht werden im Rahmen von WINTER die drei Pilotregionen Ruhrgebiet (Deutschland), West-Mazedonien (Griechenland) und Konin (Polen). Für diese drei Regionen in den unterschiedlichen Ländern erheben und analysieren die Expertinnen und Experten der Projektpartner technische, sozioökonomische, politische und rechtliche Strukturen anhand von „best und worst practice-Beispielen“. Die beispielhaften Regionen befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Transition: Während der Strukturwandel im Ruhrgebiet schon weit fortgeschritten ist, stehen die griechischen und polnischen Kohleregionen noch eher am Anfang dieser Prozesse.
Wissenschaftliches Hauptvorhaben von WINTER ist die Erarbeitung des angesprochenen regionalen Management-Handbuchs, das auf den bestehenden Governance-Strukturen der Pilotregionen aufbaut. Darüber hinaus werden systematisch Informationen aus den Regionen in einem Datenpool gesichert und strukturiert. Langfristig soll so ein interaktives, digitales Werkzeug als „management tool“ entstehen, mit dessen Hilfe die verschiedenen Stakeholder – darunter Kommunen, politische Akteure, Sozialpartner oder andere beteiligte Institutionen – den Transitionsprozess und damit verknüpfte Strategien für den notwendigen Strukturwandel optimieren können. Speziell am FZN wurden hierzu die regionalen Governance-Strukturen mit ihren sozioökonomischen Aspekten in den Pilotregionen untersucht und in dem Management-Handbuch zusammengeführt, das sich auf die Datenstruktur von WINTER bezieht. Damit wird erstmals in Europa ein Rahmenwerk für ein derartiges Management-Werkzeug geschaffen, welches ganz verschiedene (Kohle-)Standorte in einem regionalen Analysesystem zusammenführt, das auch konkrete Handlungsempfehlungen für eine praxisorientierte Umsetzung enthält. Die Erkenntnisse der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen perspektivisch auch auf andere Kohleregionen europaweit angewendet werden können.
Teil der Untersuchungen für WINTER sind auch eine Medienanalyse, die Aufschluss darüber geben soll, wie der Strukturwandel in der regionalen Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sowie eine Analyse der Gemeinschaftsbeteiligung bei der Bewältigung des Strukturwandels in den jeweiligen Regionen. Insbesondere dieser Teil soll hier mit Bezug auf das Ruhrgebiet in Deutschland näher dargestellt werden.
Ein erster Statusbericht über bis dahin vorliegende Ergebnisse war in Deutschland bereits auf dem 21. Altbergbau-Kolloquium 2023 in Essen vorgestellt worden (2). Gegenstand waren dort der holistische Ansatz des Projekts, ferner Zwischenergebnisse zu Umweltfragen und technischen Lösungen für die Flächensanierung sowie zu bestimmten sozioökonomischen und Management-bezogenen Aspekten einschließlich einer idealtypischen Management-Struktur in den drei Pilotregionen, darüber hinaus eine erste Lösung für das interaktive Webtool im Hinblick auf die Nutzung und Verarbeitung von Geodaten. Nachfolgend werden einige weitere Teilresultate speziell für die Kohletransition im Ruhrgebiet präsentiert, die nicht erst mit und nach der Beendigung des heimischen Steinkohlenbergbaus im Jahr 2018 eingesetzt hat (Bild 3).

Öffentliche Wahrnehmung der Kohletransition im Ruhrgebiet
Alle Projektpartner haben einen Katalog mit 14 gemeinsamen Fragen für die breite Öffentlichkeit der jeweiligen Regionen in ihren Ländern aufgestellt und per Online-Verfahren abgefragt. Nachfolgend sollen als Beispiel für die öffentliche Wahrnehmung der Kohletransition im Ruhrgebiet zu einigen ausgewählten Fragen die Antworten aus der breiteren Öffentlichkeit aufgezeigt werden. Daneben gab es noch eine Sonderbefragung sogenannter Stakeholder.
