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Wärmewende durch Geothermie: Vom Kohle- zum Wärmebergbau

Der Kohleausstieg bis 2038 stellt eine große Herausforderung für Regionen und Industrien dar. Technologien, Energieträger und Arbeitsmärkte ändern sich grundlegend. Doch es existieren auch Chancen für die Akteure vor Ort, die es auszuloten lohnt. Und sogar alte Bergwerke könnten zum Gelingen der Energiewende beitragen. Als Anlaufstellen für die notwendige anwendungsnahe Forschung hat der Bundestag die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG) in den Regionen installiert, die am stärksten vom Strukturwandel betroffen sind.

Author/Autor: Prof. Dr. Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG) und Professor an der Ruhr-Universität Bochum, Bochum

Einleitung

Klimawandel, Energiewende und Strukturwandel sind die aktuellen Schlagworte der gesellschaftlichen Diskussion. Systeme ändern sich selbst für Experten unerwartet schnell. Doch zumindest die Richtung ist klar: Wir wollen als Gesellschaft eine nachhaltige Ressourcennutzung etablieren und den nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen. Statt fossilen Energieträgern wollen wir nur noch erneuerbare Energien in allen Wirtschafts- und Alltagssektoren nutzen.

Dazu braucht es gesellschaftlichen Willen, individuelle Anpassungsfähigkeit und nicht zuletzt technologische Innovationen. Der schon sprichwörtliche deutsche Erfindergeist ist gefragt; in den vielen kleinen und mittleren Technologieunternehmen, die sich neue Märkte erschließen, ebenso wie bei den „Hidden Champions“, die ihre bewährten Kompetenzen in neue Anwendungen einbringen.

Ein wichtiger Entwicklungszweig wird es sein, die Wärme in die Energiewende zu integrieren. Deutschland verwendet über die Hälfte seiner Primärenergie als Wärme in Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft und Wohnen. Die Industrie benötigt den größten Teil dieser Wärme für Prozesstemperaturen von 100 bis zu 150 °C. Schaut man sich nach nachhaltigen Quellen dafür um, findet man sie tief im Untergrund. Je tiefer man bohrt, desto höhere Temperaturen trifft man an. Schon bei einem durchschnittlichen Temperaturanstieg von 30 Grad pro Kilometer – dem sogenannten globalen geothermischen Gradienten – kann man davon ausgehen, in 3 bis 5 km Tiefe Thermalwässer zu finden, welche die benötigte Temperaturspanne aufweisen. Mit Geothermie ließen sich also die meisten thermischen Konversionsverfahren betreiben: für Fernwärme, Chemieindustrie und Landwirtschaft, für Nahrungsmittelherstellung, Metall-, Zement- und Bauindustrie, für Holz- und Papierverarbeitung, um nur einige zu nennen.

München heizt geothermisch

Die oberflächennahe Geothermie hat ihre Praxistauglichkeit schon bewiesen und versorgt rechnerisch – nach den Zahlen des Bundesverbands Geothermie – über 650.000 Zwei-Personen-Haushalte mit Wärme. Bislang sind jedoch in Deutschland nur 37 Anlagen in Betrieb oder in Planung, die in Tiefen ab 400 m hinabreichen. In der Regel besteht eine tiefe geothermische Anlage aus zwei Bohrlöchern, einer Dublette: Das eine Bohrloch fördert heißes Wasser aus der Tiefe, über Wärmetauscher wird dem Wasser seine Wärme entzogen und durch das andere Bohrloch wird das abgekühlte Wasser wieder in die Tiefe gepumpt. Der Wasserkreislauf ist also geschlossen.

