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Tactical Medical Mining Rescue − leitliniengerechte taktische Notfallmedizin für Grubenwehren und Rettungs­organisationen in schwer zugänglichen Gebieten

Seit längerem besteht eine Versorgungslücke professioneller notfallmedizinischer Erstversorgung unter Tage und in schwer zugänglichen Bereichen von Gewinnungsbetrieben mit potentiell schlechterem Outcome nach Arbeitsunfällen und medizinischen Notfällen im Vergleich zur Normalbevölkerung. Eine Ursache sind Strukturänderungen im Grubenrettungswesen, welche mit dem Wandel im deutschen Bergbau von ehemals wenigen großen Förderbetrieben hin zu kleineren Betrieben mit unterschiedlichen Betriebszwecken einhergehen. Dabei stellt sich die Frage, wie eine flächendeckende professionelle medizinische Erstversorgung unter Tage bei zumeist fehlender betrieblicher Vorhaltung und langen Rettungswegen gewährleistet werden kann. Aufgrund der speziellen Rahmenbedingungen im Bergbau, insbesondere dem unter Tage, braucht es daher neue Konzepte, um eine adäquate Notfallrettung zu gewährleisten. Mit dem Ziel, diese Versorgungslücke zu schließen, hat ein Team der Grubenwehr des Forschungs-und Lehrbergwerks (FLB) Reiche Zeche der Technischen Universität (TU) Bergakademie Freiberg und der Zentralen Notaufnahme des Kreiskrankenhauses Freiberg ein neuartiges Rettungskonzept aus Elementen fortgeschrittener Notfallrettung und taktischer Medizin nebst speziell abgestimmter komprimierter Ausrüstung entwickelt, welches in einem standardisierten Ausbildungscurriculum zur Notfallrettung unter Tage und in schwer zugänglichen Bereichen über Tage vermittelt wird.

Authors/Autoren: Prof. Dr. med. habil. Andreas Fichtner, Kreiskrankenhaus Freiberg, Technische Universität (TU) Bergakademie Freiberg, TU Dresden, Medizinische Fakultät; Christine Staak, Universitätsklinikum Halle, Halle (Saale); Dipl.-Ing. Benedikt P. Brunner, Universität Göteborg/Schweden; Dipl.-Ing. Frank Reuter, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Helmut Mischo und Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jörg Benndorf, Technische Universität (TU) Bergakademie Freiberg, Freiberg

Fallbeispiel 1

Fig. 1. Accident during securing works in the mine (simulated scenario). // Bild 1. Unfall bei Sicherungsarbeiten (Szenario nachgestellt). Photo/Foto: A. Fichtner, F. Reuter

Um 10.16 Uhr morgens ereignet sich in einer Störungszone in 800 m Teufe und 19 km Entfernung vom Schacht ein schwerer Unfall: Bei Sicherungsarbeiten kommt es beim Aufstecken der Bewehrungsmatten auf den Anker in der Lafette zum Lösen einer frischen Spritzbetonschale aus der Firste. Die Spritzbetonschale trifft den am Bohrwagenarm beschäftigten Hauer im Kopfbereich (Bild 1). Dieser wird durch die herabstürzende Betonmasse zu Boden gerissen und zieht sich neben einer Kopfplatzwunde eine stark blutende tiefe Risswunde im Bereich des Oberschenkels zu. Bei Eintreffen der Grubenwehr gibt der Verunfallte starke Schmerzen im Bereich des Kopfes und des Oberschenkels an. Die Wunden werden provisorisch mit Kompressen und Binden abgedeckt, anschließend wird der Schwerverletzte auf die Rettungstrage gelagert. Hierbei kommt es zu Erbrechen von Mageninhalt. Nach Umlagerung des inzwischen blassen und kaltschweißigen Verletzten wird dieser aufgrund des Schädelhirntraumas bewusstlos. Des Weiteren verrutscht der bereits durchgeblutete Verband bei den Maßnahmen und es kommt zu einer erneuten Zunahme der bisher nicht gestillten Blutung. In stabiler Seitenlage wird der Bewusstlose im Einsatzfahrzeug der Grubenwehr durch das Revier in Richtung Schacht transportiert. Die Einfahrt des verständigten Rettungsdienstes verzögert sich aufgrund sicherheitsrelevanter Einweisungen und verschiedenster Unklarheiten und Bedenken seitens des Rettungsdienstes bezüglich des Eigenschutzes. Um 11.10 Uhr, also 54 min nach Alarmierung, wird dem Rettungsdienst der lebensbedrohlich verletzte Patient über Tage übergeben. Dieser befindet sich, aufgrund des Blutverlusts am Oberschenkel, inzwischen im Volumenmangelschock und aufgrund der Aspiration von Mageninhalt in die Lunge und unzureichender Eigenatmung im akuten Sauerstoffmangel. Nach einem langen intensivmedizinischen Verlauf wird er dauerhaft arbeitsunfähig aus dem Krankenhaus entlassen.