Das FZN hat vom 17. bis 30. November 2023 eine entsprechende, zuvor über eigene Kommunikationskanäle bekannt gemachte Online-Befragung durchführen lassen. Für diese Survey gab es bei 123 Besucherkontakten 108 Rückantworten (vollständig ausgefüllter Fragebogen). 82,6 % der Teilnehmer gaben an, selber im Ruhrgebiet zu wohnen, nur 17,4 % waren Interessenten von außerhalb der Region. Dies ist keine große und schon gar keine für die Gesamtbevölkerung der Region repräsentative Gruppe, sondern eher ein enger Kreis von Personen, die zu der Themenstellung bereits eine besondere Verbindung haben. Dennoch lassen sich aus den Antworten einige Schlaglichter der öffentlichen Wahrnehmung ableiten.
Das Befragungsdesign stellte sicherlich keine Überforderung dar. Fast drei Viertel der Teilnehmenden benötigten für die Beantwortung der Fragen fünf Minuten oder weniger. Beteiligt haben sich überwiegend Männer (63,3 %) und nur zu gut einem Drittel Frauen (36,7 %). Jugendliche nahmen kaum teil (20 Jahre und jünger: weniger als 1 %). Die Teilnehmenden stammten vielmehr mit 41,3 % aus der Altersgruppe 21 bis 40 und zu 43,1 % aus der Altersgruppe 41 bis 60 Jahre. Älter als 60 Jahre waren 14,7 %. 86,2 % der Teilnehmenden gaben an, in einem Beschäftigungsverhältnis, selbständig oder als Beamte tätig zu sein, 9,2 % waren Rentner/Pensionäre, 1,8 % Hausfrauen/-männer, 0,9 % Schüler, 1,8 % Sonstige.
Drei Fragenkomplexe sollen besonders hervorgehoben werden, weil sie zentrale Themenstellungen der Kohletransition ansprechen und teils möglicherweise etwas überraschende Antworten geliefert haben.
So lautete eine der ersten Fragen (Bild 4): Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an das Ruhrgebiet denken? Welche Aspekte verbinden Sie besonders mit der Region?

Hierzu antwortete eine große Mehrheit: Industrie und Bergbau (72,5 %). Dies unterstreicht die starke montanindustrielle Prägung der Region. Diese wirkt immer noch nach, obgleich der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet seit 2018 vollständig beendet und also nur noch Geschichte ist. Auch ist der tatsächliche Anteil der Industrie an Wertschöpfung und Beschäftigung im Ruhrgebiet heute unter dem Bundesdurchschnitt, was allerdings auch ein wesentlicher Grund der anhaltenden regionalen Strukturproblematik ist und – so kann man den Befund vorsichtig interpretieren – von den Befragten als Defizit empfunden wird. Sehr bemerkenswert erscheint, dass als regionalprägender Aspekt mit dem zweitgrößten Gewicht heute die Kultur- und Freizeitaktivitäten angegeben werden (56 %). In diesem Bereich hat das gegenwärtige Ruhrgebiet objektiv viel zu bieten und kann die Vorteile des urbanen Ballungsraums nutzen. Das wird offensichtlich auch von Vielen so wahrgenommen. An dritter Stelle folgt, wenngleich mit Abstand, der Aspekt Grünflächen und Natur (33 %). Als Wahrnehmung durch einen zumindest beträchtlichen Teil der Bevölkerung einer ehemaligen Bergbau- und Industrieregion ist das beachtlich und widerspricht dem immer noch verbreiteten Image nach außen. An vierter Stelle folgt der Aspekt gute Bildung (23,9 %), bei dem vor allem die große Hochschuldichte der Region eine Rolle spielen dürfte. Nicht verwunderlich ist, dass erst danach in der öffentlichen Wahrnehmung des Ruhrgebiets Einschätzungen wie „wirtschaftlicher Erfolg“ (19,3 %) und „attraktive Jobs“ (14,7 %) kommen. Letzteres kollidiert allerdings mit jüngsten Erhebungen, dass „Zukunftsjobs“ in den Bereichen grüne Technologien und Digitalisierung im Ruhrgebiet im Vergleich zu anderen Metropolregionen in Deutschland besonders schnell wachsen (3). Fast schon erstaunlich erscheint indessen, dass heute ein früher beherrschendes Umweltthema der Region, die „schlechte Luftqualität“, von noch weniger Befragten (11,9 %) genannt wird und „starke Umweltverschmutzung“ noch dahinter rangiert (11 %).

