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Werkzeuge für den Wandel – wie die EU die „Coal Transition“ bewerkstelligen will

Mit der Initiative „Coal Regions in Transition“ wird seit Ende 2017 von der Europäischen Kommission angestrebt, EU-weit einen Kohleausstieg auf den Weg zu bringen. Dazu sollen die Kohleregionen der EU in ihrem Wandel – der „Transition“ – weg von der Kohle strukturpolitisch flankiert werden. Die Initiative ist zugleich als Vorreiterprojekt auf dem Weg zur Klimaneutralität der EU gedacht und soll belegen, dass dabei in und von der Gemeinschaft keine Regionen zurückgelassen werden, eben auch nicht die CO2-intensivsten unter ihnen. Neben speziellen Finanzierungshilfen aus EU-Fonds wie dem Just Transition Fund soll den europäischen Kohleregionen umfängliche konzeptionelle Hilfe gegeben werden. Dafür hat das Sekretariat der Coal Regions in Transition-Initiative inzwischen diverse „Toolkits“, insgesamt einen ganzen Kasten strukturpolitischer Werkzeuge bereitgestellt. Diese als Werkzeuge für den Wandel gedachten und konzipierten Toolkits werden hier im Folgenden aus einer primär volkswirtschaftlichen Sicht dargestellt und kritisch gewürdigt. Die bisher vorliegenden Toolkits zielen auf ein beachtlich breites Themen- und Aufgabenspektrum der Transition und sind im Einzelnen wie folgt betitelt: Transition Strategies, Governance of Transition, Environmental Rehabilitation and Repurposing, Sustainable Employment and Welfare Support, Technology Options.

Author/Autor: Prof. Dr. Kai van de Loo, Forschungszentrum Nachbergbau (FZN), T­echnische Hochschule Georg Agricola (THGA), Bochum

Lage der EU-Kohleindustrie und EU-Initiative „Coal Regions in Transition“

Der in Deutschland 2020 mit klimapolitischer Begründung endgültig beschlossene Kohleausstieg war und ist kein rein nationales Projekt, sondern fügt sich in einen europäischen Rahmen ein. Bereits im Dezember 2017 hatte die vormalige EU-Kommission als Teil der Umsetzung ihres „Clean Energy for all Citizens“-Maßnahmenpakets in Straßburg die Initiative „Coal Regions in Transition“ gestartet, mit der EU-weit ein Strukturwandel weg von der Kohlegewinnung und -nutzung gefördert werden soll (1). Die EU kann aber einen Kohleausstieg in den Mitgliedstaaten nicht einfach verfügen, sondern wegen der gemäß Art. 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nach wie vor nationalen Kompetenzen über den jeweiligen Energiemix nur strukturpolitisch unterstützen und indirekt vor allem durch europäische umwelt- und klimapolitische Rahmenbedingungen beschleunigen. Nichtsdestoweniger wird ein Kohleausstieg auch von der EU-Kommission ganz offiziell als „fortschreitende europäische Realität“ im Zuge der eingeleiteten EU-Dekarbonisierungsstrategie eingestuft (2). Mit der Initiative soll explizit dafür gesorgt werden, dass die regionalen und sozialen Konsequenzen dieser Entwicklung abgefedert werden und keine Kohleregion der EU zurückbleibt. Nachdem die (neue) EU-Kommission Ende 2019 mit Zustimmung des Rates und aller europäischen Organe den „Green Deal for Europe“ mit dem Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 ausgerufen hat, gilt der Kohleausstieg zudem als Einstiegs- und Vorreiterprojekt auf diesem höchst ambitionierten Weg. Dieses Projekt soll durch einen im aktuellen EU-Budget 2021 bis 2027 mit 17,5 Mrd. € dotierten „Just Transition Fund“ flankiert werden, dessen Mittel durch weitere EU-Programme (EU Invest, Regional- und Sozialfonds), EIB-Darlehen, nationale Maßnahmen und private Investitionen auf ein Vielfaches angehoben werden können sollen. Energie- wie regionalwirtschaftlich ergeben sich aus dieser „Coal Transition“ in der EU indes beträchtliche Herausforderungen, für die besondere Maßnahmen vorgesehen werden (Bild 1).

Fig. 1. // Bild 1. Coal Regions in Transition Initiative. Source/Quelle: EU

Das Joint Research Centre (JRC) der EU-Kommission hat in einer im Frühjahr 2021 vorgelegten neuen Abschätzung (Bild 2) noch bis zu 340.000 Arbeitsplätze in der EU direkt und indirekt dem Kohlesektor zugeordnet (3). Kohlegewinnung und/oder -verstromung wurde in 19 Mitgliedstaaten und dort in insgesamt 94 (NUTS 2-) Regionen identifiziert.

Fig. 2. Cover Page JRC Study Recent Trends in EU Coal, Peat and Oil Shale Regions. // Bild 2. Titelseite JRC-Studie Recent Trends in EU Coal, Peat and Oil Shale Regions. Source/Quelle: EU-Kommission

Die Stromerzeugung aus Kohle steht noch für etwa ein Fünftel der Stromerzeugung der gesamten EU, auch wenn sie in den letzten Jahren drastisch gesunken ist, allein von 2012 bis 2020 um mehr als ein Drittel. Bis 2018 gab es EU-weit noch 90 aktive Kohlebergwerke in elf Mitgliedstaaten mit knapp 210.000 Arbeitsplätzen direkt und indirekt, von denen allerdings etliche wie die letzten beiden deutschen Steinkohlenbergwerke inzwischen stillgelegt worden sind. Im Jahr 2020 waren in 18 EU-Mitgliedstaaten noch 166 Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von rd. 112 GW in Betrieb. Außerdem wurde in 25 Regionen der EU Kohle als spezifischer Rohstoff in CO2-intensiven Industriezweigen, insbesondere in der Stahlindustrie, aber auch in Branchen wie Chemie, Zement und Papier, eingesetzt. Darüber hinaus ist die Coal Regions in Transition Initiative 2019 auf die Bereiche Ölschieferindustrie (ausschließlich in Estland) sowie Torfgewinnung und -verstromung (in den baltischen Ländern, Schweden, Finnland und Irland) mit insgesamt rd. 19.000 direkt und indirekt Beschäftigten ausgeweitet worden, die auf Dauer klimapolitisch ebenfalls als nicht mehr haltbar angesehen werden. Je nach Szenario werden gemäß JRC bereits bis 2030 zwischen 54.000 und 112.000 dieser Arbeitsplätze in der EU dauerhaft verloren gehen, bis 2050 dann im Zuge der geplanten vollständigen Dekarbonisierung alle übrigen.

Schon bis Ende 2021 werden nicht weniger als acht (westeuropäische) Mitgliedstaaten kohlefrei sein. Zwölf Mitgliedstaaten haben sich zu einem Kohleausstieg – ebenso Ausstieg aus Ölschiefer und Torf – verpflichtet, darunter klassische Kohleländer wie Griechenland bis 2028, Spanien bis 2030 und Deutschland bis spätestens 2038. Drei weitere Mitgliedstaaten beraten aktuell Ausstiegspläne, so auch Tschechien (Zieljahr voraussichtlich 2038, aber noch nicht definitiv) und sogar Polen (derzeit mit dem Enddatum 2049). Lediglich drei Länder der EU – Rumänien, Bulgarien und Kroatien – haben noch keinen Ausstiegsplan oder -beschluss, doch auch ihre Kohleindustrie steht aufgrund der klimapolitischen Vorgaben, vor allem wegen der stark gestiegenen CO2-Preise im Europäischen Emissionshandelssystem, unter immensem Druck. Die Coal Regions in Transition Initiative ist vor diesem Hintergrund als offenes Forum aufgestellt worden, das alle Kohleregionen der EU einlädt, sich für diese Herausforderungen Hilfestellungen zu holen. Sie bietet zum einen eine von der Kommission organisierte Informations- und Dialog-Plattform für alle relevanten Stakeholder, so für die betroffenen lokalen, regionalen und nationalen Regierungen und ihre einschlägigen Institutionen, des Weiteren für betroffene bzw. beteiligte Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften, ferner für alle auf diesem Gebiet interessierten Nichtregierungsorganisationen – primär Umweltorganisationen – und auch für die Wissenschaft. Bis zum ersten Halbjahr 2021 gab es ein Dutzend entsprechender Plattform-Veranstaltungen – Corona-bedingt zuletzt nur im online-Format – dazu diverse Side-events. Zum anderen soll die Initiative jederzeit über einschlägige finanzielle Hilfen der EU informieren sowie praktische Unterstützung leisten. Zu Letzterer zählt neben der aktiven Vernetzung der Stakeholder und Unterstützung ihrer grenzüberschreitenden Kooperation die gezielte technische Assistenz bei der Ausarbeitung konkreter regionaler Transitionsstrategien – teils durch die Vor-Ort-Beratung sogenannter Start-Regionen durch EU-Experten, teils durch die Bereitstellung unterstützender Ressourcen in Form von Materialien wie Guidelines für Fördermaßnahmen, Factsheets, ausgewählte Fachpublikationen und diverse internationale Fallstudien, so etwa auch über die InnovationCity Ruhr, andere europäische Kohleregionen oder den strukturellen Wandel der Kohleregionen in den US-Appalachen, insbesondere aber die offiziell als „Toolkits“ („Werkzeugkästen“) bezeichneten Anleitungen für die Strategieentwicklung. Diese sind neben allen organisatorischen Aufgaben vom Sekretariat der Initiative erstellt worden, das seit 2019 von der Kommission zusammen mit den Consulting-Organisationen Ecorys, Climate Strategies, ICLEI Europe und dem deutschen Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie betrieben wird (Bild 3).

Fig. 3. // Bild 3. Coal phase-out commitments in EU. Source/Quelle: EU-Kommission

Die nachfolgenden Ausführungen über die Werkzeuge der Coal Transition, die z. T. als Input, z. T. als Output der erfolgten Dialoge entstanden sind, beziehen sich im Wesentlichen auf die fünf bis Mitte 2021 publizierten Toolkits. Sie sollen konzeptionell aufzeigen, mit welchen Strategien der Ausstieg aus der Kohle von der EU bzw. ihren Kohleregionen wirtschafts-, sozial- und umweltverträglich bewerkstelligt werden könnte. Die Hauptaussagen dieser Toolkits und der von ihnen im Einzelnen präsentierten Werkzeuge für den Wandel werden stark gebündelt dargestellt und aus einer primär ökonomischen, der Nachbergbauforschung verpflichteten Sicht analysiert und reflektiert. (4) Da die Toolkits allesamt in englischer Sprache veröffentlicht und bezeichnet worden sind, werden ihre englischen Titel und einige der schwer exakt übersetzbaren englischen Fachbegriffe beibehalten.