Dieses fiktive Szenario, mit schwerverunfallter Person im Untertagebergbau, soll verdeutlichen, vor welchen medizinischen Herausforderungen die Grubenwehr in solch einem Ernstfall stehen könnte, mit welchen logistischen Problemen sich der zivile Rettungsdienst bei einem Unfall in der Grube konfrontiert sieht und wie sich diese Versorgungslücke auf das medizinische Ergebnis des Patienten auswirken kann. Dabei besteht ein systembedingter Versorgungsnachteil für die berufsgenossenschaftlich versicherten Arbeitnehmer aufgrund ihrer Tätigkeit in verzögert zugänglicher Arbeitsumgebung bei unzureichend angepasster notfallmedizinischer Absicherung.

Können wir auch anders?
Ja, können wir. Fallbeispiel 2 beschreibt, wie eine adäquate Versorgung des Verunfallten durch die Grubenwehr nach Absolvierung eines zweitägigen − inzwischen leitlinienbasierten − standardisierten Ausbildungscurriculums und Vorhalten spezifischer kompakter Notfallausrüstung, basierend auf den Grundlagen der taktischen Medizin, aussehen könnte.

Fallbeispiel 2

Nach Eintreffen der Grubenwehr erfolgt eine rasche Versorgung der stark blutenden Oberschenkelwunde mit einfach anzuwendenden und gerinnungsaktivierenden Verbandsstoffen, bis es zu einem Sistieren der Blutung kommt. Zur Schmerzstillung verabreichen die Kumpel dem Verunfallten ein stark und rasch wirksames Schmerzmedikament, welches über die Nase appliziert wird. So wird eine schmerzarme Umlagerung auf die Rettungstrage mit anschließendem Transport möglich. Nach Erbrechen und Bewusstseinsverlust wird das Erbrochene aus dem Rachen abgesaugt, der Atemweg des Patienten mit einer Kehlkopfmaske gesichert und die Maske an den Oxylator FR 300 B angeschlossen. Über eine in das Brustbein eingebrachte Kanüle applizieren die Kumpel Volumenersatzflüssigkeit zur Kreislaufstabilisierung sowie ein Medikament zur Stabilisierung der Blutgerinnung. Nach weniger als 15 min befindet sich der Verunfallte unter kontinuierlichem pulsoxymetrischem Monitoring bereit zum Transport im Fahrzeug der Grubenwehr. Bei der Übergabe an den Rettungsdienst findet dieser einen nach den Maßstäben der notfallmedizinischen Erstversorgung suffizient und professionell behandelten Patienten vor, welcher mit stabilem Kreislauf sowie in maschinell unterstützter Spontanatmung und guter Sauerstoffversorgung ohne weitere Maßnahmen in das nächste Krankenhaus verlegt werden kann (Bild 2).