Bei der Frage „Welche dieser Punkte sind Ihrer Ansicht nach besonders wichtig für die Bürger ihrer Region (des Ruhrgebiets)?“ (Bild 5) gab es eine Auswahlliste, bei der ein Punkt in der öffentlichen Wahrnehmung klar dominiert: die „Schaffung neuer Jobs“ (81,7 %). Angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet von nach wie vor +/- 10 %, die damit hartnäckig vier Prozentpunkte höher liegt als im Bundesschnitt, kann das kaum überraschen. Mit einigem Abstand folgen die Anliegen „Umweltschutzmaßnahmen“ (49,5 %) und sogar noch davor „Bewahrung des industriellen Erbes“ (55 %) – offenbar ein Punkt, der für große Teile der Bevölkerung des Ruhrgebiets weiterhin alles andere als nachrangig ist. „Bürgerbeteiligung und Transparenz“ (38,5 %) sowie „Unterstützung betroffener Arbeitnehmer“ (24,8 %) wird nicht ein so hohes Gewicht zugemessen, was möglicherweise daran liegt, dass hier auch deutlich geringere Defizite wahrgenommen werden.

Die Frage „Welche Art von Maßnahmen sind Ihres Erachtens notwendig für den Strukturwandel im Ruhrgebiet?“ (Bild 6) hat in der befragten öffentlichen Wahrnehmung ebenfalls eine klare Nr. 1: die Förderung neuer Technologien (74,3 %). Wiederum mit deutlichem Abstand folgen „Umschulung und Ausbildungsprogramme“ (45 %) und „Entwicklung neuer Energieformen“ (39,4 %) – im früheren Kohlerevier steht der Ersatz der Kohle durch neue Energien – obgleich nicht genau definiert – demnach in der beteiligten Öffentlichkeit weniger hoch im Kurs als Technologieoffenheit und Qualifizierungsmaßnahmen in der Breite der Wirtschaft. Speziellere Anliegen der Wirtschaft selbst werden dagegen weniger gewichtig wahrgenommen wie „Unterstützung von Start-ups und neuen Unternehmen“ (35,8 %) oder „Ausweisung neuer Gewerbegebiete“ (11,9 %). Auch eine „stärkere Bürgerbeteiligung“ (28,4 %) hält weniger als ein Drittel der Befragten für notwendig für den weiteren Strukturwandel im Ruhrgebiet.
Weitere Fragen betrafen etwa Bewertung der Bemühungen der Landesregierung und der Kommunen, den Wandel weg von der Kohle im Ruhrgebiet zu managen (38,5 % halten diese für durchschnittlich, 39,5 % für gut oder besser) oder die eigene Kenntnis von konkreten Transitionsprojekten im Ruhrgebiet (bei den Beteiligten relativ hoch: 68 %) oder nach der eigenen Beteiligung an entsprechenden Initiativen bzw. Entscheidungsprozessen (verhältnismäßig niedrig: 16 %). Dies mag aber auch daran liegen, dass es im Ruhrgebiet schon seit langem etablierte Formen und Verfahren der Gemeinschaftsbeteiligung gibt, die im nächsten Abschnitt dargestellt und gewürdigt werden.
Gemeinschaftsbeteiligung bei der Kohletransition im Ruhrgebiet
Was die Gemeinschaftsbeteiligung („community involvement“) an der Kohletransition im Ruhrgebiet betrifft, hat speziell das FZN eine umfängliche Untersuchung der dazu entfalteten staatlichen Aktivitäten der jüngeren Vergangenheit vorgenommen, die hier zusammengefasst wiedergegeben wird. Dabei geht es ausdrücklich nicht um die früheren kohlepolitischen bzw. begleitenden strukturpolitischen Maßnahmen von Bund und Land Nordrhein-Westfalen oder das im Kontext des Kohleausstiegs in Deutschland aufgelegte nationale Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen und seine Implikationen für das Ruhrgebiet. (4) Unter Gemeinschaftsbeteiligung werden hier Projekte oder Initiativen mit kommunaler oder lokaler Beteiligung bis bin zu Bürgerbefragungen verstanden.