Toolkit „Transition strategies“

Dieser Werkzeugkasten soll vor allem Regionalpolitikern und engagierten Stakeholdern bei der Entwicklung und dem Design effektiver Transitionsstrategien für die EU-Kohleregionen sowie der Identifizierung unterstützender Aktionen und Projekte helfen. Dazu werden einige grundlegende Ideen und Konzepte präsentiert. Zudem gibt es Hinweise für das Monitoring und die Evaluierung der Strategien sowie zu ihrer kontinuierlichen Anpassung.

Vorangestellt wird, dass es kein strategisches Patentrezept, keine „One-size-fits-all“-Strategie geben kann. Denn die Kohleregionen in der EU unterschieden sich in ihrer Wirtschaftsstruktur und Kultur, ihren Regierungssystemen und politischen Rahmenbedingungen ebenso wie in ihren finanziellen, infrastrukturellen, geologischen oder Know-how-bezogenen Kapazitäten. Vielmehr müssten die jeweiligen regionalen und lokalen Besonderheiten angemessen berücksichtigt werden und stets alle Akteure Lernprozesse durchlaufen („learning journey“). Gleichwohl gebe es ein allgemeines logisches Kreislaufraster der Strategieentwicklung: Problemanalyse – Zielbestimmung – Auswahl der Maßnahmen – Bewertung und Politikanpassung, veranschaulicht durch den sogenannten policy cycle.

Mit der Problemanalyse und -definition werde bereits der Rahmen vorschattiert („framing“) für die anzustrebende Handlungsorientierung („agenda setting“). So führe etwa die Frage, wie die Zukunft der heutigen Bergleute und Kohlekraftwerke aussehen soll, teilweise in andere Richtungen als die Frage nach der wirtschaftlichen Zukunft der betreffenden Bergbauregion insgesamt. Wichtig seien darum die sorgfältige Beratung der Probleme und Lösungsmöglichkeiten mit einem breiten Spektrum an maßgeblichen Stakeholdern sowie Beteiligungsprozesse, die sowohl für eine hohe Qualität der informatorischen Basis der Strategien stehen und ein möglichst ganzheitliches Bild liefern als auch Grundlagen für Verpflichtungen der Akteure bei der späteren Umsetzung schaffen. Die strategische Planung müsse darum zügig Schlüsselinformationen sammeln und parallel dazu Kapazitäten in der Region aufbauen (Fähigkeiten, Institutionen, Kooperationen), um relevante Daten auch verarbeiten und das nötige Wissen für künftige Anpassungen bereit stellen zu können. Das betreffe z. B. bergbauliche und geografische Charakteristika der Region, soziale und demografische Faktoren, die ökonomischen und technischen Besonderheiten und ebenso die institutionellen Gegebenheiten.

Die Zielbestimmung sollte eine starke Langfristvision für die jeweilige Kohleregion mit einem für Strukturwandlungsprozesse adäquaten Zeithorizont von ca. 30 Jahren sowie konkretere und detailliertere Entwicklungsziele mit kürzeren Zeithorizonten von z. B. fünf bis zehn Jahren umfassen. Hinzukommen müssten politische Führerschaft für die vorgesehenen Ziele und klare Mandate für die institutionellen Verantwortlichkeiten. Erforderlich sei überdies der Einklang der regionalen Ziele mit übergeordneten internationalen und europäischen Zielsetzungen. Herausgestellt werden hier die Nachhaltigkeitsziele der UN, das Weltklimaabkommen von Paris und der EU Green Deal (Bild 4), aber auch die Industriestrategie, die Kohäsionspolitik und das Clean Energy-Paket der EU.

Fig. 4. // Bild 4. European Green Deal. Source/Quelle: EU-Kommission

Auf der Maßnahmenebene gelte es zunächst, die wesentlichen strategischen Handlungsoptionen zu identifizieren. Neben den konkreten Ideen der Praktiker müssten dabei auch unkonventionelle Ideen („Out-of-the-box-thinking“) generiert und abgewogen werden können. Für Letzteres gebe es eine Reihe formalisierter Verfahren, bei denen Experten von Beratungs- oder Forschungseinrichtungen Hilfestellungen geben könnten, wozu auch gleich auf Handbücher diverser Expertenkreise verwiesen wird. Angesprochen werden quantitative und qualitative Szenariotechniken und verwandte methodologische Ansätze wie das sogenannte Backcasting oder die Theory of Change“. Bei der Bestimmung der in Betracht gezogenen Maßnahmen gebe es einige typische Herausforderungen und Risiken , die beachtet, bewusst gemacht und ggf. ausdiskutiert werden müssten: Konflikte zwischen verschiedenen Zielsetzungen sowie zwischen kurzfristiger Betroffenheit und langfristiger Vision, feste Interessen, Mangel an Innovationen oder Synergien, beschränkte institutionelle Kapazitäten. Bei der Auswahl der Maßnahmen wären neben öffentlicher Transparenz und breit gefächerter Stakeholder-Partizipation Multikriteria-Analysen besonders hilfreich, weil so Sensitivitäten, Zielkonflikte und Machtdifferenzen sichtbar gemacht und leichter ausgeglichen werden können. Eine Schlüsselrolle für die Maßnahmen der Regionalentwicklung nicht nur, aber eben auch in den Kohleregionen spielten schließlich maßgeschneiderte Finanzierungsstrategien, die Zugang zu angemessenen Finanzierungsoptionen bieten. Hierzu wird unter europäischem Blickwinkel auf die verschiedenen EU-Fonds und den neuen Just Transition Mechanism verwiesen.

Zur Optimierung der Transitionsstrategien sind schließlich politische Lern- und Anpassungsprozesse unabweisbar. Das erfordere von vornherein eine Planung in Zyklen, die Revisionen ermöglichen, ferner öffentliche Debatten über die Stärken und Schwächen der eingeschlagenen Wege sowie die Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger, ein Monitoring und eine Evaluation der Strategie durchzuführen und deren Resultate zuzulassen. Bewertet werden müssten die Inputs wie Outputs der Strategiefindung, die bei der Umsetzung tatsächlich erreichten Ergebnisse und deren jeweiligen Auswirkungen und Zielbeiträge. Dazu sei es nötig, ein Monitoring- und Evaluationssystem mit korrespondierendem Berichtswesen von Beginn an in den Politikzyklus einzubauen. Es sollte geeignete quantitative – direkt messbare – wie auch qualitative Indikatoren beinhalten, welche die verschiedenen ökonomischen, sozialen und ökologischen Strategieziele reflektieren, und es sollte so ausgerichtet sein, dass es in künftige Entscheidungsprozesse einfließen kann.

Selbstverständlich kann ein solches EU-weit orientiertes Toolkit nur sehr allgemein gehaltene Empfehlungen für die Formulierung von Transitionsstrategien für die sehr unterschiedlichen europäischen Kohleregionen aufzeigen. Bemerkenswert ist allerdings u. a., dass einerseits die regionale Ebene adressiert wird und andererseits als Leitziele solche der internationalen und europäischen Ebene in den Fokus gerückt werden. Aber nicht angesprochen werden in diesem Kontext typische Problemlagen der Kohleregionen und maßgebliche nationale Zielsysteme (5), was eine gewisse Abgehobenheit der zugrunde gelegten EU-Perspektive offenbart. Anzuerkennen ist das Bemühen, für die Coal Transition die bewährten Register einer rationalen Planung zu ziehen und diese den Kohleregionen und einer (interessierten) breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gleichwohl stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit ein dergestalt gelenkter Strukturwandel – hier der für Kohleregionen – in prinzipiell marktwirtschaftlichen Systemen wie innerhalb der EU überhaupt möglich ist und ordnungspolitisch konform erscheint. (6) Aus ökonomischer Perspektive ist klar, dass regionaler wie sektoraler Strukturwandel generell ein evolutorischer Prozess ist, der sich durch wie auch immer bestimmte staatliche Planungsbeteiligte und -verfahren, sei es auf regionaler, nationaler oder gar europäischer Ebene, politisch nur sehr bedingt steuern lässt. Denn diese können die vielfältigen, komplex verflochtenen, teils im Wettbewerb zueinander stehenden und immer wieder auch innovativen dezentralen Entscheidungen der privaten Produzenten und Konsumenten innerhalb und in einer globalisierten Wirtschaft erst recht außerhalb der (Kohle-) Regionen allenfalls beeinflussen, jedoch nicht umfassend kontrollieren oder gar determinieren. (7)

Toolkit „Governance of Transition“

Das Toolkit „Governance of Transition” steht naturgemäß in einem sehr engen Zusammenhang mit den zuvor behandelten Transitionsstrategien, denn es geht gerade darum, geeignete Governance-Modelle zur Unterstützung der Transitionsprozesse zu entwerfen. Unter „Governance“ werden dabei, so die vorgestellte Definition, generell die etablierten Wege verstanden, mit denen verschiedene wirkmächtige Akteure und Institutionen mit formellen und informellen Mitteln zusammenwirken, um kollektive, sprich: politisch gesetzte, Ziele zu erreichen. Hier speziell gehe es laut Toolkit um effektive strategische Arrangements für eine coal transition im Kontext regionaler Governance. Gewissermaßen bilde die Governance stets das Herzstück des oben skizzierten policy cycle und sei auf jeder Stufe involviert. Zudem hänge es vom bestehenden Governance-Modell ab, wie Macht und Einfluss bei den Entscheidungen strukturell verteilt werden.

Als Zielgruppen des Toolkits herausgestellt werden die zuständigen nationalen, regionalen und lokalen Regierungsebenen, die mit der Regionalentwicklung beauftragten Regierungsagenturen sowie die auf diesem Gebiet engagierten Organisationen der Zivilgesellschaft, deren Beteiligung und Einbindung von Beginn an eine wichtige Rolle für einen erfolgreichen Wandel zuerkannt wird. Entsprechend hoch sei der Stellenwert des „sozialen Dialogs“ und „inklusiver Prozesse“ für die Gestaltung der Transitionsstrategien, die stets eine Vielzahl von Entscheidungsebenen („multi-level“) und Handlungsbeteiligten („multi-actor“) berücksichtigen müsse. Nur solche Governance-Modelle seien regionalpolitisch letztlich effektiv, die Standpunkte verschiedener relevanter Akteure bzw. deren Repräsentanten erfassen und als legitim anerkennen. Die Beteiligung dieser Stakeholder müsse als anhaltender Prozess begriffen werden, der frühzeitig starten sollte sowie Führung und Organisation verlange. Zu verknüpfen sei das mit einer aktiven Kommunikationsstrategie, durch die zugleich auch die allgemeine Öffentlichkeit informiert werde, wie der Prozess ablaufe, wie sinnvolle Beteiligung möglich ist und was jeweils als nächstes geschehen werde.