Fig. 2. Treatment according to TMR® concept (scenario with simulated patient). // Bild 2. Versorgung nach TMR®-Konzept (Szenario mit Schauspielpatient). Photos/Fotos: A. Fichtner, F. Reuter

Konzeptentwicklung

Aufgrund verschiedenster struktureller Entwicklungen im Bergbau sowie organisatorischer als auch medizinischer Besonderheiten in der Untertage-Notfallrettung, war es dringend notwendig, neue Konzepte zur Gewährleistung einer suffizienten Notfallversorgung zu entwickeln sowie die entsprechenden Leitlinien für das deutsche Grubenrettungswesen anzupassen. Die Umstrukturierung des Bergbaus von großen Förderbetrieben  zu vielen kleinen Betrieben mit ausgedehntem Spektrum bringt auch zwangsläufig eine Neuorganisation des Grubenrettungswesens mit sich. Personalstarke Grubenwehren mit angegliedertem ärztlichen Rettungspersonal, wie sie noch aus den ehemaligen Großbetrieben bekannt sind, werden heute kaum noch vorgehalten. Erschwert wird diese Problematik durch deutlich längere Rettungszeiten unter Tage im Vergleich zum zivilen Bereich und einem regelhaften Überschreiten der geforderten Hilfsfristen von bundesweit je nach Landesrettungsdienstgesetz 8 bis 17 min. So erfolgte die Übergabe an den Rettungsdienst über Tage bei Unfällen in den Jahren 2018 und 2019 in Mitteldeutschland in den meisten Fällen erst nach 1 bis 2 1/2 h, längstens sogar erst 11 h nach Unfallzeitpunkt. Der verzögerte Kontakt des Verunfallten mit dem öffentlichen Rettungsdienst stellt, bei unzureichender Erstversorgung im Rahmen der Laienrettung, eine ernstzunehmende Gefährdung des Patienten dar und erhöht das Risiko für medizinische Komplikationen sowie ein schlechteres medizinisches Behandlungsergebnis.

Hinzu kommt, dass die öffentliche Notfallrettung nicht ohne Weiteres im Bergbau einsetzbar ist. Die für Gefahrenbereiche und weite Transportstrecken ungeeignete Ausrüstung des Rettungsdienstes, der Mangel an passenden Kommunikationsmitteln, die fehlende Vorhaltung von Langzeitatemschutz sowie Regelungen der Berufsverbände zum Eigenschutz in Gefahrenbereichen machen eine Notfallrettung unter Tage durch Feuerwehr und öffentlichen Rettungsdienst nur sehr beschränkt und auf freiwilliger Basis möglich. Diese Sachverhalte stehen im großen Widerspruch zu der zu erwartenden Verletzungsschwere. Das bisher geforderte Qualifikationsniveau der betrieblichen Ersthelfer war damit nicht mehr ausreichend, um eine suffiziente Erstversorgung von Verletzten im Rahmen der Laienrettung zu gewährleisten.

Mit dem Ziel, diese Versorgungslücke zu schließen, hat ein Team der Grubenwehr des Forschungs- und Lehrbergwerks (FLB) Reiche Zeche der Technischen Universität (TU) Bergakademie Freiberg und der Zentralen Notaufnahme des Kreiskrankenhauses Freiberg ein standardisiertes Ausbildungscurriculum für Grubenwehren zur Notfallrettung unter Tage und in schwer zugänglichen Bereichen über Tage entwickelt. Dieser, für die untertägigen Gefahrenbedingungen sowie für die Laienrettung bisher einmalige Kurs, wurde im Jahr 2021 im Rahmen des Hans-Werner-Feder-Preises auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin ausgezeichnet und stößt nach initialer Skepsis innerhalb der entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften und auch im Bereich von angrenzenden Hilfeleistungsorganisationen mit ähnlicher Problematik inzwischen auf große Resonanz.