Vorweg sei auf eine frühere internationale Analyse der längerfristigen Erfahrungen des Ruhrgebiets mit dem Strukturwandel hingewiesen, die nach eigener Schlussfolgerung vier wesentliche, sehr plausible Erkenntnisse für eine sozialverträgliche Transition erbracht haben (5). Nötig sind
- eine Strategische Planung (die zielstrebig über Wahlperioden hinausreicht),
- Engagement der Stakeholder (insbesondere der Bergbauunternehmen selbst, im Ruhrgebiet der RAG Aktiengesellschaft und intensiver sozialer Dialog, insbesondere mit den Gewerkschaften, im Ruhrgebiet mit der IG BCE),
- Ressourcen, sprich hinlängliche öffentliche Finanzrahmen, und
- Nachhaltigkeit bzw. „langer Atem“ für alle strukturpolitischen Bemühungen.
Nur auf einer solchen Basis könne Gemeinschaftsbeteiligung auf Dauer erfolgreich sein. Das Ruhrgebiet kann diesbezüglich mit einem beträchtlichen Erfahrungsschatz aufwarten. Das World Resource Institute (WRI) würdigt das Ruhrgebiet als beispielgebend dafür, wie mit einem solchen Ansatz auf Basis seines industriellen Erbes und Kapitals die regionale Identität gewahrt und zugleich eine Diversifikation in Richtung auf neue Technologien, insbesondere im Umweltsektor, Transport und Logistik sowie große, prestigeträchtige soziokulturelle Projekte angestoßen werden konnten. (6)
Wichtige erste Erfahrungen mit der Gemeinschaftsbeteiligung im Ruhrgebiet hat die IBA Emscherpark von 1989 bis 1999 erbracht. Sie betraf zwar zunächst nur die Emscherregion, damals als „Hinterhof des Ruhrgebiets“ betrachtet, war vom Land initiiert und auch mit Fördermitteln von Bund und EU unterstützt worden. Sie hätte ohne aktive Beteiligung der betroffenen Kommunen, des Regionalverbands Ruhr (RVR) und der Grundstückeigner (Kohle- und Stahlunternehmen) aber nicht realisiert werden können. Die IBA Emscherpark konzentrierte sich auf eine dauerhafte ökologische Sanierung der Teilregion – die Emscher-Renaturierung ist bekanntlich erst 2023 abgeschlossen worden – sowie eine kulturelle Aufwertung und Erneuerung vieler Standorte, brachte dabei aber zahlreiche Leuchtturmprojekte hervor wie den Campus der Zeche und Kokerei Zollverein in Essen – ab 2001 dann sogar mit Status Welterbe (s. S. 344 – 353) – den Landschaftspark Duisburg-Nord oder die Akademie Mont Cenis in Herne, die Grundlage geworden sind für die seither im Ruhrgebiet etablierte „Route der Industriekultur“. Im Nachgang wurden stets mit lokaler Beteiligung etliche weitere interkommunale Projekte entwickelt, die alle mit dazu beitrugen, dass das Ruhrgebiet als Europäische Kulturhauptstadt 2010 ausgewählt wurde. (7)