Für den Aufbau geeigneter Governance-Modelle wird ein schrittweiser Ansatz („Step-by-step guide“) empfohlen. Zunächst gelte es, die existierenden Governance-Strukturen mit ihren Schlüsselakteuren und deren Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die politischen Machtbalancen zu identifizieren und zu analysieren. Dann seien diesbezüglich Transparenz herzustellen, Legitimationsfragen zu klären und eine breite Repräsentanz der Stakeholder sicherzustellen. Daraufhin müssten die jeweiligen Zuständigkeiten für wesentliche Entscheidungen klar zugeordnet und Partnerschaften für die weitere Umsetzung gebildet werden. Dabei wären die spezifischen Einflussnahmemöglichkeiten („levers of influence“) und zeitlich günstige Gelegenheiten („windows of opportunity“) zu berücksichtigen. Jedes Governance-Modell werde sich schließlich im Zeitablauf durch kritische Reflexion und Anpassungen weiterentwickeln und neu zu erwägen haben, wann welche Akteure einbezogen werden. Es werden einige konkrete institutionalisierte Beispiele aus europäischen Kohleregionen angeführt, darunter u. a. bezogen auf die deutsche Braunkohle die Zukunftsagentur Rheinisches Revier, wie in der Praxis unterschiedliche Ebenen und Akteure zusammenarbeiten können, über unterschiedliche staatlich-administrative Ebenen hinweg, ausgehandelt zwischen lokalen Regierungen und Zivilgesellschaft oder gemeinschaftlich organisiert von Kommunen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften.

Was Partizipation von und Partnerschaft mit nicht-staatlichen Stakeholdern betrifft, bestehe die schwierige politische Aufgabe darin, die richtige Balance zwischen bloßer Information, beratender Rolle/Konsultation und aktiver Kooperation bei Entscheidungen zu finden. Das Toolkit plädiert für eine in jedem Fall intensive Stakeholder-Beteiligung. Vorteile lägen im Aufbau von Vertrauen und Legitimation, Erhöhung von Aufmerksamkeit und Akzeptanz, Steigerung von Wirksamkeit und Geschwindigkeit des Prozessfortschritts, langfristigen Ressourcenersparnissen, Erweiterung der Wissensbasis der Entscheidungsträger und Anregung nötiger Innovationen. Eingeräumt werden bestimmte typische Hindernisse und Probleme des Stakeholder-Engagements. So seien diese Prozesse oft zeitraubend und erforderten beträchtliche Mittel. Bei manchen Gruppen sei es schwierig, bedeutsame Beiträge zu erlangen. Nicht selten gebe es einen Mangel an Einigkeit darüber, welche Informationen für die Entscheidungen benötigt werden und was alles in welcher Form zu „berücksichtigen“ ist. Doch eine Nichtbeteiligung relevanter Stakeholder berge erhebliche Risiken: Vertrauensmangel und Unsicherheiten über die Beachtung der Ergebnisse, Spaltung in divergierende Fraktionen und Partikulargruppen, Aufrechterhaltung von „Silo-Denken“, ineffiziente Mittelverwendungen, ethische Konflikte und Compliance-Probleme. Zur Lösung der vorgenannten Probleme werden deshalb folgende Governance-Ansätze in den Fokus gerückt: Langfristige Beteiligungsverpflichtung der Stakeholder auch über die Entscheidungsphase hinaus in Verbindung mit klaren Erwartungen; aktive Schaffung öffentlichen Bewusstseins für die Notwendigkeit der Entscheidungen, womit bestimmte Stakeholder verstärkt an Bord geholt oder gehalten werden können; die gezielte Unterstützung oder Erleichterung der Beteiligung solcher Stimmen, die üblicherweise nicht an Entscheidungsverfahren beteiligt sind oder ungleiche Chancen dafür haben, sowie gemeinsame Evidenz- und Faktenfindungsprozesse als Grundlage für objektivere und konstruktivere Debatten mit den Stakeholdern. Als gute Beispiele einer Stakeholder-Beteiligung aus jüngerer Zeit führt das Toolkit nachdrücklich den mit starker Bürgerpartizipation durchgeführten Konsultationsprozess für den Aktionsplan Kohletransformation der slowakischen Region Obere Nitra sowie die zwischen den betreffenden National- und Regionalregierungen, Bergbauunternehmen und Gewerkschaften ausgehandelten Pläne für den sozialverträglichen Ausstieg aus dem Kohlebergbau in Spanien und aus der deutschen Steinkohle in den Revieren in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland an (Bild 5).

Fig. 5. // Bild 5. Connecting Stakeholders. Source/Quelle: EU-Kommission

Feststellen lässt sich auch bei diesem Toolkit neben einer Reihe von Elementen allgemeiner Einsichten und Erfahrungen zu Governance-Prozessen, die allerdings nicht nur regionale (Kohle-) Transitionsstrategien betreffen, eine relativ idealtypische bis naive Betrachtungsweise. Politische Entscheidungsvorgänge in der Praxis können eher selten so systematisch, abgewogen, unabhängig von starken Einzelinteressen und signifikant von Expertenwissen geprägt, also sozusagen aus einem gesellschaftlich vorher luftleeren Raum heraus, vollzogen werden, wie hier unterstellt. Erfahrungen mit politischen Auseinandersetzungen und Konflikten, die gerade beim Thema Governance eine große Rolle spielen, sind leider kaum angesprochen und nicht näher analysiert worden. Dementsprechend fehlt es hierzu auch an Handwerkszeug. Als weiteres Manko kommt hinzu: Während an sich der Stakeholder-Beteiligung ein großes Gewicht zugesprochen wird, findet sich kein expliziter Hinweis darauf, wie die Kohleunternehmen und ihre Beschäftigten selbst als sachlich sozusagen primäre Stakeholder der Coal Transition bestmöglich zu beteiligen sind. Ebenso wenig erörtert wird, wie das prinzipielle Pro-blem der demokratischen Legitimation von Vertretern der diffus als Zivilgesellschaft bezeichneten Gruppen und Organisationen, wie z. B. die beim Thema Coal Transition de facto besonders zahlreich vertretenen Umweltaktivisten, im Vergleich zu den gewählten Volksvertretern und den von ihnen mandatierten Amtsinhabern zu lösen ist.

Toolkit „Environmental rehabilitation and repurposing”

Fig. 6. The 55-m-high double shafthead frame is the landmark of the Zollverein UNESCO World Heritage Site, the city of Essen and the entire Ruhr Valley. // Bild 6. Das 55 m hohe Doppelbock-Fördergerüst ist das Wahrzeichen des UNESCO-Welterbe Zollverein, der Stadt Essen und des gesamten Ruhrgebiets. Photo/Foto: Jochen Tack/Stiftung Zollverein

Dieses Toolkit – bemerkenswerterweise stark bebildert u. a. mit zahlreichen Fotos des deutschen (Steinkohle-)Welterbes Zollverein (Bild 6) – erhebt den expliziten Anspruch, Schlüsselideen und -konzepte zur ökologischen Sanierung („rehabilitation“) und ökonomischen Neunutzung („repurposing“) bergbaulicher Infra-struktur zu präsentieren, um damit befasste Regierungen und Institutionen bei diesen beiden Aufgaben zu unterstützen. Dazu werden Wissen und Werkzeuge vorgestellt , darunter speziell die Sicherung der Finanzierung.

Zunächst werden einige Schlüsselbegriffe („key terms“) definiert wie Bergwerksstilllegung („mine closure“), Abschlussbetriebsplan („mine completion“), Flächensanierung („mine rehabilitation“), langfristig bis dauerhafte, unter Umständen ewige Verpflichtungen nach dem Ende des Bergbaus („perpetual obligations“) und Formen der Neunutzung – letztere werden hier ausdrücklich als gesellschaftlich nützliche Reaktivierung („beneficial reuse“) stillgelegter Bergwerks- und anderer Industrieanlagen sowie der zugehörigen Landflächen definiert, was „beneficial“ genau bedeutet, bleibt zunächst offen. Den weiteren Ausführungen vorangestellt wird sodann eine Reihe von Schlüsselbotschaften („key messages“): Die Sanierung und Neunutzung ehemaliger Bergbauaktiva müsse von Politik und Öffentlichkeit als eine bedeutende Herausforderung für die Kohleregionen im Wandel angesehen werden. Ihr Sinn liege zuerst darin, Bürger und Umwelt vor ökologischen Schäden zu schützen bzw. diese so weit nötig zu reparieren und zugleich an den betreffenden Standorten neue wirtschaftliche Aktivitäten anzuziehen und neue bzw. alternative Jobs zu schaffen. Die damit zusammenhängenden finanziellen Risiken machten in jedem Fall staatliche Interventionen unvermeidlich. Zugleich böten Stilllegungen von Bergwerken die Gelegenheit, die Neuentwicklung und -nutzung von deren Standorten besser mit den öffentlichen langfristigen Plänen und Interessen der Regionalentwicklung abzustimmen. Die Anwendung bestimmter Werkzeuge und guter Praktiken helfe, nötiges Wissen und Kapazitäten aufzubauen. Voraussetzung für erfolgreiche Transitionen seien intensive Koordination für eine beschleunigte Umsetzung und Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung. Stets zu beachten wären zudem die jeweiligen regulatorischen Anforderungen. In Europa sind bergbauliche Stilllegungsprozesse hochgradig staatlich reguliert, teils auf allgemeiner gesetzlicher Basis, teils durch regional- oder standort-spezifische Zulassungsverfahren, wobei sich die Details von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, mitunter von Bergwerk zu Bergwerk unterscheiden. Die zuständigen Behörden müssten dafür Sorge tragen, dass Sanierungsauflagen ordnungsgemäß eingehalten werden und die Kommunen und mit ihnen die Steuerzahler nicht mit ungebührlichen Kosten für Umweltmaßnahmen belastetet werden.

Aufmerksam gemacht wird auf die Bedeutung und mögliche Hilfestellung von Datenbanken über post-industrielle und brachliegende Flächen, ein standardisiertes und EDV-gestütztes „Management tool“ für die Stilllegung von Bergwerken wie CLOSUREMATIC, das federführend vom Geologischen Dienst Finnlands entwickelt worden ist, sowie auf erfahrungsbasierte Leitfäden für eine integrierte Stilllegungsplanung wie den 2019 vorgestellten „good practice guide“ des International Council on Mining and Metals (ICMM).