Kursorganisation, Rechtsrahmen und Zertifizierung

Nach umfangreicher juristischer Prüfung und entsprechenden Stellungnahmen und unter Einbezug der jeweiligen Verwaltungsstellen des Bergbaus war es weiterhin möglich, das validierte Kurskonzept inzwischen fest in die Ausbildung der Grubenwehren zu implementieren. Seit dem letzten Jahr ist die Ausbildung nach „Tactical-Medical-Mining-Rescue“ (TMR®) Bestandteil der Leitlinien des Deutschen Ausschusses für Grubenrettungswesen, mit dem Ziel, das Qualifikationsniveau der Grubenwehren zu verbessern und eine adäquate Erstversorgung bis zum Eintreffen des Notarztes sicherzustellen. Dazu wird in den Leitlinien für Organisation, Ausstattung und Einsatz von Grubenwehren nun eine „auf die untertägigen und bergbauspezifischen Bedingungen ausgelegte, validierte, erweiterte Ausbildung in Erster Hilfe“ gefordert, sofern notärztliche Versorgungsmaßnahmen nicht unmittelbar möglich sind. Hierbei fungiert die TU Bergakademie Freiberg als Ausbildungs- und Zertifizierungskörper für TMR® und stellt eine fortwährende Validierung des Kurses und die geeignete didaktische Vermittlung der fortgeschrittenen notfallmedizinischen Kompetenzen an medizinische Laien sowie den Erhalt des Qualitätsniveaus der Ausbildung sicher (info@tmr-kurs.com). Neben der Grundausbildung und TMR®-Zertifizierung durch die TU Bergakademie Freiberg ist es möglich, sich nach erfolgreicher Absolvierung eines entsprechenden Lehrgangs zum TMR®-Instruktor zertifizieren zu lassen. Zur Aufrechterhaltung des Kompetenzniveaus sind alle zwei Jahre Wiederholungslehrgänge notwendig. Die erweiterte Notfallrettung durch Laien erfolgt auf rechtlicher Grundlage der Unternehmerpflicht zur Gewährleistung Erster Hilfe nach der Allgemeinen Bundesbergverordnung (ABBergV) gemäß § 11 Abs. Nr. 4, die Pflicht zur Ersten-­Hilfe-Leistung im Rahmen der Notkompetenz nach Strafgesetzbuch (§ 34 StGB) und die fehlende untertägige Zuständigkeit und Erreichbarkeit durch den öffentlichen Rettungsdienst (Brand- und Katastrophenschutzgesetze der Länder). Sobald medizinisches Fachpersonal zur Verfügung steht, endet selbstverständlich die medizinische Notkompetenz der Grubenwehr.

Kursinhalte, Validierung und notfallmedizinische Kompetenzen

Fig. 3. Summary of the TMR® deployment scheme at a glance. This scheme, with additional detailed information, is part of the TMR® equipment and serves as a valuable aid during the operation. // Bild 3. Zusammenfassung des TMR®-Einsatzschemas im Überblick. Dieses Schema ist mit zusätzlichen Detailinformationen Bestandteil der TMR®-Ausrüstung und dient während des Einsatzes als wertvolle Hilfestellung. Source/Quelle: A. Fichtner, F. Reuter

Für die Entwicklung des Kurskonzepts wurde das Einsatzspektrum der vergangenen Jahre im Bergbau ausgewertet, welches sich mit überwiegend traumatologischen Notfällen deutlich vom Einsatzspektrum über Tage unterscheidet. Dabei ist ein großer Teil der Verunfallten schwerverletzt, teilweise mit lebensbedrohlichen Verletzungsmustern. Dies machte es notwendig, die Ausbildungsinhalte auch auf die Behandlung Schwerverletzter auszurichten. Ein didaktisch auf Laien angepasstes Ausbildungscurriculum vermittelt schrittweise und aufeinander aufbauend die praktischen Fertigkeiten eines speziell entwickelten komprimierten notfallmedizinischen Handlungsalgorithmus. Der modifizierte
c-AVPU-ABCDE-Behandlungsalgorithmus ist in Bild 3 dargestellt. Dieser umfasst die Einschätzung einer akuten Lebensbedrohung, die Wiederbelebung, die Blutstillung, die Stabilisierung der Herz-Kreislauf- und Atemfunktion, die Schmerztherapie, Reposition und Schienung von Frakturen, den Wärmeerhalt, die Transportlagerung mit fixiertem Equipment und Möglichkeiten der Schleif- und Senkrechtrettung, auch unter invasiver Beatmung. Innerhalb von maximal 15 min kann so ein Patient im Rahmen der erlernten Kompetenzen vollständig medizinisch versorgt und für den Transport gelagert werden.

