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Zusammenarbeit zur Verbesserung der Arbeits­sicherheit im türkischen Bergbau besiegelt

Das türkische Ministerium für Bergbau, Rohstoffe und Energie, die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) in Genf und die Internationale Sektion der IVSS für Sicherheit und Gesundheitsschutz im Bergbau (ISSA Mining) haben in Ankara ein Memorandum of Understanding unterzeichnet und eine enge Zusammenarbeit zur Verbesserung der Arbeitssicherheit im türkischen Bergbau vereinbart.

Autor: Dipl.-Ing. Helmut Ehnes,
Generalsekräter der International Section on Prevention in the Mining Industry (ISSA Mining), Bochum, und
Leiter Prävention der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), Langenhagen

Fig. 1. Signing of the Memorandum of Understanding at the Turkish Ministry of Mines, Raw Materials and Energy. // Bild 1. Unterzeichnung des Memorandums of Understanding im türkischen Ministerium für Bergbau, Rohstoffe und Energie. Source / Quelle: ISSA Mining

Fig. 1. Signing of the Memorandum of Understanding at the Turkish Ministry of Mines, Raw Materials and Energy. // Bild 1. Unterzeichnung des Memorandums of Understanding im türkischen Ministerium für Bergbau, Rohstoffe und Energie. Source / Quelle: ISSA Mining

Im Rahmen der Zeremonie zur Unterzeichnung des Memorandum of Understanding (MoU), die am 16. April 2015 im türkischen Ministerium für Bergbau, Rohstoffe und Energie in Ankara stattfand, bekräftigten die Repräsentanten der neuen Dreierallianz ihren Willen, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um auf den Gebieten Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz im türkischen Bergbau Fortschritte zu erzielen und die Lehren aus den zuletzt eingetretenen schweren Bergbauunglücken zu ziehen.

Als Vertreter des türkischen Energieministeriums bekräftigte der für Bergbau verantwortliche stellvertretende Staatssekretär Dr. Nevzat Kavakli für die türkische Regierung, dass die Türkei nach den jüngsten Bergbauunglücken, insbesondere nach dem Unglück in dem untertägigen Braunkohlenbergwerk am 13. Mai 2014 in Soma Eynez in der westlichen Provinz Manisa der Türkei mit 301 toten Bergleuten, den festen Willen habe, die Sicherheitssituation im Bergbau in der Türkei zu verbessern. Ein besonderes Augenmerk liege hierbei auf den untertägigen Gruben, aber die Zusammenarbeit solle alle Bergbauzweige umfassen. Als Folge des verheerenden Unglücks in Soma habe die türkische Regierung bereits zahlreiche gesetzgeberische Maßnahmen zur Sicherheit im Bergbau und zur Entschädigung von Unfallopfern und von Hinterbliebenen ergriffen und auch personelle Maßnahmen zur Verbesserung der Überwachung und der Beratung der Bergbaubetriebe eingeleitet. Für die Zusammenarbeit mit ISSA und ISSA Mining habe man sich entschieden, weil man bereits auf eine mehrjährige erfolgreiche gemeinsame Arbeit mit dem türkischen Steinkohlenunternehmen TTK zurückblicken könne, und man dort bereits bemerkenswerte Fortschritte in vielen Gebieten erreicht habe. Insofern freue man sich seitens der türkischen Regierung, mit ISSA und ISSA Mining kompetente Partner gefunden zu haben und sei fest davon überzeugt, dass man in der partnerschaftlichen und vertrauensvollen gemeinsamen Arbeit weitere Erfolge erreichen könne.

Der Präsident der IVSS – Sektion Bergbau (ISSA Mining), Theodor Bülhoff, dankte in seiner Erwiderung Dr. Kavakli zunächst für die bisherige vertrauensvolle Zusammenarbeit und auch für den erneuten Vertrauensbeweis. Bülhoff betonte, dass man seitens ISSA Mining auch für das jetzt vereinbarte Kooperationsprojekt gute Erfolgschancen sehe. ISSA Mining habe als international tätige Non-Profit-Organisation die erforderliche Unabhängigkeit, um objektiv die besten Experten einzubeziehen und die geeigneten Lösungen für die spezifischen türkischen Anforderungen vorzuschlagen. Aus dem weltweiten ISSA Mining-Netzwerk könne man hierbei auf internationale Fachleute zurückgreifen und habe auch beste Kontakte zu renommierten Zulieferern und Bergbauunternehmen aus Deutschland und deren Know-how. Bülhoff betonte, die auf drei Jahre angelegte Vereinbarung biete die erforderliche Plattform für den angestrebten Erfolg im Sinne der türkischen Bergleute und ihrer Familien.