Im Weiteren listet das Toolkit typische Stilllegungskosten auf – von den Kosten der Planung der Stilllegungen über u. a. Abriss der Anlagen, Schachtverfüllung, Sicherungsmaßnahmen und Grubenwassermanagement bis zur Sanierung der Flächen und langfristigen Nachsorge – und erläutert die Notwendigkeit, deren Finanzierung vorausschauend zu sichern. Nur so könnten die vollen Kosten der Umweltsanierung getragen und die nötigen finanziellen Mittel dafür bereitgestellt werden. Die finanziellen Risiken für alle Beteiligten – Unternehmen wie Regionen – würden verringert. Festgelegt werden müsste, wann staatliche Intervention erforderlich und keine andere Finanzierungslösung möglich wäre, z. B. bei abruptem Konkurs der Bergwerksgesellschaft. Daraufhin werden drei praxiserprobte Ansätze zur Lösung des Finanzierungsproblems herausgestellt: Das Pooling verschiedener öffentlicher Fonds und eventuell verpflichtende Zuführung privater Mittel der Bergwerksbetreiber für die Sanierung von Bergbauhinterlassenschaften – als Beispiel wird der Australian Mining Rehabilitation Fund angeführt – die Einrichtung einer staatlich unterstützten oder direkt staatlich getragenen Abwicklungsgesellschaft („run-off company“) für die Sanierungsaufgaben und das spezifische deutsche Modell für die Finanzierung der Ewigkeitsaufgaben nach Beendigung des heimischen Steinkohlenbergbaus, die Etablierung einer privatrechtlichen Stiftung, der RAG-Stiftung. Diese hat ihr Stiftungsvermögen aus der Kapitalisierung des früheren „weißen“, nicht-bergbaulichen Bereichs des RAG-Konzerns gebildet. Merkwürdigerweise nur am Rande erwähnt wird die zumindest in Deutschland für die temporären, nicht nur umweltbezogenen Altlasten gängige Lösung der Bildung von Rückstellungen im laufenden Betrieb des Bergbaus, die zudem mit zusätzlichen Sicherheiten hinterlegt wird.

Das Transition Management habe sich, so wird im Toolkit erläutert, zu Beginn grundlegende Frage zu stellen: Was ist die wesentliche Herausforderung im Hinblick auf Sanierung und Neunutzung, wie sieht die optimale Transitionsstrategie unter den gegebenen regionalen und zeitlichen Bedingungen aus und wie kann den wirtschaftlichen und sozialen Schocks von Bergwerksstilllegungen strategisch begegnet werden? Welche Bedingungen oder gar Lösungskonzepte könnten die wirtschaftliche Attraktivität der Region wieder erhöhen und Entwicklungen hin zu einer sinnvollen Neunutzung der Bergbauareale und ihrer schleunigen Transformation ermöglichen und dabei negative Effekte wie Jobverluste reduzieren? Welche alternativen Energiequellen könnten den verlorengehenden Beitrag der Kohle zu ähnlichen Kosten und Angebotsbedingungen ersetzen? Wie kann die Identifikation von ausgewogenen Nach-Kohlenutzungen der betreffenden Flächen, ob für wirtschaftliche, ökologische, freizeitmäßige, energiebezogene oder als Raumreserve geeignete Zwecke erleichtert werden, z.B. für Wälder als Kohlenstoffsenken oder anderen Umweltausgleich? All dies sind genau die „Gretchen-Fragen“ der Transition, für die man sich von einem solchen Toolkit Antwortvorschläge oder -ansätze erwartet hätte, doch sie werden lediglich als ein Verlangen nach Antworten in den Raum gestellt.

Ausdrücklich hingewiesen wird dagegen auf typische Herausforderungen: Das Potential für Neunutzungen sei nicht einfach zu bestimmen, da es von einer Vielzahl von regionalen und lokalen Faktoren abhänge wie den besonderen geografischen Gegebenheiten des Standorts, sektoraler Nachfrage und speziellen wirtschaftlichen Gelegenheiten etc. Die Risiken hingen dabei ab von der Art der Region und der Art des vormaligen Bergbaus sowie den Charakteristika der Bergwerksteile, für die eine Neunutzung gesucht wird. Dabei sei das adäquate Timing ebenso wie die Harmonisierung mit den bestehenden Rahmenplänen sehr wichtig. Ganz besondere Herausforderungen entstünden, wenn sich der geplante Zeithorizont verändere, etwa bei vorzeitiger oder plötzlicher Stilllegung von Bergwerken oder andere Planungsannahmen obsolet werden, z. B. durch Eigentümerwechsel. Angerissen werden auch ein paar typische praktische Problemstellungen, ohne aber konkrete Ansätze oder gar Rezepte zu deren Lösung zu benennen: Die Schwierigkeiten, lokale Expertenteams oder Kooperationen mit der lokalen Wirtschaft zu organisieren; das anhaltende Problem, über kurzfristige Maßnahmen hinaus kontinuierliche und langfristige Strategien zu verfolgen; der Verlust eines der größten regionalen Arbeitgebers und „Downsizing“ des lokalen Beschäftigungspotentials, ggf. mit weiteren indirekten Arbeitsplatzverlusten in der Mantelwirtschaft; die Disparitäten zwischen den im Kohlebergbau üblichen Löhnen und den oft niedrigeren in alternativen Beschäftigungen sowie die Preisgabe kultureller Identitäten, die mit der harten Arbeit im Bergbau verbunden waren. Angemerkt wird dazu nur, dass der Prozess der Dekarbonisierung und des coal phase out unaufhaltsam sei und ein Sichentgegenstellen die Dimensionen des Niedergangs einer Kohleregion nur vergrößerten. Die Herausforderungen müssten also in jedem Fall angenommen werden.

Mit den genannten Herausforderungen gingen aber auch, so wird unterstrichen, beachtliche Chancen einher: Die nötige Umweltsanierung dürfe von den Kohleregionen nicht bloß als lästige Verpflichtung bzw. nur abzuwickelnde Altlast angesehen werden, sondern sie bilde eine wesentliche Grundlage für eine neue Zukunft. Sanierung und Neunutzung ermöglichten zudem bedeutsame wirtschaftliche Gelegenheiten, negative sozioökonomische Folgen im Strukturwandel zu mindern. Zügige und effiziente Neunutzungen von Flächen und Infrastrukturen wären oft ein maßgeblicher Faktor für neue Geschäfte und Arbeitsplätze in der Region. Zugleich müssten aber die Wahrung des kulturellen Erbes des Bergbaus und die Würde seiner Bergleute als äußert wichtige Erfolgsfaktoren im Wandel beachtet und eingestuft werden. Viele Kohleregionen hätten noch in späteren Phasen der Transition, manchmal Jahrzehnte nach der Stilllegung der Bergwerke, das alte Erbe der montanindustriellen Infrastruktur und Gebäude zu schätzen gelernt.

Abschließend wird auf die Nützlichkeit neuer Institutionen und Verwaltungsstrukturen insbesondere für ein öffentliches Management der Flächenentwicklung hingewiesen. So könnten gezielte Anreize zur Sanierung und Neunutzung von Bergbauflächen insbesondere in den Ländern gegeben werden, die dafür keinen günstigen regulatorischen Rahmen haben, oder es könnten die Interessen von regionalen Regierungen und Bergbauunternehmen besser abgestimmt und leichter strategische Partnerschaften aller involvierten Instanzen begründet werden, mit denen ein Mangel an Finanzen und Fachkapazitäten zu beseitigen wäre. Beispielhaft erwähnt werden in diesem Kontext in Bezug auf Deutschland der frühere Grundstücksfonds Ruhr und die Landesentwicklungsgesellschaft NRW, ohne aber, wie es in diesen Fällen möglich gewesen wäre, deren längerfristigen Erfolg für den Strukturwandel des Ruhrreviers zu bilanzieren. Verwunderlicherweise wird die mit Unterstützung und Unterzeichnung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens zustande gekommene, aktuell wirksame und noch in Umsetzung befindliche Bergbauflächen-Vereinbarung Ruhr hier nicht thematisiert, obwohl sie im Rahmen der Plattform-Veranstaltungen der Initiative eigens vorgestellt worden war.

Zu diesem Toolkit lässt sich bewertend feststellen, dass es offensichtlich in erster Linie das Ziel hatte, für Akteure mit wenig Erfahrung und Vorwissen in den betreffenden Themen Sensibilität für die relevanten Fragen zu schaffen und eine gewisse Einführung in die Zusammenhänge zu leisten. Das mag für sich sinnvoll sein. Aus Sicht von langjährigen Praktikern und Fachleuten für die Belange der Kohleregionen sind die Ausführungen demgegenüber relativ oberflächlich geblieben, und es wird kaum Neues geboten. Es werden viel mehr Fragen aufgeworfen als klare Antworten gegeben, geschweige denn Antworten gerade zu den offenen Fragen über brauchbare Werkzeuge.

Wenig verständlich ist, dass in der EU vorhandene Expertise vielfach nicht beachtet und anspruchsvolleren Problemen so ausgewichen worden ist. Allein aus Deutschland hätte zu den relevanten Themen auch für andere (EU-) Staaten nutzbares wissenschaftliches Know-how zur Verfügung gestanden, z. B. zur Hochschulbildung im Nachbergbau (8), Risikomanagement (9), Grubenwasserflutungen (10) oder nachhaltigem und zugleich Stakeholder-orientiertem Flächenmanagement (11).

Toolkit „Sustainable employment and welfare support”

Dieses Toolkit ist in erster Linie dem Wandel des Arbeitsmarkts der „coal regions in transition“ der EU gewidmet. Es soll wiederum praktisch handhabbare Anleitungen geben, wie dieser Wandel begleitet werden kann, um Arbeitnehmer aus dem Kohlesektor kurzfristig zu unterstützen und in den Kohleregionen mittel- und langfristig Maßnahmen zur Schaffung neuer Beschäftigung anzuregen. Denn der laufende Niedergang der Beschäftigung im Kohlebergbau und in den Kohlekraftwerken werde sich fortsetzen und in Zukunft noch beschleunigen. Gerade an klassischen, insbesondere mono-strukturierten Industrie-standorten, wie Kohleregionen sie häufig repräsentieren, habe der Niedergang der industriellen Kerne („core industries“) ernste ökonomische Konsequenzen und der Transitionsprozess müsse den hier aufgrund tief verankerter Traditionen oft ganz besonderen, verhaltensmäßigen und kulturellen Herausforderungen für die Betroffenen und ihren Kommunen Rechnung tragen. Je nach Geschwindigkeit des Kohleausstiegs würden unterschiedliche Maßnahmen erforderlich. Als Themen benannt werden Qualifizierung und Umschulung, Kooperation der Stakeholder, finanzielle Hilfen für von Jobverlust bedrohte (Kohle-)Arbeitnehmer sowie die gezielte wirtschaftliche Diversifizierung der Kohleregionen als Mittel zum Aufbau neuer Beschäftigung.