Diese interkommunale Kooperation wurde sodann verstärkt durch die bundespolitische Entscheidung im Jahr 2007, den subventionierten Steinkohlenbergbau in Deutschland bis 2018 zu beenden. Das nahmen die betroffenen Kommunen des Ruhrgebiets zum Anlass, gemeinsam ein „Konzept Ruhr“ zu formulieren und zusammen mit der Stadt Ibbenbüren die Initiative „Wandel als Chance“ anzustoßen, die nach wie vor in Gang ist und zahlreiche kommunale und interkommunale Projekte für den Strukturwandel zum und nach dem Ende der Steinkohlenförderung auf den Weg gebracht hat. Dabei sind von Anfang an drei Handlungsfelder ins Zentrum gestellt worden: „Fördern und Begleiten“ im Bereich Bildung, „Neu Nutzen und Entwickeln“ im Bereich gewerbliche Flächenentwicklung und Vermarktung sowie „Erneuern und Erfinden“ im Bereich wirtschaftliche Innovation und Forschung. Ein viel beachtetes Ergebnis dieser Initiative ist die Bergbauflächenvereinbarung zwischen RAG, Land, Regionalverband Ruhr (RVR) und diversen Standortkommunen, mit der zunächst 20 vormalige Bergbauflächen für neue kommunale Vorhaben entwickelt werden konnten. (8)
Die Initiative Wandel als Chance gab und gibt wiederum starke Impulse für die Aufstellung des Regionalplans Ruhr, für den 2009 der RVR als Planungsbehörde für das Ruhrgebiet mit seinen elf Städten und vier Landkreisen die Zuständigkeit erhalten hat (Bild 7). Der Regionalplan Ruhr legt gemeinschaftlich die regionalen Ziele der Raumordnung für die Entwicklung des Ruhrgebiets sowie für alle raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen fest und ist auf einen Planungszeitraum von 20 Jahren ausgerichtet. (9) Das Verfahren hatte indes einen jahrelangen Vorlauf und zeitigte gewisse Verzögerungen durch interne Unstimmigkeiten, sodass der fertige neue Regionalplan Ruhr nun erst zum 28. Februar 2024 offiziell in Kraft getreten ist.

Mit diesem Regionalplan erhalten die Bauleitplanung, die Landschaftsplanung und fachrechtliche Verfahren verbindliche Vorgaben. Von Anfang an waren nicht nur die Kommunen des Ruhrgebiets und ihre amtlichen Vertreter, sondern auch die breitere Öffentlichkeit der Bürger und der Zivilgesellschaft an der Erarbeitung des Regionalplans mitbeteiligt. Dazu gab es z. B. neben vorlaufenden Fachdebatten frühzeitig den vom RVR organisierten „Ideenwettbewerb Zukunft Metropole Ruhr“ sowie drei öffentliche „Zukunftsforen“, deren Ergebnisse 2013/14 unter „1000 Ruhrideen“ veröffentlicht wurden. (10) Anschließend wurden im Zeitraum bis 2017 gezielt zahlreiche Fachbeiträge und -konferenzen sowie sogenannte Regionalforen veranstaltet, mit denen die Herausforderungen, das absehbare Zukunftsbild und mögliche Wege dahin diskutiert wurden. Im Jahr 2018 erfolgte dann der Erarbeitungsbeschluss der Verbandsversammlung für den Regionalplan, der das formelle Verfahren einleitete. Im Jahr 2021 wurde ein erster offizieller Teilplan über regionale Kooperationsstandorte aufgestellt. Im Jahr 2022 fanden gemäß den erforderlichen formalrechtlichen Kriterien öffentliche Beteiligungsverfahren statt. Schließlich wurde am 10. November 2023 der Feststellungsbeschluss gefasst, der nun gesetzliche Rechtskraft erlangt hat.