Im Anschluss erläuterte Helmut Ehnes, der Generalsekretär der Sektion Bergbau, dass im Rahmen der Kooperationsvereinbarung nicht nur eine Zweierallianz geschlossen wird, sondern dass man sich glücklich schätzen könne, auch auf die volle Unterstützung des ISSA-Headquarters in Genf zu bauen. So habe er die Vollmacht des ISSA-Generalsekretärs Hans-Horst Konkolewsky erhalten, das MoU stellvertretend für die International Social Security Association zu unterschreiben. Insofern stelle die Unterzeichnung des Memorandums eine Premiere dar. Erstmalig unterstütze die Gesamtorganisation der ISSA die Bemühungen einer ihrer Sektionen in dieser Form und begründe eine Dreierallianz. Hiermit werde deutlich, welch hohen Stellenwert die ISSA dem Projekt einräume, sodass man davon ausgehen könne, mit dem nötigen Rückenwind aus Genf gute Ergebnisse zu erzielen.

An die Begrüßungsansprachen schloss sich ein Vortragsblock an. Zunächst erläuterte Helmut Ehnes die Struktur der ISSA, ihrer Sektionen für Prävention am Arbeitsplatz und die Ziele, die Struktur und die Arbeitsweise der Bergbausektion. Anschließend stellte er die neue globale Präventionsstrategie für Sicherheit im Bergbau „Vision Zero“ dar, die von der Überzeugung geprägt ist, dass sich alle tödlichen und schwerwiegenden Unfälle durch geeignete präventive Maßnahmen verhindern lassen. Um dieses anspruchsvolle Ziel auf der betrieblichen Ebene zu erreichen, habe die Sektion Bergbau inzwischen ein betriebliches Präventionsprogramm entwickelt, welches sieben sogenannte „Goldene Regeln“ umfasse. Positivbeispiele belegen, dass das Ziel Vision Zero erreichbar sei, wenn man die Maßnahmen aus den sieben Goldenen Regeln konsequent anwende (1).

Im Anschluss erläuterten Vertreter des Bergbauministeriums den derzeitigen Stand der Bergbaugesetzgebung in der Türkei, die im Wesentlichen auf den einschlägigen ILO-Konventionen basiere. Im Jahr 2012 habe man das Arbeitsschutzgesetz modernisiert und verlange jetzt von allen Unternehmen proaktive Präventionsmaßnahmen auf der Basis einer risikoorientierten Analyse der Arbeitsbedingungen. Als Folge einer Reihe schwerer Bergbauunglücke seien die Anforderungen zum Einsatz von Spezialisten für Arbeitssicherheit verstärkt worden, ebenso wie die Sanktionsmöglichkeiten durch die Aufsichtsorgane. Auch nach dem Soma-Bergbauunglück seien weitere gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssicherheit, aber auch der Entschädigung Betroffener eingeleitet worden. Die neuen präventiven Anforderungen umfassen z. B. die konsequente Planung aller sicherheitsrelevanten Faktoren vor Inbetriebnahme und deren Dokumentation, den Einsatz von persönlichem Atemschutz, den Brand- und Explosionsschutz, die Bewetterung unter Tage. Auch werde daran gedacht, der für die Entschädigung vorgesehenen Versicherung die Kompetenz einzuräumen, die Bergwerke auf sicherheitswidrige Zustände zu prüfen.

Im weiteren Verlauf gab die türkische Seite einen Einblick über den derzeitigen Stand der Prüf- und Überwachungstätigkeiten des Energieministeriums und des Arbeitsministeriums. Um im Rahmen der Überwachung den Unternehmen zusätzliche Beratungskompetenz zur Verfügung zu stellen, plane man für die ca. 700 untertägigen Bergbaubetriebe zusätzlich 100 Inspektoren mit langjähriger Industrieerfahrung einzustellen.

Im Anschluss an die informativen Vorträge wurde dann die feierliche Unterzeichnung des Memorandums vollzogen. Um möglichst schnell mit der Umsetzung der Vereinbarung zu starten und zu praktischen Aktivitäten zu kommen, hatten zuvor die Vertreter der Bergbauunternehmen und der Regierungsstellen die Gelegenheit, ihre persönlichen Erwartungen und Vorstellungen zu formulieren. Im Zuge dieses „Brainstormings“ wurde bereits eine Vielzahl von Ideen benannt, um existierende Defizite anzupacken.