Bei der Entwicklung des Behandlungsalgorithmus nebst spezifischer und äußerst kompakter Ausrüstung stand der Anspruch an eine hohe Anwender- und Patientensicherheit unter dem Gesichtspunkt der Laienrettung im Vordergrund. Gleichzeitig soll eine moderne und zügige Notfallrettung unter Berücksichtigung der aktuellen notfallmedizinischen Leitlinien mit dem Ziel eines bestmöglichen Behandlungsergebnisses für den Patienten angeboten werden. Hierzu wurden etablierte Schemata aus der Notfallrettung und der taktischen Medizin modifiziert und daraus eine eigene logische Therapiekette erstellt, die es medizinischen Laien ermöglicht, den Patienten ohne umfassende medizinische Vorkenntnisse anhand einfacher diagnostischer Ergebnisse und klar definierter therapeutischer Maßnahmen sicher zu versorgen. Dabei werden die aufeinander aufbauenden praktischen Fertigkeiten in realistischer Einsatzumgebung direkt im Bergwerk im Rahmen eines Trainings von 16 Unterrichtseinheiten vermittelt und in realitätsnahen Unfallszenarien mit Schauspielpatienten nach Peyton-Schema erprobt. Am Ende der Ausbildung unterziehen sich die Kursteilnehmer einer Abschlussprüfung an sieben Stationen, welche als „Objective Structured Practical Examination“ (OSPE) durchgeführt wird und womit letztendlich die erlernten Fähigkeiten nachgewiesen sowie die Kursqualität dokumentiert werden. Zur Validierung der Kursinhalte und Einordnung in Bezug auf das Versorgungsniveau des öffentlichen Rettungsdienstes absolvierte außerdem zufällig ausgewähltes öffentliches Rettungsdienstpersonal mit unterschiedlichem Ausbildungsniveau die identische OSPE-Prüfung. Dazu wurden lediglich die spezifischen praktischen Fertigkeiten unter Beibehaltung von Arbeitsumgebung und Ausrüstung des öffentlichen Rettungsdienstes geprüft. In dem eng definierten Bereich der vermittelten Ausbildungsinhalte erzielte die Grubenwehr statistisch genauso gute Ergebnisse wie die Vergleichskohorte öffentlicher Rettungsdienst. Im Vergleich zur Untergruppe Rettungssanitäter erzielte die Grubenwehr sogar bessere Prüfungsresultate. Um zu überprüfen, inwieweit die erlernten Fähigkeiten auch nach mehreren Monaten noch adäquat angewendet werden können, wurden die identischen Teilnehmer der Grubenwehr einer erneuten OSPE-Prüfung nach einem sechsmonatigen übungsfreien Intervall unterzogen. Hierbei zeigte sich, dass die erlangten medizinischen Kompetenzen auch nach einem halben Jahr suffizient und ohne statistisch nachweisbaren Kompetenzverlust angewendet werden konnten. Der Vergleich der Prüfungsergebnisse der Grubenwehren mit der Referenzgruppe Rettungsdienst sowie der Untergruppe Rettungssanitäter ist in Bild 4 dargestellt.

Fig. 4. Validation results of the TMR® course compared to the public ambulance service (Med Klin Intensivmed Notfmed DOI 10.1007/s00063-021-00861-w). // Bild 4. Validierungsergebnisse des TMR®-Kurses im Vergleich zum öffentlichen Rettungsdienst (Med Klin Intensivmed Notfmed DOI 10.1007/s00063-021-00861-w). Source/Quelle: A. Fichtner, B. Brunner