Die Schlüsselbotschaften in diesem Kontext lauteten, dass die Transition des Arbeitsmarkts der Kohleregionen ein komplexer Prozess sei, für den Kohärenz in einer Reihe von Politikfeldern wesentlich wäre. Dazu müssten die relevanten Stakeholder sowie die betroffenen Beschäftigten so früh wie möglich einbezogen werden. Vor allem wären Arbeitgeber und Gewerkschaften aktiv zu beteiligen, was viel effektiver sei als isolierte staatliche Trainingsprogramme. Von ebenso vitaler Bedeutung seien Antizipation und Planung der absehbaren Veränderung bzw. ihres Fokus, ihres Ausmaßes und ihres Zeithorizonts. Um einen gerechten Übergang zu gewährleisten, müssten Optionen eröffnet werden, welche die individuellen Umstände berücksichtigen sowie kurz- und langfristige Perspektiven schaffen. Zudem sei die Finanzierung der Maßnahmen sicherzustellen.

Zum Thema Qualifizierung und Umschulung vorgeschlagen wird als Erstes eine Vorausschau künftiger gesamtwirtschaftlicher Qualifizierungsbedarfe („anticipating skill needs“). Diese müssten Mega-Trends wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit berücksichtigen. Konkrete regionale Prognosen sollten in Partnerschaft der wichtigsten Stakeholder erstellt werden. Hilfreich wären Bestandsaufnahmen der vorhandenen Qualifikationen in der betroffenen Arbeitnehmerschaft („skill audits“) und deren Abgleich mit den außerhalb des Kohlesektors nachgefragten Fertigkeiten („skills matching“). Zu überprüfen sei dann die Übertragbarkeit/Nicht-Übertragbarkeit der verfügbaren Qualifikationen innerhalb des gleichen Berufsgebiets, des gleichen Sektors, der gleichen Region oder in benachbarten Beschäftigungsfeldern. Eventuell könnten – so die genannten Musterbeispiele – Bergleute des Kohlebergbaus in anderen Bergbauzweigen, etwa im Kupferbergbau, eine neue Beschäftigung finden, ein Industrietechniker eines Kohlekraftwerks bei einem Windpark oder ein Geologe in einem Forschungsinstitut oder als Museumsführer. Arbeitsmarktangebot und -nachfrage müssten in jedem Fall besser verknüpft werden, indem Investitionen von anderen Branchen in der Kohleregion angeregt werden, neue Jobs durch Ermutigung von unternehmerischem Engagement und Unternehmensgründungen geschaffen werden und lokale Arbeitsmärkte mit den erheblich breiter angelegten Beschäftigungsmöglichkeiten der Region oder jenseits davon verbunden werden.

Was Stakeholder-Kooperationen zur Schaffung von Beschäftigungsalternativen betrifft, werden von dem Toolkit zunächst alle mit Arbeitsmarktfragen befassten Akteure und Organisationen adressiert, von den Sozialpartnern über zuständige staatliche Stellen und Finanzinstitutionen einschließlich der von der EU-Kommission verwalteten Fonds bis hin zu speziellen Anbietern von Job-Trainings und Beratungseinrichtungen. Wichtig sei es, maßgebliche und hinreichend engagierte Stakeholder zu identifizieren – allen voran die Sozialpartner – und rechtzeitig zu kontaktieren, für sie im Dialog Rollen und Aufgaben zu entwickeln und diese in einem organisierten Prozess mit Meetings und Workshops zu einer gemeinsamen Vision und einem Maßnahmenmix mit Zeitpfad zu veranlassen. Zu entwickeln wären außerdem Indikatoren für ein Monitoring.

Eine angemessene Unterstützung der von Restrukturierungsplänen betroffenen Arbeitnehmer setze deren bzw. durch deren Repräsentanten wie Betriebsräte gewährte frühzeitige Information und Konsultation sowie einen wertschätzenden und vertrauensvollen Dialog voraus. Die jeweiligen Restrukturierungspläne sollten möglichst von den Sozialpartnern gemeinsam aufgestellt werden. Zu beachten sei, dass sich aus Perspektive der betroffenen Arbeitnehmer existenzielle Fragen stellen wie die nach einem alternativen Job, der Überbrückungszeit bis zur Rente oder der Begleichung des Lebensunterhalts im Anpassungsprozess. Die Unterstützung sollte darum möglichst maßgeschneidert („tailored“) sein und auf intensiver Beratung beruhen, von Versetzungen auf/Schulungen für eine andere Stelle innerhalb desselben Unternehmens über vorbereitende Qualifizierungen oder On-the-job-trainings für neue Arbeitgeber und regionale Transferprogramme für Teile von Belegschaften bis hin zu praktischen und finanziellen Hilfspaketen für die Aufnahme neuer Beschäftigung außerhalb der Region. Für drei Problemgruppen gebe es besondere Notwendigkeiten, die teilweise zusätzliche sozialstaatliche Unterstützung („welfare support“) erforderten. Für ältere (Kohle-)Arbeitnehmer könnten Möglichkeiten der Frühverrentung oder Überbrückungshilfen bis zur Rente in Betracht kommen. Ggf. müssten ihnen adäquate Unterstützungsformen für gesundheitliche Beeinträchtigungen oder, wenn Renten oder Rentenersatzleistungen noch nicht möglich sind, gesonderte Umschulungsmaßnahmen gewährt werden. Für jüngere Arbeitnehmer und eventuell noch Auszubildende, denen nötige Qualifikationen fehlen, seien Hilfestellungen für Ausbildungs- und Trainingsmaßnahmen sowie Unterstützung zur Gewinnung praktischer beruflicher Erfahrungen zu organisieren. Darüber hinaus könnten für sie aktive Hilfestellungen bei der Jobsuche oder etwa Zahlungen zur Deckung von Reisekosten angebracht sein. Langzeitarbeitslose in Kohleregionen sind besonders schwer zu vermitteln. Für sie müssten alle Arten praktischer Hilfe etwa bei Bewerbungen bis hin zu gezielten Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen in Erwägung gezogen werden. Generell empfiehlt das Toolkit für Arbeitnehmer aus dem Kohlesektor Maßnahmen zur Schließung von Qualifizierungslücken im Bereich digitaler Technologien, die künftig zunehmend Bedeutung in allen Regionen und Sektoren insbesondere der Industrie 4.0 erlangen würden.

Als Fallstudie guter Praxis einer sozialverträglichen Beschäftigungsrückführung führt das Toolkit wiederum den Ausstieg aus der deutschen Steinkohle an, der zeitlich gestreckt und schrittweise unter konstruktiver Beteiligung der Bergarbeitergewerkschaft IG BCE durchgeführt wurde. Skizziert werden neben einigen begleitenden Maßnahmen und Entwicklungen das breite Spektrum der eingesetzten personalpolitischen Instrumente, von den Vorruhestandsregelungen für Bergleute bis zu diversen Qualifizierungen und Vermittlungen in neue Beschäftigungsmöglichkeiten, so u. a. die Vermittlung 100 früherer Bergleute zum Personal des Dortmunder Flughafens. Dadurch konnte das Bergbauunternehmen Ruhrkohle AG (heute RAG) die Zahl seiner Bergbaubeschäftigten von 1969 bis 2015 von gut 180.000 auf unter 10.000 abbauen, ohne in dieser Zeit betriebsbedingte Kündigungen und Entlassungen in die Arbeitslosigkeit vornehmen zu müssen. Ausdrücklich benannt wird dabei zwar der benötigte Zeitraum, indes nicht thematisiert, dass dafür in der Tat mehr als vier Jahrzehnte erforderlich waren, eine Zeitdauer, die für die anstehenden Transitionsprozesse nicht nur der Kohleregionen auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht zur Verfügung steht. Nun soll der Kohleausstieg in der EU schneller vollzogen werden.

Fig. 7. Cover Page JRC Report Clean Energy Technology for Coal Regions. // Bild 7. Titelseite JRC Report Clean Energy Technology for Coal Regions. Source/Quelle: EU-Kommission

Im Hinblick auf die Schaffung von alternativer Beschäftigung durch wirtschaftliche Diversifizierung und Transformation stellt das Toolkit zunächst neue Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz in den Vordergrund. Nach Berechnungen des JRC könnten durch „saubere Energietechnologien“ in den Kohleregionen der EU bis 2030 rd. 315.000 Jobs, bis 2050 bis zu 460.000 Jobs neu geschaffen werden (Bild 7). Das übertreffe insgesamt die Arbeitsplatzverluste im Kohlesektor (12), garantiere jedoch keinen vollständigen Ausgleich in jeder bisherigen Bergbaukommune. Dort müsste neue Beschäftigung auch in anderen Sektoren generiert werden, also potentiell aus dem ganzen volkswirtschaftlichen Spektrum jenseits des Energiesektors – eigentlich eine Binsenweisheit.

Leitend sollte aber auch dafür das Transformationsziel der Klimaneutralität sein, so das Toolkit. Gerade die Kohleregionen sollten die unvermeidliche Transition als Katalysator für entsprechende Innovationsprozesse nutzen. Kohlebezogene Infrastruktur und ihr industrielles Erbe könnten in diesem Sinn ein Vermögenswert („asset“) für die Zukunft sein, der den klimapolitisch geforderten Wandel in besonderer Weise verdeutlicht. Nötig wären jedenfalls zukunftsfeste private Investments und staatliche Förderprogramme, die mit dem Green Deal der EU wie auch der internationalen Wettbewerbsfähigkeit im Einklang stünden. Als ein bedeutsamer Ansatz zur Diversifizierung der wirtschaftlichen Basis in den Kohleregionen könnte zudem die Förderung von Unternehmertum, Start-ups und kleinen und mittleren Unternehmen dienen.