In vielen Beiträgen war die Rede davon, dass man das Bewusstsein der Unternehmer, Führungskräfte und Experten für ihre persönliche Verantwortung und auch das Wissen zum Arbeitsschutz verbessern müsse. Es wurde vorgeschlagen, unter dem Dach des MoU ein intelligentes Trainingskonzept zu entwickeln, mit dem es möglich sei, die erforderliche Breitenwirkung zu erzielen. Daneben wurden auch der unzureichende Ausbildungsstand von Bergleuten in der Türkei sowie die mangelnde Fortbildung angesprochen. Es müsse gelingen, eine bessere Sicherheitskultur und ein besseres Sicherheitsbewusstsein zu etablieren. Viele Minenbetreiber wären nicht wachsam genug, wenn es in ihrem Verantwortungsbereich über einen längeren Zeitraum nicht zu Unglücken gekommen sei. Die tägliche Sensibilisierung und Unterweisung müsse intensiviert werden. Viele Defizite könnten nach Ansicht eines Vertreters des neu gegründeten Bergbauverbandes vermieden werden, wenn man bereits bei der Planung der Bergwerke alle Sicherheitsszenarien sorgfältig berücksichtige. Auch bestünden Defizite bei der Analyse und Auswertung von Unfallereignissen und der Aussagekraft von Unfallstatistiken. Angeregt wurde auch, verstärkt wirksame Arbeitsschutz- und Notfallmanagement-Systeme einzuführen. Kritisiert wurden gesetzliche Vorgaben, die in der Praxis nicht umsetzbar seien. Auf die besondere Problematik von kleinen und mittleren Unternehmen wurde hingewiesen. Der Generaldirektor der TTK, Burhan Inan, machte darauf aufmerksam, dass man im laufenden Kooperationsprojekt mit ISSA Mining auch die Erfahrung gemacht habe, dass besserer Arbeitsschutz und bessere wirtschaftliche Ergebnisse einander bedingen und nicht im Widerspruch zueinander stünden.

Neben diesen grundsätzlichen Themen nannten die Repräsentanten natürlich auch eine Vielzahl von technischen Handlungsfeldern, die man gemeinsam anpacken solle. Besonders hervorgehoben wurden immer wieder Themen wie z. B. Selbstentzündung, Grubengasbekämpfung, Ausbautechniken, Vermeidung von Wassereinbrüchen, Planung von Bergwerken, Explosionsschutz, Organisation von Rettungsmaßnahmen und der Ersten Hilfe, Einsatz geeigneter PSA, Staubbekämpfung, Sensoren und Frühwarnsysteme, Bewetterung und Klimatisierung und die Problematik bei Bergwerken mit großer Teufe.

Im Anschluss an die Diskussion gaben die Vertreter von ISSA Mining eine erste Bewertung zu der Vielzahl von genannten Themen ab. Offenbar habe man in der Auflistung der Themenbereiche im MoU die Erwartungen weitestgehend getroffen, denn viele der Wunschthemen seien dort enthalten. Bereits jetzt kristallisieren sich einige Schwerpunktaktivitäten heraus, die der Generalsekretär Helmut Ehnes kurz skizzierte:

  • Maßnahmen zur Etablierung der Vision Zero Strategie und der sieben Goldenen Regeln im türkischen Bergbau;
  • Bildungs- und Motivationsmaßnahmen für die Zielgruppen
    • Unternehmer, Management und Führungskräfte,
    • betriebliche Experten zu sicherheitsrelevanten Bergbauthemen,
    • Aus- und Weiterbildung von Bergleuten sowie betriebliche Unterweisung und Motivation,
    • Inspektoren und externe Berater;
  • Gefährdungsbeurteilung und Planung sowie praxisnahe Arbeitsschutz- und Notfallmanagementsysteme;
  • Bearbeitung sicherheitsrelevanter Schwerpunktthemen.

In der folgenden Diskussion brachte Matthias Stenzel, Seniorexperte von ISSA Mining, ins Gespräch, mittelfristig über den Aufbau eines Bergbau-Trainingszentrums nachzudenken. Sein Vorschlag fand die Zustimmung der türkischen Fachleute. Ehnes betonte abschließend, dass entscheidend sei, wie man die Bergbaubetriebe in der Breite erreichen könne. Insofern seien nicht Einzelaktivitäten gefragt, sondern man müsse sich von Anfang an überlegen, wie man vorgehen wolle, um dieses Ziel zu erreichen. Auch solle man die Sozialpartner voll umfänglich einbeziehen, um den sozialen Dialog auf Betriebsebene im Sinne der angestrebten Breitenwirkung zu nutzen.

Der nächste Schritt ist nunmehr die Besetzung des Steering Committees, welches die Maßnahmen steuern und begleiten soll. Im Rahmen der ersten Sitzung dieses Projektgremiums könne man auch daran denken, eine Anhörung von weiteren Vertretern des Bergbaus durchzuführen, um noch mehr Input der betroffenen Industrie zu bekommen.

References / Quellenverzeichnis

References / Quellenverzeichnis

(1) Ehnes, H.: Safety 7.0 – 7 Golden Rules to Vision Zero. Mining Report Glückauf (2015) Heft 1, S. 19 – 27

Autor: Dipl.-Ing. Helmut Ehnes,
Generalsekräter der International Section on Prevention in the Mining Industry (ISSA Mining), Bochum, und
Leiter Prävention der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), Langenhagen

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