Schon vor der förmlichen Verabschiedung des Regionalplans legte der RVR 2022 das informelle „Handlungsprogramm Ruhr“ vor, welches 54 laufende gemeinschaftliche Projekte zuzüglich 29 Projektankündigungen und einen „Themenspeicher“ für weitere 41 mögliche Projekt enthält (11). Für die Kohletransition einschlägige oder besonders wichtige Beispiele laufender Projekte sind etwa das Haldenkonzept Ruhr für 58 Halden in der Region, die bereits im Eigentum des RVR stehen oder bis 2035 von ihm übernommen werden, die „Wissensmetropole Ruhr“ mit spezifischen Kooperationen wie der Universitätsallianz Ruhr, dem Wissenschaftsforum Ruhr oder der Bildungsinitiative Ruhr Futur und Europa.Ruhr zur Koordinierung der Europa-Aktivitäten der Region über den RVR. Letztere beinhaltet u. a. auch die Begleitarbeit zum für das nördliche Ruhrgebiet aufgestellten Just Transition Plan, der Förderung durch den Just Transition Fund der EU für Kohleregionen im Wandel erhält. Im Jahr 2024 ist darüber hinaus vom RVR die „Offensive Grüne Infrastruktur Ruhr 2030“ gestartet worden, die auf Basis einer Charta „Grüne Infrastruktur“ mit sechs Bausteinen zahlreiche lokale Initiativen bündelt und die planerische Grundlage für das äußerst anspruchsvolle gemeinsame Ziel schaffen soll, das Ruhrgebiet zur „grünsten Industrieregion der Welt“ zu entwickeln. (12)
Mit bescheidenerem Anspruch gestartet, aber ebenfalls international viel beachtet, ist unterdessen die Initiative InnovationCity Ruhr des von der regionalen Wirtschaft getragenen Initiativkreis Ruhr. Ziel der InnovationCity Ruhr ist ein Modellprojekt für den klimagerechten Stadtumbau, das in der klassischen Bergbaustadt Bottrop gestartet worden ist, in der das letzte produzierende Bergwerk des Ruhrgebiets Prosper-Haniel stand (13). Durch aktive Bewerbung und Beratung der Bürger in einem städtischen Pilotgebiet sollten sozusagen „von unten“ eine Senkung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen im Gebäudebestand der Stadt auf Grundlage einer entsprechenden Roadmap, eines Masterplans und eines Innovationshandbuchs durch energetische Sanierungen, Ausweitung des Einsatzes von Wärmepumpen und Solarthermie sowie innovativer Batteriekonzepte erreicht werden. Diese Initiative war recht erfolgreich. Gut ein Drittel des Gebäudebestands ließ sich einbeziehen. Die energetische Sanierungsrate konnte im Pilotgebiet auf jahresdurchschnittlich 3,3 % gesteigert werden, was doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt. Im Jahr 2021 konnte als Zwischenbilanz beinahe eine Halbierung der CO2-Emissionen gegenüber 2009 (zum Vergleich: bundesweit 19 %) vermeldet werden. (14) Mittlerweile erfolgt ein „Roll-out“ auf andere Städte des Ruhrgebiets.

Im Gegensatz zur vorgenannten Bottom-up-Initiative InnovationCity steht eine Top-down-Initiative der Landesregierung Nordrhein-Westfalens, die sogenannte Ruhr-Konferenz (Bild 8). Sie wurde zeitgleich zum Ende des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet im Herbst 2018 gestartet und sollte anders als politische Spitzenveranstaltungen gleichen Namens bereits in den 1970er und 1980er Jahren nach einer Vorlauf- und Beschlussphase einen anhaltenden Prozess einleiten. Zunächst fanden 2018 und 2019 nicht weniger als 20 themenzentrierte öffentliche Diskussionsrunden mit Bürgerbeteiligung statt, die dringliche Bedarfe benennen und konkrete Vorschläge für die Gestaltung des Strukturwandels generieren sollten. Daraufhin stellte die Landesregierung Nordrhein-Westfalens die Ruhr-Konferenz unter das Motto „Menschen machen Metropole“ und wählte 73 Einzelprojekte aus, die besondere Unterstützung des Landes bekommen und folgende fünf Handlungsfelder aus allen Lebensbereichen abdecken sollen (15):
- vernetzte Mobilität – kurze Wege,
- erfolgreiche Wirtschaft – gute Arbeit,
- gelebte Vielfalt – starker Zusammenhalt,
- sichere Energie – gesunde Umwelt,
- beste Bildung – exzellente Forschung.