Auch bei diesem Toolkit bleibt Manches sehr an der Oberfläche und wirkt teilweise beliebig. Gerade die Antworten zu den Fragen, die sich aus den konkreten Schwierigkeiten der Schaffung neuer Arbeitsplätze stellen, fehlen. Die behaupteten vielen neuen Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien beziehen sich z. B. immer auf deren Investitions- und Ausbauphase. Sie wird es, anders als das im relativ beschäftigungsintensiven Kohlebergbau der Fall war, danach nicht mehr im gleichen Umfang in der Betriebsphase der Anlagen geben, wenn kein (Netto-)Zubau mehr stattfindet, sondern nur noch Ersatz und Wartung. Eventuelle Konflikte zwischen den EU-Klimazielen und internationaler Wettbewerbsfähigkeit werden nicht einmal angesprochen. Wie bei den vorherigen Toolkits verwundert es außerdem, wie sehr eine Planbarkeit des Strukturwandels unterstellt wird, hier mit Bezug auf den Arbeitsmarkt der Kohleregionen, und dass z. B. keine der schon erkennbaren Probleme und Lehren etwa aus dem weiter durchgeplanten Kohleausstieg in Deutschland gezogen werden, sei es hinsichtlich der regionalökonomischen Folgen (13), sei es in Bezug auf die Möglichkeiten zu Beschäftigungsimpulsen für Kohleregionen (14).

Toolkit „Technology Options”

Dieses Toolkit soll technologische Wege aufzeigen, die Industrie in den Kohleregionen auf einen klimaneutralen Pfad zu bringen. Dazu werden einige der heute verfügbaren Technologieoptionen und wahrscheinliche künftige technologische Entwicklungen präsentiert, durch die in Verbindung mit der kohlebezogenen Infrastruktur neue Geschäftsmodelle in den Kohleregionen entwickelt werden könnten. Dabei geht es nicht um die mit der Kohlegewinnung verknüpfte Infrastruktur, sondern um Einrichtungen und Alternativen zur Kohlenutzung. Explizit behandelt werden Möglichkeiten zu Umnutzungen der Infrastruktur von Kohlekraftwerken, die Dekarbonisierung kohleintensiver Industriezweige mit Schwerpunkt auf der Stahlindustrie, die Rolle der Wasserstoffherstellung für die Regionalentwicklung sowie gewisse Möglichkeiten der nicht-energetischen Kohlenutzung. In den Mittelpunkt wird die Frage gestellt, welche Elemente der bestehenden Kohle-Infrastruktur sinnvoll in die Energiewende eingefügt werden können und welche Teile der regionalen industriellen Wertschöpfungsketten sich aufrecht erhalten lassen, wenn das EU-Langfristziel für 2050 einer CO2-freien Wirtschaft („zero-carbon economy“) erreicht werden soll.

Zur Umnutzung („re-use“) von Kohlekraftwerken, die verhindern würde, dass diese Kraftwerke bei vorzeitiger Abschaltung als Produktionsmittel und Betriebsvermögen voll abgeschrieben werden müssten („stranded assets“), werden drei Optionen vorgestellt: Nutzung als Energiespeicher, Umstellung („conversion“) auf Gas oder erneuerbare Energien und nicht-energetische Nutzungen. Die ersten beiden Optionen hätten den Vorteil, dass die bestehende Infrastruktur oder zumindest Teile davon ähnlich weiter genutzt und die mit der Stilllegung der Kohlekapazitäten verbundenen Kosten gesenkt werden könnten. Vormalige Kohle-Beschäftigte könnten mittels Umschulung ihren Job behalten. Und die regionale Identität als Strom- bzw. Energieregion ließe sich beibehalten, was die öffentliche Akzeptanz verbessern könnte.

Bei den Speichertechnologien kämen prinzipiell die thermische Energiespeicherung, Pumpwasser-Speicherkonzepte und chemische Energiespeicher durch Batteriesysteme in Betracht. Für die thermische Energiespeicherung, die sowohl für die Strom- als auch die Wämeversorgung Relevanz besitzt, könnten Kohlekraftwerke in Wärmespeicher mit geschmolzenem Salz umgerüstet werden, wie es z. B. aktuell im Projekt Aboña I in Asturien/Spanien erprobt wird – eine marktfertige Technologie, die relativ kostengünstig in existierende Kraftwerksinfrastruktur eingepasst werden kann, mit allerdings begrenzter Kapazität und Effizienz. Noch Gegenstand von Forschung und Entwicklung sind sogenannte Carnot-Batterien sowie als Alternative zum geschmolzenen Salz als Speichermedium neuartige Materialmischungen („miscibility gaps“), insbesondere unterschiedliche Metalllegierungen. Dagegen beruhen Pumpwasser-Speicherkonzepte zwar auch auf einer am Markt etablierten Technologie und sie bieten größere Kapazitäten mit längeren Speicherzeiten, jedoch nicht durch Nutzung stillgelegter Kraftwerke, sondern von Über- und auch Untertagebergwerken. Dafür sind jedoch besondere geografische Bedingungen erforderlich und Umweltauswirkungen zu beachten, die als selbstständig tragfähiges Geschäftsmodell nur eine sehr begrenzte Anwendbarkeit ermöglichen, z. B. in Deutschland gibt es anders als für direkte Wasserkraft und andere regenerative Energien auch keine laufende Förderung aus dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). In der EU existiert trotz verschiedener eingehender Untersuchungen derzeit nicht einmal ein Demonstrationsprojekt dieser Art, weshalb das Toolkit als einziges Praxisbeispiel das in Bau befindliche, für 2022 avisierte 250 MW-Hydro Project in Kidson/Australien in einem stillgelegten Goldbergwerk anführt. Für die technologisch einfacher machbare und für die Emissionsreduktion kurzfristig realisierbare Umnutzung von Kohlekraftwerken würde sich dagegen vor allem die Konversion zu Erdgas- oder Biomasse-Kraftwerken – letztere auch in Form der Mitnutzung – eignen, die beide ein hohes Maß an Flexibilität besitzen würden, also bedarfsgerecht rauf- und runtergefahren werden könnten, und an den Standorten Ersatzarbeitsplätze schüfen. Das Toolkit weist allerdings auf das „lock-in“-Risiko hin, denn beide genannte Kraftwerkstypen könnten in der EU bald ebenfalls zu stranded assets werden. Durch die verschärfte Klimapolitik infolge des Green Deal sei mit einer systematischen energie- und klimapolitischen Rückführung auch des heute schon beträchtlichen Gasanteils im Energie- und Strom-Mix der EU schon bald ab ca. 2030 bis auf null im Jahr 2050 zu rechnen. Auch sei der tatsächliche Klimavorteil von Erdgas gegenüber Kohle aufgrund des Problems der Methanleckagen bei Gewinnung und Transport fraglich. Bei der Biomasse stellten sich demgegenüber Probleme der relativ geringeren Energieeffizienz, ökologische Grenzen mit Blick auf den zusätzlichen Land- und Wasserverbrauch sowie umweltbezogene Konflikte mit der Biodiversität und auch der Klimaneutralität, darüber hin-aus das Problem, überhaupt genügend weitere lokale Biomasse-quellen erschließen zu können. Für die meisten Kohleregionen wäre die Verstromung von Biomasse deshalb bis auf wenige Ausnahmen keine nachhaltige Alternative. Ausdrücklich empfohlen wird dagegen, vormalige Kohlekraftwerksstandorte zusammen mit innovativen Speicherkonzepten je nach den standortspezifischen Gegebenheiten mit anderen erneuerbaren Energiequellen zu verbinden, seien es Windkraft- und Photovoltaikanlagen, seien es Anlagen für Solarthermie oder Geothermie. So könnten Kohlekraftwerke umgewidmet werden zu Zentren für saubere Energien („clean energy hubs“), in denen nachfragegerecht Energieproduktion, -speicherung und -verarbeitung, z. B. zu Wasserstoff, kombiniert werden könnten. Als Musterbeispiel dafür wird der mit einer solchen Kombination geplante, wenn auch längst noch nicht realisierte, Green Hydrogen Hub am Standort des schon 2020 nach nur fünf Jahren Betriebsdauer stillgelegten Vattenfall-Kohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg präsentiert, das zusätzlich noch mit der Wasserstofftechnologie verknüpft wird. Schließlich werden auch noch ergänzend einige nicht-energetische Nutzungsmöglichkeiten für ehemalige Kohlekraftwerksanlagen benannt, für die es in einigen Mitgliedstaaten der EU praktische Beispiele gibt, von Büronutzungen und Kultur- oder Studieneinrichtungen über Industrieparks oder Datenzentren bis zu Logistikstationen für Off-shore-Windkraftanlagen.

Der europäische Green Deal erfordere unterdessen nicht nur die komplette Dekarbonisierung des Energiesektors mit dem Vorrang des Kohleausstiegs, sondern in den nächsten Schritten diejenigen aller Sektoren und so auch der Industrie, auf die rd. 25 % der EU-weiten Klimagasemissionen entfallen, und hier insbesondere der energieintensiven Industrien. Das habe wiederum auf die Kohleregionen bedeutsame Auswirkungen, denn dort gebe es häufig einen relativ großen Anteil energie-intensiver Industriezweige, deren Beschäftigung die Zahl der Kohlearbeitsplätze oft übertreffe. So stünden diese Regionen sozusagen vor einer „doppelten Transformation“. Grafisch belegt wird zudem eine beachtlich große regionale Übereinstimmung der Beschäftigtenzahl in energieintensiven Industrien und im Bergbausektor (nicht nur Kohle).

Die zentrale Herausforderung dabei wären die in vielen energieintensiven Industrien typischerweise langen Investitionszyklen (30 bis 50 Jahre und mehr), die mit Blick auf das Green Deal-Zieljahr 2050 klimapolitisch ziemlich zügiges Handeln verlangten, um neue klimaneutrale Technologien und Produktionsprozesse an den Start zu bringen. Doch noch seien diesbezügliche CO2-freie Technologien überwiegend in der Entwicklungsphase und wirtschaftlich zumeist unreif, d. h. kostenmäßig noch nicht wettbewerbsfähig. Zwar hätten die energieintensiven Unternehmen oft schon eigene Fahrpläne aufgestellt für ihre möglichen Pfade zur Klimaneutralität, doch bräuchten sie dafür angemessene politische Unterstützung. Die ökonomischen Chancen für die Unternehmen lägen in innovativen Produkten („grüner Stahl“, „grüner Zement“ etc.) mit langfristiger Wettbewerbsfähigkeit, für die betreffenden Regionen in hohen Investitionen und dem Erhalt industrieller Arbeitsplätze – wovon entsprechend auch die Kohleregionen profitieren könnten.