Vorreiter der Geothermie in Deutschland ist die Stadt München und ihr Umland, wo schon über ein Dutzend Anlagen in Betrieb und weitere in Planung sind. Bis 2040 wollen die Münchner ihren Bedarf an Fernwärme CO2-neutral decken und setzen dafür überwiegend auf Wärme aus tiefer Geothermie. Sie nutzen dazu eine Kalksteinformation, die sich von der Donau bis zu den Alpen erstreckt. Sie ist zerklüftet und somit für Wasser gut durchlässig. Während sie im Donautal noch an der Erdoberfläche liegt, hat die Plattentektonik, welche die Alpen nach oben geschoben hat, die Kalksteine in Gebirgsnähe immer weiter nach unten gedrückt. Das Regenwasser der Donau-Region kann über Jahrhunderte entlang der Kalksteinschicht in die Tiefe versickern. Bei München liegt die Schicht rd. 3.000 m tief und hat mit rd. 100 °C die passende Temperatur für das städtische Fernwärmenetz.

Wärme ist überall

Manche halten das Beispiel München für eine unnachahmbare Lösung. Denn lange Zeit durften sich nur wenige Regionen – etwa der Oberrheingraben und Teile Norddeutschlands – Hoffnung machen, ausreichend Wärme aus der Tiefe zu gewinnen. Was diese Gegenden aber eigentlich auszeichnet, ist nicht so sehr ihre Geologie, sondern auch die Tatsache, dass die langjährige Erdöl- und Erdgas-Exploration und -Förderung umfangreiche Daten über den Untergrund gesammelt haben. Diese Daten fehlen noch für die Reviere Rheinland, Ruhr, Mitteldeutschland und Lausitz, weil der „oberflächennahe“ Kohleabbau es nicht notwendig machte, die Tiefe detaillierter zu erkunden. Diese Wissenslücken versuchen die Geologinnen und Geologen nun zunehmend zu schließen.

Unter Nordrhein-Westfalen etwa befindet sich das wohl größte geothermische Reservoir in Europa: die Kalksteine aus den Erdzeitaltern des Devons und des Karbons, die heute in einigen Kilometern Tiefe liegen und bis mehrere 100 m mächtig sind (Bild 1).

Bild 1. Kalksteine aus den Erdzeitaltern des Karbons und des Devons bildeten sich in warmen und flachen Meeresteilen über Jahrmillionen in einer Mächtigkeit von vielen Hundert Metern. Wo sie aufgrund der Plattentektonik wieder an der Oberfläche liegen, wurden sie wie in diesem ehemaligen Steinbruch im Rheinland abgebaut und als Baustein genutzt. Tief im Untergrund und verkarstet bilden sie ein mögliches Reservoir für Thermalwasser. Foto: K. Schinarakis/Fraunhofer IEG

Sie entstanden vor rd. 300 bis 400 Millionen Jahren durch Riffwachstum in einem ausgestreckten, flachen und warmen Meer, welches die Gebiete bedeckte, die wir heute als Deutsche Tiefebene, Beneluxstaaten und Nordsee kennen. Heutzutage findet man ähnliche Bedingungen am Great Barrier Reef in Australien. Durch tektonische Bewegung und Beanspruchung sowie Verkarstung entstanden im Lauf der Zeit Klüfte und Hohlräume im Gestein, die oft sehr gut durchlässig für Wasser sind. An Orten wie Aachen oder dem belgischen Spa gelangt Thermalwasser so bis an die Oberfläche. Es weist hier Temperaturen von bis zu 72 °C auf und wurde schon in der Antike in Heilbädern und zur lokalen Gebäudebeheizung genutzt. Über Tiefbohrungen in Belgien und in den Niederlanden werden diese Gesteine heutzutage auch für weitere energetische Zwecke erschlossen und genutzt. Fernwärmenetze, Gewächshäuser, Industriebetriebe und Thermalbäder profitieren dort von klimafreundlicher Energie aus thermalwasserführenden Schichten. Der Kohleausstieg in Deutschland bietet die Chance, hier ebenfalls dieses nachhaltige Potential zu erschließen.