Ausrüstungskonfiguration

Bei der Entwicklung der medizinischen Ausrüstung wurde die spezifische untertägige Umgebung berücksichtigt und entsprechend auf die schwierigen Einsatzbedingungen mit Nässe, Schmutz, Enge, eingeschränkten Sichtbedingungen, ggf. nicht-atembarer Atmosphäre sowie langen Rettungswegen und besonderen Transportanforderungen incl. Senkrechtrettung angepasst. So entstand, im Vergleich zum öffentlichen Rettungsdienst, ein wesentlich kompakterer Einsatzrucksack, der dennoch hinsichtlich der vermittelten Kompetenzen das gesamte Einsatzspektrum abdeckt. In funktionalen, herausnehmbaren Taschen werden die Ausrüstungsgegenstände entsprechend der Behandlungsblöcke in logischer Abfolge einsortiert verstaut (Bild 5).

Fig. 5. Backpack (47 cm long) with included deployment scheme and equipment completely stowed except for the environment-specific stretcher. // Bild 5. Einsatzrucksack (47cm lang) mit enthaltenem Einsatzschema und bis auf die Rolltrage vollständig verstauter Ausrüstung. Photos/Fotos: D. Müller, F. Reuter

Bei der Auswahl der Ausrüstungsgegenstände wurde berücksichtigt, dass die Handhabung leicht und sicher zu erlernen ist. Beispielsweise wurde von der Verwendung eines übungsintensiven − und bei Kreislaufzentralisierung auch unter idealen Bedingungen oft schwierig anzulegenden − peripheren Venenzugangs abgesehen und stattdessen auf einen zur Medikamenten- und Flüssigkeitsgabe nach kurzer Übung am Phantom leicht am Brustbein einzubringenden Zugang (E.Z.-I.O. T.A.L.O.N., Teleflex) zum Knochengefäßsystem fokussiert. Zur Stressminimierung und unter dem Verzicht der Vermittlung tiefgründigen differenzialtherapeutischen Fachwissens wurde auf die Anwendung von Berechnungen zur Wirkstoffdosierung verzichtet und die verfügbaren medikamentösen Darreichungsformen wurden so gewählt, dass für die Versorgung Erwachsener stets eine vollständige Ampulle aufgezogen und verabreicht wird. Zur Atemwegssicherung wird eine Larynxmaske Supreme (Teleflex) verwendet, welche durch den Anwender unkompliziert in den unteren Rachenbereich mit abschließendem Sitz auf dem Kehlkopf eingeführt werden kann und welche die für die speziellen Einsatzbedingungen notwendigen Insertions- und Abdichtungseigenschaften erfüllt. Für die Beatmung wird der Oxylator FR 300B (Panomed) verwendet, ein druckgesteuertes halbautomatisches und umluftunabhängiges Beatmungsgerät, mit dessen Anwendung die Grubenwehren vertraut sind. Eine eigens entwickelte Patientenkarte, anhand derer die Grubenwehr den Patienten strukturiert an den öffentlichen Rettungsdienst übergeben kann, dient der schnellen und übersichtlichen Dokumentation des vorgefundenen Verletzungsmusters und der verabreichten Therapie (Bild 6).

Fig. 6. Measure documentation on A5 format attachment card (Med Klin Intensivmed Notfmed DOI 10.1007/s00063-021-00861-w). // Bild 6. Maßnahmendokumentation auf Anhängekarte im Format A5 (Med Klin Intensivmed Notfmed DOI 10.1007/s00063-021-00861-w). Source/Quelle: A. Fichtner, F. Reuter

Qualitätskontrolle

Zur Kontrolle und Aufrechterhaltung des Qualitätsniveaus der in den einzelnen Betrieben durchgeführten TMR®-Kurse werden die jeweiligen Prüfungsergebnisse grundsätzlich statistisch ausgewertet und mit den Validierungsergebnissen verglichen. Hierbei erzielten die Teilnehmer, welche den Kurs bestanden haben, stets statistisch gleiche gute Ergebnisse wie die Studienteilnehmer der Kursvalidierung (Bild 7).