Exemplarisch für die energieintensiven Industriezweige der EU herausgehoben wird vom Toolkit die Stahlindustrie, deren Rohstahlerzeugung gegenwärtig noch fundamental auf Kokskohle und Koks beruht und die damit heute der größte industrielle Kohleverbraucher ist. Für die Stahlindustrie gebe es drei technologische Optionen für die Dekarbonisierung: Die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS – Carbon capture and storage) für die Abgase der Hochöfen, die allerdings keine vollständige CO2-Reduktion erreichen kann, sondern nur die Vermeidung direkter Emissionen in die Atmosphäre zu relativ hohen Vermeidungskosten, wobei in einigen Mitgliedstaaten der EU wie Deutschland die unterirdische CO2-Einlagerung bisher noch vor sehr hohen politisch-rechtlichen Hürden steht und das Potential an geologisch geeigneten Lagerstätten begrenzt ist. Deswegen sei Anwendung von CCS lediglich als eine Art Brückentechnologie zu bewerten. Noch ganz am Anfang der Entwicklung stehe derzeit die alkaline Eisenelektrolyse – sogenanntes electrowinning – die langfristig das energieeffizienteste Vermeidungsverfahren beim Stahl sein könnte und basierend auf Grünstrom zur Klimaneutralität führen würde. Ein Konsortium unter Führung von Arcelor Mittal baut aktuell in Frankreich eine Pilotanlage für diese Technologie. Doch wird aus heutiger Perspektive nicht vor 2050 und damit erst in der Spätphase der erforderlichen Transformation der Stahlindustrie mit einem wettbewerbsfähigen Beitrag gerechnet. Als Königsweg zur klimafreundlichen Stahlproduktion mit Reifephase schon ab den 2030er Jahren und langfristig günstigeren Vermeidungskosten wird daher aus heutiger Sicht die Direktreduktion auf Wasserstoffbasis in Verbindung mit Schmelzverfahren in Elektrolichtbogenöfen eingestuft. Dieser Ansatz füge sich zudem ein in die inzwischen in vielen Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene zur industriellen Transformation verfolgte Wasserstoffstrategie.

Der Wasserstoff werde, so das Toolkit, eine sehr bedeutende Rolle für das künftige Energiesystem spielen, auch wenn er wegen relativ hoher Produktionskosten auch in Zukunft auf Anwendungen begrenzt bleibe, bei denen die direkte Elektrifizierung kein gangbarer Weg sei. Zu beachten bleibe, dass Wasserstoff an sich kein Brennstoff wie Kohle, Rohöl oder Erdgas sei, sondern ein produzierter Energieträger oder Rohstoff, der sich in erster Linie für Speicherung, Transport und Verteilung von Energie eigne. Künftige Hauptanwendungen für Wasserstoff lägen auch nicht nur im nachhaltigen Energieangebot für energieintensive Industrien, sondern auch als Rohstoff für die Chemische und die Raffinerie-Industrie sowie in der Brennstoffzellentechnologie für den Schwerlastverkehr, wobei die Klimaneutralität dann davon abhängt, dass der für die Elektrolyse nötige Strom vollständig aus regenerativen Quellen kommt. Skizziert wird die EU-Wasserstoffstrategie mit ihrer „roadmap to 2050“, die schrittweise einen Ausbau der Wasserstoffkapazitäten mit regenerativen Elektrolyseuren und sonstiger zugehöriger Infrastruktur sowie die Schaffung und Regulierung eines liquiden Wasserstoffmarkts mit zunehmend erweiterten Anwendungen intendiert. Die EU will mit dieser Strategie sogar Weltmarktführer beim Wasserstoff mit dem Euro als Leitwährung werden. Erwartet werden Nachfrage-Hot-Spots insbesondere in urbanen Ballungsregionen sowie Regionen der energieintensiven Industrie. Das innereuropäische „grüne“ Wasserstoffangebot werde sich neben Importen aus Drittländern auf Regionen mit einem großen Potential an erneuerbaren Energien konzentrieren. In diesem Spannungsfeld müssten die betreffenden Regionen der EU, darunter die Kohleregionen, ihre jeweils eigenen regionalen Wasserstoffstrategien entwickeln, um die damit zusammenhängenden Geschäfts- und Entwicklungsmöglichkeiten nutzen zu können.

Zu guter Letzt wirft das Toolkit noch einen kurzen Blick auf sonstige rohstoffliche, nicht-energetische Nutzungsoptionen für Kohle. Erwähnt werden Karbonfasern und Karbonelektroden sowie Nano-Materialien auf Kohlenstoffbasis, zudem der Einsatz von Braunkohle als Düngersurrogat in der Landwirtschaft. Nicht erwähnt werden hier z. B. Kohlewachse, wie sie die deutsche Romonta aus Braunkohle herstellt. Zwar gebe es für diese Optionen ein gewisses Nachfragepotential in Nischenmärkten, doch teilweise erheblichen Entwicklungsbedarf und kaum Chancen zu einer zukunftsweisenden Skalierung unter der künftigen conditio sine qua non der Klimaneutralität. Deshalb böte diese Art von Technologien keine genügend belastbaren Chancen für die Zukunft der Kohleregionen der EU.

Insgesamt muss zu diesem Toolkit angemerkt werden, dass die Erörterung der Technologieoptionen für Kohleregionen einige erstaunliche blinde Flecken aufweist. Grundsätzlich hinzuweisen ist z. B. darauf, dass die viel diskutierte, mit eminent großen Hoffnungen und Erwartungen verbundene Wasserstoffstrategie auch mit Risiken verbunden sein kann – abgesehen von der weitgehend noch fehlenden Infrastruktur –, weil sie vorerst noch einen eklatanten Mangel an internationaler Wettbewerbsfähigkeit und somit enormen Subventionsbedarf aufweist, solange nicht ein großer Teil der übrigen Welt als Nutzer und Anbieter von Wasserstoff mitzieht. Auch ist EU-weit nicht geklärt, ob und ggf. wie lange neben grünem übergangsweise auch „blauer“ oder „grauer“ Wasserstoff auf Basis von Erdgas- oder wie bisher gemixtem konventionellem Strom zulässig bleibt. (15) Schwer abzuschätzen ist auch, in welchem Tempo und Ausmaß im Fall des angestrebten erfolgreichen Wasserstoffdurchbruchs Verdrängungs- und Verwerfungseffekte in der traditionellen Industriestruktur auftreten. Das sollte auch von den Kohleregionen bedacht werden. Unverständlich ist überdies, dass CCS als Option bei der Stahlherstellung thematisiert wird, nicht aber bei der Stromerzeugung aus Kohle – was etwa die Internationale Energieagentur (IEA) ganz anders sieht (16). Gleiches gilt für die CCUS-Technologien (Carbon capture, utilisation and storage), die auf eine kommerzielle Verwendung von CO2 als Wertstoff abstellen und beispielsweise neben der weithin bekannten Kohlensäure zunehmende neuartige Anwendungen in der Kunststoffherstellung und anderen Bereichen der chemischen Industrie finden (17). Nicht einmal mehr angesprochen werden die Möglichkeiten der CO2-Reduktion beim Kohlestrom durch weitere Steigerungen der Wirkungsgrade – lange Zeit als Clean Coal- oder HELE-Technologien bezeichnet (HELE – high efficiency, low emissions (18)). Das ist umso weniger verständlich, als das Toolkit selbst mit Verweis auf die Methan-Leckage-Problematik den Klimavorteil von Erdgas- gegenüber Kohlestrom infrage stellt und Kohle somit wenigstens als Brückentechnologie ins erneuerbare Stromzeitalter an sich nicht weniger infrage käme als Erdgas, zumal zumindest einige EU-Mitgliedstaaten noch auf absehbare Zeit Kohlekraftwerke beibehalten werden, es im Prinzip nur noch um die Laufzeiten bestehender Kohlekraftwerke geht und die Europäische Kommission gerade eine eigene Methan-Strategie vorbereitet hat, in deren Fokus Methanreduktion bei Öl und Gas steht (19). Zu ergänzen ist, dass auch der spezifische CO2-Vorteil von Erdgas bei der Verstromung hinfällig werden kann, wenn zusätzlich die unter den Bedingungen der Energiewende nötige fluktuierende Fahrweise der Erdgasturbinen und andere Faktoren berücksichtigt und mit der heute erreichten Flexibilität von Steinkohlenkraftwerken verglichen werden (20).

Unverständlich ist darüber hinaus, dass das Toolkit über Technologieoptionen nur Technologien aus dem Kontext der Kohlenutzung adressiert, nicht aber solche aus der Kohlegewinnung. So wird die Nutzung von Grubengas aus aktiven oder auch stillgelegten Steinkohlenbergwerken zur Erzeugung von Strom und für Wärmezwecke ignoriert. Zwar ist auch hier das Potential begrenzt, doch eine gezielte und systematische Grubengasnutzung bietet unzweifelhafte energie- und klimapolitische Vorteile im Vergleich zu einer bei Nichtnutzung teils unkontrollierbaren Diffundierung des Grubengases. Eben deshalb ist das Grubengas bislang in Deutschland in die EEG-Förderung eingebunden und so den erneuerbaren Energien gleichgestellt worden. Die EU-Kommission hat in ihrer zuvor angesprochenen neuen Methanstrategie schon angedeutet, dass sie in ihrer Umsetzungsrichtlinie eine derartige Förderung der Grubengasnutzung empfehlen wird.

Ebenfalls ignoriert worden ist von diesem Toolkit über Technologieoptionen die Option zur Nutzung von Gravitationsenergie in Bergwerksschächten („Schwerkraftspeicher“), obwohl auch diese auf einer der Plattform-Veranstaltungen der Coal Regions in Transition Initiative auf Einladung der Kommission ausführlich präsentiert wurde (21). Gleiches gilt für die beträchtlichen Möglichkeiten der Wärmegewinnung aus Grubenwasser, eine Erscheinungsform der tiefen Geothermie, mit denen stillgelegte Kohlebergwerke gewissermaßen in einen „Wärmebergbau“ transformiert werden könnten. Dessen Möglichkeiten werden in Deutschland seit einiger Zeit vor allem durch das Fraunhofer-Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) intensiver erforscht und mit Projekten in den Stein- und Braunkohlenrevieren begleitet. In Großbritannien, wenngleich inzwischen nicht mehr Mitglied der EU, aber außerodentlich erfahren in der „coal transition“, sieht man übrigens schon länger enorme Potentiale in „heat from old mines“, d. h. für eine Fernwärmeversorgung auf Basis von Grubenwasserwärme stillgelegter Kohlebergwerke – ein erstes regionales Konzept wurde 2020 von der Coal Authority genehmigt, weitere Tests laufen (22).