Vom Maßanzug zur Konfektionsware

Noch gibt es für die geologische Erschließung nur wenige Methoden „aus dem Katalog“, die für alle potentiellen Standorte gleichermaßen passen – dazu sind die Rahmenbedingungen zu unterschiedlich. Es ist noch Entwicklungsarbeit notwendig und die meisten Entwicklungspfade kreuzen sich nun an der neu geschaffenen Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG). Sie wurde gegründet, um die anwendungsnahe Forschung für die Energiewende voranzutreiben. Wesentliche Bestandteile der neuen Einrichtung sind die Integration des Internationalen Geothermiezentrums Bochum (GZB) und seiner langjährigen Expertise sowie der Aufbau weiterer Einrichtungsteile. Einer forscht in Cottbus zu zukünftigen Energieinfrastrukturen, einer in Jülich zur Sektorkopplung in Quartieren und Gebieten sowie ein weiterer in Aachen zu Georessourcen und Geospeichern. Die Standorte schlagen eine Brücke zwischen den vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen im Westen und Osten Deutschlands. Die Forschungsarbeit bei Fraunhofer IEG soll entlang der gesamten Prozesskette von der Idee bis zur Installation einer geothermischen Anlage laufen und – wenn es um die Konversion existierender Wärme-infrastrukturen geht – sogar darüber hinaus.

Schritt eins ist die regionale geologische Vorerkundung. Sie trägt alle vorhandenen Daten über den Untergrund zusammen, identifiziert vielversprechende geologische Formationen und entwirft geowissenschaftliche und technische Erschließungskonzepte. Daten und Erkenntnisse liefern zunächst geologische Aufschlüsse – also freiliegende Felsen oder Gesteinswände – Steinbrüche, Bergwerke, geophysikalischen Messungen oder Bohrungen in der Region. Mit der Papierfabrik Kabel Premium Pulp & Paper (KPPP) vorerkundet das Fraunhofer IEG derzeit den Untergrund in Hagen. Der Papierhersteller möchte den energieintensiven Prozessschritt der Papiertrocknung bei 100 bis 200 °C vom fossilen Energieträger Erdgas in den nächsten Jahren auf die nachhaltige Erdwärme umstellen. Am Firmenstandort von KPPP verläuft eine bekannte Störungszone durch das Betriebsgelände, die erhöhte Wasserdurchlässigkeiten verspricht. Außerdem werden, laut Geologischem Dienst Nordrhein-Westfalen (GD NRW), devonische Kalksteine in einer geschätzten Tiefe von ca. 3.200 bis 4.100 m erwartet, die analog zu den Gegebenheiten in München ein potentielles Wärmereservoir darstellen.

Die Ergebnisse der Vorerkundung werden durch aktuelle Messungen erweitert. Um in den Boden zu „blicken“, nutzt man seismische Methoden, also Schallwellen ähnlich denen bei der Ultraschalluntersuchung beim Arzt. Auf Lastwagen montierte Schwingungsgeneratoren bringen den Boden sacht zum Vibrieren und lassen langwellige Schallwellen durch die vielen Gesteinsschichten laufen. Je nach ihren physikalischen Eigenschaften reflektieren die geologischen Schichten die Wellen wieder nach oben, wo sie von einem Netz an empfindlichen Mikrophonen – sogenannten Geophonen – aufgezeichnet werden. Die Information über alle Wellenlaufzeiten wird am Computer zu einem „Ultraschallbild“ des Untergrunds zusammengesetzt. Zudem können erste flache Erkundungsbohrungen Proben der relevanten Schichten liefern, die im Labor untersucht werden (Bild 2).

Bild 2. Mit modernsten Geräten vom Mikroskop bis hin zum Röntgen-Computertomograf bestimmt das Fraunhofer IEG an Gesteinsproben im Labor die geophysikalischen Eigenschaften wie Dichte, Porosität, Permeabilität, Wärmeleitfähigkeit und seismische Wellengeschwindigkeiten, aber auch die physikalisch-chemische Wechselwirkung zwischen Gestein und Fluiden, zum Teil unter den simulierten Drücken und Temperaturen des Reservoirs. Foto: S. Kreklau/Fraunhofer IEG

Bild 3. BO.REX (Bochum Research and Exploration Drilling Rig) ist ein mobiles 60 t-Bohrsystem für bis zu 1.500 m Tiefe. Das Fraunhofer IEG setzt es in seinen Reallaboren TRUDI in Bochum und bald im Reallabor Rheinland ein. Foto: S. Kreklau/Fraunhofer IEG

Die Daten aus Vorerkundung, aus seismischen Untersuchungen und die Ergebnisse der Proben aus dem Gesteinslabor fließen in das geologische Modell des Standorts ein.