Fig. 7. Ongoing continuous quality control of TMR® course results comparing OSPE results of the initial validation group with participants results from industry courses. Error bars represent the 95 % confidence interval. In companies with participants without mine rescue qualification, a broader variation of results is noticeable despite no statistical difference. This might be due to a less advanced mental model regarding the scope of human rescue. // Bild 7. Kontinuierliche Qualitätskontrolle mittels statistischem Vergleich der OSPE-Ergebnisse der einzelnen Kurse mit der Validierungsgruppe. Fehler­alken stellen das 95 %-Konfidenzintervall dar. In Betrieben mit Kursteilnehmern ohne Grubenwehr-Zugehörigkeit fällt bei statistisch gleichem Ergebnis eine ­Tendenz zu größerer Streuung auf. Dies könnte durch ein vergleichsweise noch nicht vollständig adaptiertes mentales Modell des Einsatzspektrums Menschenrettung verursacht sein. Source/Quelle: A. Fichtner, C. Staak, B. Brunner

Eine praktische Anwendung der Ausbildungsinhalte bei realen lebensbedrohlichen Unfällen unter Tage steht bisher aus. Dennoch zeigt die nachgewiesene Kompetenzentwicklung der Kursabsolventen das Potential, die Versorgungslücke in der Notfallrettung im Bergwesen zu schließen. Das TMR®-Konzept wurde bereits auf mehreren nationalen und internationalen Fachtagungen vorgestellt, wie z. B. Jahrestagungen der Grubenwehren, des Werkfeuerwehrverbands und der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie, Society for Mining, Metallurgy and Exploration Annual Conference und International Mines Rescue Body Conference.

Universitätscurriculum

Um bereits in der universitären Ausbildung der zukünftigen Bergbauingenieure für ein hohes Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf Gesundheit und Arbeitssicherheit zu sensibilisieren, ist die Vermittlung notfallmedizinischer und physiologischer Hintergründe des TMR®-Konzepts seit dem Wintersemester 2022/23 Studieninhalt an der TU Bergakademie Freiberg. Dieses Angebot erweitert und ergänzt bisherige Inhalte zur Personalsicherheit, wie die bereits seit mehreren Jahren angebotenen Module „Sicherheit und Rettungswerke in der Rohstoffindustrie“ und „Studentische Gruben- und Gasschutzwehr“.

Die vierteilige Blockvorlesung „Industriesicherheit und Notfallmedizin für Ingenieurberufe“ im Umfang von zwei Semesterwochenstunden wird aktuell im Studium Generale und im Diplomstudiengang „Geotechnik, Bergbau, Geo-Energiesysteme“ angeboten und ist in die ab WS 2023/24 neu einzuführenden (geplanten) Diplomstudiengänge „Geoingenieurwesen“ und „Bergbau“ als Wahlpflichtmodul fest integriert.

Mit dieser Vorlesung soll das grundlegende Verständnis der Notwendigkeit einer präemptiv notfallmedizinisch abgesicherten Arbeitsumgebung frühzeitig geweckt werden, um damit den zukünftigen Verantwortungs- und Entscheidungsträgern die notwendigen Informationen an die Hand zu geben, damit diese in ihrem späteren Verantwortungsbereich notwendige organisatorische Entscheidungen im Hinblick auf Personalsicherheit und -gesundheit treffen können. Die hohe Nachfrage durch die Studierenden und auch Mitarbeiter spiegelt neben den bisherigen positiven Evaluationsergebnissen die Relevanz des Themas wider und zeigt das Interesse der zukünftigen Ingenieure an Aspekten notwendiger notfallmedizinischer Absicherung des Personals im Verantwortungsbereich.

Authors/Autoren: Prof. Dr. med. habil. Andreas Fichtner, Kreiskrankenhaus Freiberg, Technische Universität (TU) Bergakademie Freiberg, TU Dresden, Medizinische Fakultät; Christine Staak, Universitätsklinikum Halle, Halle (Saale); Dipl.-Ing. Benedikt P. Brunner, Universität Göteborg/Schweden; Dipl.-Ing. Frank Reuter, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Helmut Mischo und Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jörg Benndorf, Technische Universität (TU) Bergakademie Freiberg, Freiberg
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