Führung und Verantwortung der Ruhr-Konferenz waren zunächst beim Ministerpräsidenten und beim Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalens angesiedelt und sind nach der Landtagswahl 2021 auf das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung übergegangen. Ob und inwieweit die einzelnen Projekte – dazu zählt z. B. die schon oben erwähnte Offensive Grüne Infrastruktur – geeignet sind, die Kohletransition erfolgreich voranzubringen, ist teilweise umstritten und bleibt abzuwarten. Erste Einschätzungen etwa der regionalen Industrie- und Handelskammern waren eher zurückhaltend und bezeichneten die Projekte als allzu „kleinteilig und blass“. (16) Dennoch gibt die Ruhr-Konferenz sicherlich einige positive Anstöße und Hilfen für den regionalen Strukturwandel, die es sonst nicht gegeben hätte. Ein zentrales Problem für die Kommunen des Ruhrgebiets hat die Ruhr-Konferenz zwar diskutiert, aber bisher keiner Lösung zugeführt, nämlich die hohen finanziellen Altlasten der Kommunen, die primär Folge des früheren Strukturwandels weg von der Kohle sind. (17)
Fazit
Die geschilderten Erfahrungen mit der Gemeinschaftsbeteiligung bei der Kohletransition im Ruhrgebiet demonstrieren – auch mit Blick auf die Schlussfolgerungen für das Forschungsprojekt WINTER auf europäischer Ebene – dass es kein verallgemeinerbares Patentrezept für einen erfolgswirksamen Strukturwandel gibt. Stets müssen die jeweiligen regionalen und lokalen Gegebenheiten berücksichtigt, unterschiedliche Entscheidungsebenen eingebunden, Anpassungen an wechselhafte Umstände und Einflussfaktoren vorgenommen und ein permanenter Lernprozess für die nötige Reifungszeit angetreten werden. (18)
Als generelle Erkenntnis lässt sich auch ableiten, dass Gemeinschaftsbeteiligung bei Transitionsprozessen sehr wertvoll ist, Silo-Denken verhindert, notwendige Kooperation ermöglicht und viele nützliche Informationen bereitstellt, jedoch gleichzeitig verlässliche Führung, Organisation und Kommunikationsbereitschaft verlangt. Keineswegs leicht ist es, die angemessene Balance zwischen bloßer Information, beratenden Funktionen und aktiver Beteiligung an Entscheidungsprozessen zu finden und zu bewahren.
Zudem ist Gemeinschaftsbeteiligung, in welcher Form auch immer, weder im Allgemeinen noch bei der Kohletransition im Besonderen der alleinige Schlüssel für ein Gelingen des Strukturwandels. Die Schwierigkeiten des Ruhrgebiets, trotz vielerlei Fortschritten im Detail und der skizzierten Beteiligungsformen seine Strukturprobleme zu lösen, belegen das. Von größerer Bedeutung sind für die Region günstige Marktentwicklungen, klassische regionale Strukturförderung und eine nachhaltig geeignete allgemeine Wirtschaftspolitik. Und auch dazwischen ergeben sich noch manch andere relevante Ansatzpunkte für Zukunftsimpulse. (19)
References / Quellenverzeichnis
(1) Ein Überblick einschließlich der hier vorgestellten Teilresultate ist online abrufbar beim FZN unter WINTER – Forschungszentrum Nachbergbau (www.thga.de) oder direkt auf der Website des WINTER-Projekts WINTER – RFCS Accompanying Measure (www.winter-project.eu).
(2) Cebula, L. et al. (2023): Regionales Web-tool zum Managen von europäischen Kohleregionen im Wandel – Statusbericht zum EU-Projekt WINTER. Tagungsband des 21. Altbergbaukolloquiums auf dem UNECSO-Welterbe Zollverein Essen, S. 42 – 49. Bock, M.; Goerke-Mallet, P.; Melchers, C.; Rudolph, T.; Westermann, S. (Hrsg.), Bochum.
(3) RWI-Projektbericht (2024): Berufe mit Zukunft im Ruhrgebiet. Studie im Auftrag des Regionalverbands Ruhr. Online abrufbar beim RVR zusammen mit der Pressemitteilung vom 7.5.2024 unter Neue RWI-Studie: Ruhrgebiet mit starkem Beschäftigungswachstum in Zukunftsjobs (rvr.ruhr).
(4) Eine ausführliche Auseinandersetzung dazu findet sich z. B. in van de Loo, K. (2023): Grundlagen einer nachhaltigen Ökonomie der Transition von Bergbauregionen (dargestellt am Beispiel des Kohleausstiegs in Deutschland). Berichte zum Nachbergbau, Heft 4, Selbstverlag des Forschungszentrums Nachbergbau/Technische Hochschule Georg Agricola Bochum.