Anhand des Modells lässt sich sowohl die Wahrscheinlichkeit abschätzen, auf verwertbares Thermalwasser zu stoßen, als auch der Aufwand, den die eigentliche Bohrung verursacht. Der Bohraufwand kann je nach Standort sehr unterschiedlich sein. Lockerere Sedimente in der Norddeutschen Tiefebene lassen sich in der Regel schneller durchbohren als feste Gesteine in den deutschen Mittelgebirgen. Am Fraunhofer IEG bietet eine zertifizierte mobile 60 t-Doppelkopf-Bohranlage samt Spülungs- und Hochdruckpumpen sowie einer Spülungsaufbereitung die Möglichkeit, vollumfänglich und fachgerecht Bohrungen im Bereich der mitteltiefen Geothermie bis 1.500 m auszuführen und so anwendungsnah zu forschen (Bild 3). Die Kosten der Bohrung machen den größten Anteil am Investitionsbudget eines geothermischen Kraftwerks aus. Man geht von 1 bis 2 Mio. €/km Bohrloch aus. Forschung und Entwicklung, die Bohrtechniken günstiger machen, haben also eine große Chance, die Wirtschaftlichkeit von geothermischen Wärmekraftwerken zu erhöhen.

Bohren 2.0

Die Technik der Bohrung nutzt die bewährten Verfahren der Erdöl- und Erdgasindustrie. Es werden Rollenmeißel oder Diamantmeißel mit einem Gestänge vom Bohrturm in die Tiefe getrieben, eine Bohrspülung kühlt den Meißel und transportiert abgetragenes Gestein nach oben. Doch die wesentlichen Prozesse dieser in über 100 Jahren entwickelten Technik spielen sich in großen Tiefen bei hohen Drücken und Temperaturen ab und entziehen sich damit dem einfachen experimentellen Zugang. Deswegen hat das Fraunhofer IEG einen neuartigen Versuchsstand mit dem Namen match.BOGS entwickelt (Bild 4).

Bild 4. Neue Bohrtechniken und Prozesse im Reservoir unter den realen Bedingungen im Untergrund nimmt die Anlage match.BOGS im Labor des Fraunhofer IEG in den Fokus. Foto: S. Kreklau/Fraunhofer IEG

Er soll es ermöglichen, die Prozesse während des Bohrvorgangs, der Erschließung und der Nutzung der Reservoire unter realen physikalischen Bedingungen im Labor zu simulieren. Damit bildet er das Bindeglied zwischen Labor- und Feldskala.

Das zentrale Element der match.BOGS bildet ein großer Autoklav. Dieser beheizbare Druckbehälter ist in der Lage, Gesteinsproben mit einer Länge von 3 m und 25 cm Durchmesser aufzunehmen und diese dem Druck und den Temperaturen auszusetzen, die in Tiefen bis zu 5 km herrschen – also etwa 1.250 bar und 180 °C. Spezielle Leitungsdurchführungen in den Autoklav erlauben es, darin Bohrlochausrüstung wie etwa Pumpen zu testen. Ein Durchströmen des Autoklaven – auch mit korrosiven Flüssigkeiten – ist möglich. Entlang der Gesteinsprobe sind akustische, optische und thermische Sensoren angebracht, um die Vorgänge im Reservoir detailliert aufzeichnen zu können. Ein angeschlossener Bohr-antrieb macht es möglich, unter realen Bedingungen im Inneren der Kammer Bohrwerkzeuge an den Gesteinsblöcken zu erproben – bei einer Vorschubkraft von bis zu 400 kN und einem Drehmoment von bis zu 12 kNm. Die installierte Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik ermöglicht die Durchführung von vollautomatisierten Bohrvorgängen bei wechselnden Gesteins-eigenschaften.