Fazit und Ausblick

Fig. 8. The collection of tools for the coal transition was compiled with the toolkits by the Secretariat of the Coal Regions in Europe. // Bild 8. Der Werkzeugkasten für die coal transition wurde vom Sekretariat der Initiative für die Kohleregionen in Europa mit den Toolkits zusammengestellt. Source/Quelle: EU-Kommission

Der Werkzeugkasten für die coal transition, der im Auftrag der EU-Kommission vom Sekretariat der Initiative für die Kohleregionen in Europa mit den Toolkits zusammengestellt worden ist (Bild 8), enthält gewiss eine Reihe wertvoller Hilfsmittel für den Umgang mit dem laufenden und noch anstehenden Strukturwandel weg von der Kohle. Doch er wirft an vielen Stellen mehr Fragen auf als er belastbare Antworten gibt, nährt manche Planbarkeits- und Machbarkeitsillusionen und ignoriert bei den Technologieoptionen sachlich unverständlicherweise einige durchaus relevante Optionen. Deutlich geworden ist, dass sich die Kommission und ihre Dienststellen bei ihren Empfehlungen für die Kohleregionen und deren Zukunftsgestaltung zwar ernsthafte Mühe geben, zusammen mit den anderen EU-Organen schon Einiges an Hilfen auf die Beine gestellt haben und sich von mehreren Seiten beraten lassen, aber bislang wenig auf die vorhandene Expertise in der Kohleindustrie und in den Kohleregionen selbst zurückgreifen. Aus der großen Brüsseler „Flughöhe“ wird eben manches übersehen. Einige Entscheidungsträger mögen auch der Devise folgen, dass man gerade die Frösche besser nicht fragt, wenn der Sumpf ausgetrocknet werden soll. Dann wird es jedoch sehr schwierig, keinen von der Aktion Betroffenen zurückzulassen und alle für die Region wichtigen Tatsachen zu erfassen. Einzuräumen ist allerdings, dass auch bei geringerer Betrachtungsdistanz und größerer Nähe zu den Realitäten mit heutigem Wissen viele neue Entwicklungen nicht vorhersehbar sind. Deswegen kann nicht alles im Voraus hinreichend strukturpolitisch bearbeitet und aufgefangen werden, was ein so tiefgreifender und fundamentaler Wandel wie der zur politisch gewollten Klimaneutralität sozioökonomisch an positiven wie negativen Veränderungen mit sich bringen wird. Das bedeutet zugleich, dass die Zukunft der Kohleregionen der EU und keineswegs nur dieser trotz aller Bemühungen ungewisser ist als die Politik den Anschein erweckt.

Erfreulich ist und sehr vernünftig erscheint, dass die EU-Initiative Coal Regions in Transition von vornherein längerfristig und, wie auch die Toolkits verdeutlichen, als Dekadenprojekt angelegt ist, somit der Faktor Zeit als wesentlicher Parameter anerkannt wird. Klar ist oder sollte sein, dass die Transition mit dem Kohleausstieg nirgendwo endet, sondern sich der regionale Strukturwandel dann weiter fortsetzt, z. T. erst beginnt und 2050 nicht generell abgeschlossen sein wird. Damit kann und wird es die den Governance-Systemen inhärenten, aus den Erfahrungen geborenen Lern- und Anpassungsprozesse geben, die „learning journey“. Wünschenswert wäre, wenn die Toolkits wie auch die Dialog-Plattformen auf EU-Ebene künftig stärker auf tatsächliche Erfahrungen abstellen, neben Erfolgsgeschichten auch Probleme und Schwierigkeiten beleuchten und mehr noch als bisher fachwissenschaftlich objektiv begleitet werden, anstatt die bedingungslose Erfüllung der „Mission Kohleausstieg“ in den Mittelpunkt zu stellen.

References/Quellenverzeichnis

References/Quellenverzeichnis

References

(1) Siehe die offizielle Darstellung der Initiative durch die EU-Kommission: https://ec.europa.eu/energy/topics/oil-gas-and-coal/EU-coal-regions/coal-regions-transition_en

(2) Ebenda.

(3) JRC Science Policy Report: Recent Trends in EU Coal, Peat and Oil Shale Regions, Brussels 2021.

(4) Alle diese Toolkits sind zusammen mit anderen „Ressourcen“ abrufbar beim Sekretariat unter: https://ec.europa.eu/energy/topics/oil-gas-and-coal/EU-coal-regions/resources_categories_en?redir=1 Die nachfolgenden zusammenfassenden Beschreibungen stützen sich auf diese Veröffentlichungen.

(5) So folgt der Kohleausstieg in Deutschland keineswegs der EU-Initiative Coal Regions in Transition oder unmittelbaren internationalen Vorgaben, sondern beruht auf nationalen Beschlüssen, die sich auf Basis der 2018 im Bund geschlossenen Koalitionsvereinbarung im 2020 gefassten nationalen Kohleverstromungsbeendigungsgesetz und im Strukturförderungsgesetz Kohleregionen sowie begleitenden nationalen Richtlinien und Vereinbarungen manifestieren. Auch die Finanzmittel dafür werden weit überwiegend aus nationalen Haushalten bereitgestellt, EU-Mittel nur sehr partiell zur Flankierung der Strukturmaßnahmen herangezogen.

(6) Zu einer eher kritischen Betrachtung solcher Ansätze siehe z. B. Nienhaus, V.: Strukturpolitik. In: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik Bd. 2, 8. Aufl. München 2003, S. 443ff., hier insb. 470f., 478ff.

(7) Zur markt- und wettbewerbstheoretischen Fundierung struktureller Wandlungsprozesse vgl. van de Loo, K.: Marktstruktur und Wettbewerbsbeschränkung, Frankfurt a.M. u. a. 1992, insb. S. 95ff.

(8) Siehe dazu die Anthologie des Forschungszentrums Nachbergbau der Technischen Hochschule Georg Agricola: Done for good. Challenges in Post-Mining. Hrsg. J. Kretschmann/C. Melchers, Bochum 2016, hier insb. den Beitrag M. Hegemann/P. Goerke-Mallet: Support of solving the Problems of Abandoned Mining areas in Germany by Approvement of University Education, S. 19 – 32.

(9) Siehe ebenda S. 33 – 46 den Beitrag J. Kretschmann/M. Hegemann: New Chances for Old Shafts – Risk Management in Abandoned Mine Sites in Germany.

(10) Siehe ebenda S. 146-152 den Beitrag C. Melchers/T. Dogan: Study on Mine Water flooding that occured in Hard-Coal Mining Areas in Germany and Europe.

(11) Siehe ebenda S. 153 – 162 den Beitrag J. Kretschmann: Stakeholder Orientated Sustainable Land Management: The Ruhr Area as a role Model for Urban Areas.

(12) Abrufbar unter: JRC Publications Repository – Clean energy technologies in coal regions (europa.eu).

(13) van de Loo, K.: Der Kohleausstieg – ein energie- und regionalwirtschaftliches Abenteuer. In: Mining Report Glückauf 155 (2019), Heft 2, S. 178 – 193.

(14) van de Loo, K.; Tiganj, J.: Beschäftigungsimpulse für (Kohle-) Nachbergbauregionen. In: Mining Report Glückauf 157 (2021), Heft 1, S. 22 – 40, sowie IW-Studie zu den Perspektiven der deutschen Braunkohleregionen von K.-H. Röhl/R. Bertenrath/T. Hentze: Vorfahrt für Bildung und Investitionen, IW Köln 2020.

(15) Russwurm, S.: Klimapolitik braucht Verlässlichkeit. In: Handelsblatt vom 27.5.2021.

(16) Siehe etwa www.iea.org/reports/ccus-in-clean-energy-transitions oder www.iea.org/fuels-and-technologies/carbon-capture-utilisation-and-storage; dort wird auch über das CCUS-Pilotprojekt beim kanadischen Kohlekraftwerk Boundary Dam informiert.

(17) Siehe etwa die CO2-basierten innovativen Produktentwicklungen beim Chemiekonzern Covestro: www.covestro.com/de/sustainability/lighthouse-projects/co2-dreams oder den Stand aktueller Forschungen dazu mit zahlreichen industriellen Projektpartnern an der RWTH Aachen: www.ltt.rwth-aachen.de/cms/LTT/Forschung/Forschung-am-LTT/Modellierung-und-Design-molekularer-Syst/Abgeschlossene-Projekte/~kpty/Verwertung-von-CO2-als-Kohlenstoff-Baust/

(18) Zu den aktuellen Clean Coal- bzw. HELE-Technologien (incl. CCUS) siehe World Coal Institute: www.worldcoal.org/clean-coal-technologies/clean-coal Siehe die Mitteilung der EU-Kommission vom 14.10.2020: „Grüner Deal: Kommission legt Strategie vor, um Methanemissionen zu senken“ und das zugehörige Dokument der Kommission: eu_methane_strategy.pdf (europa.eu)

(19) Nähere Einzelheiten erläutert die im Auftrag des VDKi erstellte Deloitte-Studie zur Flexibilität von Steinkohlekraftwerken, siehe www.kohlenimporteure.de/publikationen/deloitte-studie.html.

(20) Siehe die Eigenpräsentation des Pionierunternehmens  Gravitricity  auf Home – Gravitricity renewable energy storage sowie Berichte über dieses Schwerkraftspeicherkonzept wie den vom Frühjahr 2021 zum erfolgreichen Demonstrationsprojekt in Edinburgh: www.nsenergybusiness.com/news/company-news/gravitricity-demonstration-project oder in einem deutschsprachigen Medium: www.cleanthinking.de/gravitricity-entwickelt-schwerkraft–speicher-zum-schnellen-und-flexiblen-netzausgleich/

(21) Zum Wärmebergbau siehe insb. die Arbeiten des neuen Fraunhofer- Zentrums für Geothermie unter www.ieg.fraunhofer.de/presse/pressemitteilungen/Startschuss für die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG  sowie dessen im Frühjahr 2021 vorgestellten kurzen Informationsfilm „Vom Kohle- zum Wärmebergbau“ oder den Beitrag von R. Bracke im MRG-Aprilheft, Kurzfassung abrufbar unter: https://mining-report.de/waermewende-durch-geothermie-vom-kohle-zum-waermebergbau/

(22) Siehe die im Februar 2020 erfolgte Mitteilung der britischen Regierung zur Genehmigung des ersten britischen Fernwärmekonzepts auf Grubenwasserbasis in Durham durch die Coal Authority: UK’s first district heating scheme using mine water energy now in development – GOV.UK (www.gov.uk); „updates“ und weitere Projekte dieser Art sind in der Testphase: www.cnbc.com/2021/05/13/former-coal-mines-could-be-converted-into-a-geothermal-energy-facility.html.

Author/Autor: Prof. Dr. Kai van de Loo, Forschungszentrum Nachbergbau (FZN), T­echnische Hochschule Georg Agricola (THGA), Bochum
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