(5) Mavrogenis, S. (2019): Just transition is possible! The Case of Ruhr (Germany). WWF Blog regionsbeyondcoal. Online abrufbar unter www.regionsbeyondcoal.eu/just-transition-is-possible-the-case-of-ruhr-germany
(6) World Resources Institute (WRI) (2021): Germany: The Ruhr region’s pivot from coal mining to a hub of green industry and expertise. Washington D.C. Online abrufbar unter www.wri.org/update/germany-ruhr-regions-pivot-coal-mining-hub-green-industry-and-expertise#
(7) Brüggemann, J.; Melchers, C. (2017): Montanindustrielle Raumnutzung verstehen – Folgen und Perspektiven für das postmontane Zeitalter. In: Polivka, J.; Reicher, C.; Zöpel, C. (Hrsg.): Raumstrategien Ruhr 2035+, Dortmund, S. 37 – 58.
(8) Brüggemann, J. (2021): Bergbauflächenvereinbarung (BBFV) RUHR – Untersuchung zur Wirksamkeit einer neuen Kooperationsform. In: Mining Report Glückauf 157 (2021) Nr. 5, S. 441 – 449. Online: https://doi.org/10.48771/5srt-y672
(9) Zum Regionalplan Ruhr siehe die Eigendarstellung des RVR. Online abrufbar unter Regionalplan Ruhr (rvr.ruhr).
(10) RVR (2013): Ideenwettbewerb Zukunft Metropole Ruhr, Essen. Online abrufbar unter www.ideenwettbewerb.metropoleruhr.de
(11) RVR 2022: Handlungsprogramm zur räumlichen Entwicklung der Metropole Ruhr, Essen. Online abrufbar unter www.rvr.ruhr/themen/regionalentwicklung/handlungsprogramm
(12) www.rvr.ruhr/themen/oekologie-umwelt/gruene-infrastruktur
(13) Initiativkreis Ruhr (2023): Innovation City Ruhr 2023. Online abrufbar unter www.initiativkreis-ruhr.de/projekte-events/#innovationCityRuhr
(14) Bottrop Leitprojekt Innovation City (2021): Bottrop hat die CO2-Emissionen im Pilotgebiet halbiert. Presseinformation vom 15.6.2021. Online abrufbar unter www.bottrop.de/innovationcity/aktuelles/bottrop-hat-co2-emissionen-halbiert.php
(15) Einen aktuellen Überblick zur Ruhrkonferenz sowie den bislang letzten Fortschrittsbericht für 2022 liefert die einschlägige Website des zuständigen NRW-Ministeriums. Online abrufbar unter www.mhkbd.nrw/themenportal/ruhr-konferenz
(16) Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 7.9.2020: Revier-IHKs kritisieren: „Die Ruhrkonferenz bleibt blass“. Online abrufbar unter www.waz.de/wirtschaft/wirtschaft-in-nrw/revier-ihks-kritisieren-die-ruhrkonferenz-bleibt-blass-id230345598.html
(17) Dazu siehe u. a. van de Loo, K.; Brüggemann, J. (2021): Nachbergbauforschung zu Reaktivierung und Transition. In: Mining Report Glückauf 157 (2021) Nr. 2, S. 127 – 139. Online: https://doi.org/10.48771/qyw1-vn40
(18) van de Loo, K. (2021): Werkzeuge für den Wandel – Wie die EU die „Coal Transition“ bewerkstelligen will. In: Mining Report Glückauf 157 (2021) Nr. 6, S. 528 – 550. Online: https://2025.mining-report.de/wp-content/uploads/_pda/2021/12/MRG_2106_PM_tools_for_change_coal_transition_THGA_vandeLoo_211203.pdf
(19) van de Loo, K.; Haske, J. (2023): Politökonomische Reaktivierung des Ruhrgebiets durch neue staatliche Institutionen. In: Wirtschaftsdienst 193. Jg. (2023) Heft 12, S. 856 – 863.