Messungen mit dem Versuchsstand match.BOGS unter Realbedingungen können helfen, bewährte Bohrtechniken im Labor weiterzuentwickeln. So ist der Verschleiß des Bohrmeißels ein ständiges Forschungsthema für die Geothermie, weil sein Austausch beim Bohren tiefer Löcher viel Zeit verschlingt. Neben den Meißelschneiden sind die beweglichen Teile in Schlagbohrmeißeln anfällige Bauteile für Verschleiß, etwa die Ventile des hydraulischen Systems. Im EU-Projekt Geo-Drill entwickelt Fraunhofer IEG mit seinen Partnern ein rein flüssigkeitsbasiertes Ventilsystem ganz ohne bewegliche Teile und auf Basis des Coanda-Effekts, also der Neigung von Strömungen, sich an Oberflächen anzuschmiegen (Bild 5).

Bild 5. Im Rahmen des EU-Projekts Geo-Drill entwickeln Forscher des Fraunhofer IEG einen langlebigen Schlagbohrhammer, der statt verschleißanfälligen Ventilen einen Flüssigkeits-Oszillator ohne bewegliche Teile nutzt. Quelle: V. Wittig/Fraunhofer IEG

Der fluidische Schalter (Abbildung links in Bild 5) besteht aus einem Einlass (1) und zwei Auslässen (5), die mit der oberen bzw. unteren Kammer des Schlagkolbens verbunden sind. Das Fluid strömt aufgrund des Coanda-Effekts entlang der Innenfläche der Mischkammer (2) zu einer der beiden Auslassöffnungen. Die Rückkopplungsschleifen (3) bewirken, dass der Flüssigkeitsstrom zwischen Auslässen wechselt, sobald eine Kammer gefüllt ist. Eine gefüllte Kammer wird durch eine der Auslassöffnungen (4) entleert. Mit dem ersten Prototyp aus dem 3-D-Drucker (Abbildung rechts) werden die Simulationen aus dem Computer überprüft.

Daneben erprobt das Fraunhofer IEG auch vollkommen neue Bohrkonzepte. Um die zermahlende Wirkung des Meißels zu unterstützen, lässt sich das Gestein etwa mit elektrischem Strom, Plasma oder Laserstrahlen schwächen. Zur Steigerung der Flussraten der Thermalwässer kann es auch vorteilhaft sein, radial von der zentralen vertikalen Bohrung aus horizontal durch das Gestein zu bohren. Dazu könnten in Zukunft fokussierte Wasserstrahlen oder kleine turbinengetriebene Bohrmeißel genutzt werden, die derzeit in Labor- und Feldversuchen im Detail erforscht werden.

„Vor der Hacke ist es duster“

Auch wenn die wesentlichen Prozesse der Gesteinsbildung gut verstanden sind und die Vorerkundung valide Daten erhoben hat, können die Eigenschaften der geologischen Schichten von Ort zu Ort und auch innerhalb eines Bohrlochs stark variieren. Der Bohrverantwortliche hat daher ständig die Betriebsparameter seines Bohrequipments im Blick – etwa Meißelandruck, Spülwasserdruck und Drehmoment – und prüft anhand des gemahlenen Gesteins in der Bohrspülung den tatsächlichen und den geplanten Bohrverlauf. Zusätzlich zu seiner Erfahrung kann er sich auf ausgefeilte Sensoren stützen. Mit dem Bohrkopf werden oft standardmäßig Neigungsmesser, Kompass und Thermometer mitgeführt, es können Druck, Vibrationen, Spülraten, natürliche Radioaktivität und elektrischer Widerstand des Gesteins erfasst werden. Reagiert das Gestein unerwartet, kann der Bohrverantwortliche den Betrieb anpassen. Die neueste Forschung befasst sich auch mit der Anbindung von Glasfasern als Sensor. Eingekoppeltes Licht streut in der Faser und erlaubt Rückschlüsse auf etwa Temperatur, Vibration oder Druck im Umfeld der Glasfaser mit einer hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung. Diese Streusignale geben bei geeigneter Installation der Glasfaser auch Informationen über Bohrbetrieb, Zementation und Eigenschaften des geothermischen Reservoirs bei Erschließung und bei Betrieb.

Ein Rausch an Signalen

Parallel zu Messgeräten im Bohrloch werden auch auf der Oberfläche rund um die Bohrung Seismometer aufgestellt. Schon im Vorfeld von Bohrungen wird die natürliche Seismizität als Referenzsignal dokumentiert. Die empfindlichsten Seismometer spüren noch den Wellenschlag des Atlantischen Ozeans aus 500 km Entfernung auf, ganz zu schweigen vom Autoverkehr auf der benachbarten Landstraße. Rd. 1.500 Mal am Tag ereignen sich weltweit für den Menschen kaum spürbare Erdbeben unterhalb der Magnitude 3 auf der Richterskala. Während der Bohrung kann man mit den Seismometern dennoch den Meißelbetrieb und die Reaktion des umgebenden Gesteins mit den Seismometern sehr empfindlich nachvollziehen. Und auch der Betrieb einer geothermischen Anlage – also das Fördern und Verpressen von Thermalwasser – ist als charakteristisches Signal im Spektrum der seismischen Wellen auffindbar. Wenn man die charakteristische Form der vielfältigen (Stör-)Signale kennt, lässt sich die Spreu vom Weizen trennen. Hier gehen die aktuellen Forschungspfade dahin, die Daten aus möglichst vielen verschiedenen Sensoren zu verschränken, um die Beobachtungen engmaschiger und schneller in relevante Erkenntnisse für den Betrieb zu destillieren. Dazu werden zunehmend manuelle Auswertungsschritte automatisiert und Methoden des Maschinellen Lernens erprobt, um die steigende Komplexität auf die relevanten Erkenntnisse zu verengen und den Betriebsverantwortlichen in Echtzeit mit den besten Analysen zu versorgen.

Ist die Zieltiefe erreicht und der Meißel geborgen, wird das Bohrloch mit Messsonden im Detail erkundet und die Gesteine werden charakterisiert. Wo notwendig, wird das Bohrloch noch verrohrt oder seine Wände werden auszementiert. Ist schließlich die gefundene Menge und Temperatur der Thermalwässer bestimmt, wird das Betriebskonzept der geothermischen Anlage finalisiert. Hierbei gilt es zu beachten, dass Thermalwässer aufgrund ihrer langen Zeit im Untergrund voller gelöster Salze sind, die der Kraftwerkstechnik enorm zusetzen können. Auf der anderen Seite könnten die Salze in Zukunft auch ökonomisch interessant sein, etwa wenn es sich um die Salze seltener oder nachgefragter Elemente wie Lithium handelt.

Technik für den extremen Einsatz

Salze und Temperatur setzen den tief im Bohrloch sitzenden Pumpen stärker zu als dem Equipment in der Erdölindustrie. Und auch über Tage wird die Kraftwerkstechnik nicht immer auf Technologien anderer Branchen zurückgreifen können. Ein zentraler Baustein sind die Hochtemperatur-Wärmetauscher, die den salzigen Bohrloch-Wasserkreislauf und den oberflächlichen Kraftwerkskreislauf trennen. Je nach Anwendungsfall kann es auch sinnvoll sein, Hochtemperatur-Wärmepumpen – betrieben mit nachhaltigem Strom – zu nutzen, um die Temperaturniveaus der Thermalwässer zu erhöhen. Das hohe Temperaturniveau und die erforderliche Leistungsklasse erfordern meist enormes Know-how und maßgeschneiderte Lösungen von den Anlagenbauern.

An der Schnittstelle der EU-Projekte DGE-ROLLOUT und HEATSTORE konzipiert das Fraunhofer IEG zusammen mit Industriepartnern derzeit eine Wärmepumpe, die auch Wasser aus dem Untergrund mit „nur“ 60 °C auf ein Temperaturniveau von bis zu 120 °C bringen kann und so Wärme für ein lokales Fernwärmenetz bereitstellen soll. Als saisonaler Wärmespeicher soll der geflutete Stollen eines stillgelegten Steinkohlenbergwerks im Ruhrgebiet dienen. Die Kleinzeche auf dem Gelände des Fraunhofer IEG in Bochum wurde gerade für diesen Zweck in einer Tiefe von 60 m angebohrt. Parabolrinnen-Sonnenkollektoren eines geplanten solarthermischen Kraftwerks (Bild 6) sollen in Zukunft im Sommer Wärme in die mit Wasser vollgelaufene Zeche einspeisen und das Wasser auf zunächst 70 °Celsius erwärmen.

Bild 6. Sonnenkollektoren: Die alten Steinkohlenbergwerke des Ruhrgebiets könnten in Zukunft als Wärmespeicher für die Versorgung von Gewerbe und Haushalten dienen. Die mit Sonnenkollektoren im Sommer eingesammelte Wärme wird im Grubenwasser gespeichert und kann im Winter in die Wärmenetze eingespeist werden. Quelle: Fraunhofer IEG

Im Winter könnte das so vorgewärmte Grubenwasser dann einer Hochtemperatur-Wärmepumpe als Wärmereservoir dienen, um Wasser auf die Betriebstemperatur des lokalen Nahwärmenetzes von über 100 °C zu bringen.

Für den Bedarf entwickeln

Ein weiteres Beispiel ist die Zeche Dannenbaum. Sie wird derzeit im EU-Projekt D2Grids als Wärme- und Kältespeicher für den Industrie- und Wissenscampus „Mark 51°7“ erschlossen, welches auf dem ehemaligen Werksgelände des Autobauers Opel in Bochum entsteht. Auf knapp 70 ha könnten mittelfristig Gebäude mit rd. 6.000 Arbeitsplätzen beheizt und parallel Kühlleistung für Gewerbeanwendungen bereitgestellt werden. Geschätzt 200 ehemalige Steinkohlenbergwerke könnten in Deutschland direkt geothermisch oder als Wärmespeicher genutzt werden. Zur Erkundung und Erschließung ihrer Potentiale im Ruhrgebiet betreibt das Fraunhofer IEG das Untergrundlabor TRUDI (Bild 7).

Bild 7. Mit gutem Beispiel voran geht das Fraunhofer IEG an seinem Standort in Bochum, welches es mit flacher Geothermie erschlossen hat und so seinen Wärme- und Kältebedarf deckt. In Zukunft will es im Reallabor TRUDI auch das Potential für die tiefe Geothermie erkunden. Quelle: Fraunhofer IEG

Es liegt im bergrechtlichen 50 km2 großen Feld „Zukunftsenergie“ im Bochumer Süden. Das Labor verfügt über Testfelder zur Durchführung von bohrtechnischen Versuchen bis in Tiefen von über 5.000 m. Dort lassen sich z. B. Referenzbohrungen durchführen und Reservoirtechniken zur Erschließung dichter Gesteinsformationen anwenden.

Bild 8. Steinbrüche wie dieser im Rheinland legen viele geologische Schichten frei und helfen, den Aufbau des Untergrunds besser zu verstehen. Im Hintergrund erkennt man die Kühltürme des Braunkohlenkraftwerks Weisweiler. Foto: K. Schinarakis/Fraunhofer IEG

Analog dazu plant das Fraunhofer IEG auch im Rheinischen Revier, ein Reallabor mit Observatorium und Forschungskraftwerk für die Tiefengeothermie aufzubauen (Bild 8). Der Standort zeichnet sich durch die räumliche Überlappung des Aachener Fernwärmenetzes, welches bislang aus der Abwärme des Braunkohlenkraftwerks Weisweiler gespeist wurde, an der Oberfläche mit dem vermuteten Verlauf der Thermalwasser führenden Kalksteinsedimente im Untergrund aus. Das Observatorium soll der Überwachung von Reservoirprozessen dienen. Das Forschungskraftwerk soll anschließend an einem der ambitioniertesten Forschungsstandorte des Rheinischen Reviers technologische Innovationen mit neuen Wertschöpfungspotentialen im Energiesektor verknüpfen. Der Demonstrator soll einerseits hydrothermales Wasser fördern und dessen Wärme in das regionale Fernwärmenetz einspeisen. Insbesondere dient die Anlage jedoch als Entwicklungsumgebung und Nukleus der Tiefengeothermieindustrie sowie als Aus- und Weiterbildungszentrum für geothermale Technologien.

Schlussbemerkung

Das Fraunhofer IEG nimmt seinen gesellschaftlichen Auftrag an und entwickelt Ideen, Technologien und Strategien für die nächste Phase der Energiewende. Mit seinen Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft leistet es einen wesentlichen Beitrag dazu, die Märkte für die Anwendung von geothermischen Energiesystemen, der Speicherung von Energieträgern und Technologien zur Kopplung der Energiesektoren Wärme, Strom und Verkehr noch gezielter zu erschließen. Es arbeitet so daran mit, den Weg in eine nachhaltige Zukunft zu ebnen.

References/Quellenverzeichnis

References/Quellenverzeichnis

(1) IPCC, 2018: Global Warming of 1.5 °C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5 °C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty [V. Masson-Delmotte, P. Zhai, H. O. Pörtner, D. Roberts, J. Skea, P. R. Shukla, A. Pirani, W. Moufouma-Okia, C. Péan, R. Pidcock, S. Connors, J. B. R. Matthews, Y. Chen, X. Zhou, M. I. Gomis, E. Lonnoy, T. Maycock, M. Tignor, T. Waterfield (eds.)].

(2) Kohl, T.; Signorelli, S.; Engelhardt, I.; Berthoud, N. Andenmatten; Sellami, S.; Rybach, L. (2005): Development of a regional geothermal resource atlas. In: J. Geophys. Eng. 2 (4), pp 372 – 385. DOI: 10.1088/1742-2132/2/4/S11.

(3) Genter, A.; Evans, K.; Cuenot, N.; Fritsch, D.; Sanjuan, B. (2010): Contribution of the exploration of deep crystalline fractured reservoir of Soultz to the knowledge of enhanced geothermal systems (EGS). In: Comptes Rendus Geoscience 342 (7 – 8), pp 502 – 516. DOI: 10.1016/j.crte.2010.01.006.

(4) Schill, E.; Genter, A.; Cuenot, N.; Kohl, T. (2017): Hydraulic performance history at the Soultz EGS reservoirs from stimulation and long-term circulation tests. DOI: 10.5445/IR/1000071274.

(5) NEA, OECD (Ed.) (2013): Underground Research Laboratories (URL). Nuclear Energy Agency Organisation for Economic Co-Operation and Development (Nea No. 78122). Available online at http://www.oecd-nea.org/.

(6) Hoehn, E.; Eikenberg, J.; Fierz, T.; Drost, W.; Reichlmayr, E. (1998): The Grimsel Migration Experiment: field injection–withdrawal experiments in fractured rock with sorbing tracers. In: Journal of Contaminant Hydrology 34 (1-2), pp 85 – 106. DOI: 10.1016/S0169-7722(98)00083-7.

(7) Bilke, L.; Fischer, T.; Helbig, C.; Krawczyk, C.; Nagel, T.; Naumov, D. et al. (2014): TESSIN VISLab — laboratory for scientific visualization. In: Environ Earth Sci 72 (10), pp 3.881 – 3.899. DOI: 10.1007/s12665-014-3785-5.

Author/Autor: Prof. Dr. Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG) und Professor an der Ruhr-Universität Bochum, Bochum
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