Drohnenpilot Bodo Bernsdorf sieht die Welt mit anderen Augen. Wenn er seine Spezialkopter hoch über dem Gelände der Kokerei Zollverein in Essen aufsteigen lässt, begegnet er nicht nur den Schloten und Rohrleitungen auf Flughöhe – er findet auch Schadstellen, die mit dem bloßen Auge gar nicht zu erkennen sind (Bild 1). Die hochauflösenden Bilder der Drohne offenbaren, wie es dem Industriedenkmal wirklich geht und wo saniert werden muss. Das ist zumindest der theoretische Ansatz. Bernsdorf und sein Team vom Forschungszentrum Nachbergbau (FZN) der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA), Bochum, wollen Materialschäden aufspüren, ohne selbst Spuren zu hinterlassen. In der neuen Forschungskooperation „KoKo Zollverein“ (kurz für „Kopterflüge auf der Kokerei Zollverein“) entwickelt und testet das FZN diese neue Methodik. Dazu arbeiten die Experten eng mit der Stiftung Zollverein und dem Forschungsbereich Materialkunde des Deutschen Bergbau-Museums (DBM) Bochum zusammen. Auch Satellitenbilder und zerstörungsfreie Laser sollen bei der Fehlersuche zum Einsatz kommen. Letztlich geht es darum, erstmalig eine detaillierte Bausubstanzuntersuchung und Schadensaufnahme durchzuführen.
Mehr als 30 Jahre lang wurden auf der Kokerei Zollverein in Essen Koks, Gas und weitere Nebenprodukte erzeugt. Im Hochbetrieb galt sie als eine der modernsten Kokereien Europas. Heute ist die Anlage ein Architektur-Monument, das gemeinsam mit der benachbarten Zeche Zollverein von der UNESCO zum Welterbe erklärt wurde. „Neben der kulturellen Bespielung und der Entwicklung Zollvereins ist für uns der Erhalt, die Sicherung und der Schutz des UNESCO-Welterbes das oberste Gebot, sagt Prof. Hans-Peter Noll, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zollverein.„Zollverein ist ein Ort des Wandels und der Zukunft, deshalb passt es hervorragend, dass nun in diesem riesigen Reallabor eine Forschungskooperation modernste Technik erprobt wird, die bald auch anderen industriekulturellen Standorten neue Möglichkeiten eröffnen wird.“
„Das Welterbe Zollverein ist eine atemraubende Landmarke und ein wichtiger Zeitzeuge für industrielle Innovation in unserer Region“, sagt Prof. Tobias Rudolph, Projektleiter am FZN. „Jedes Mal, wenn wir mit unserem wissenschaftlichen Team vor Ort sind, erhalten wir ganz neue Perspektiven. Das erweitern wir nun mit einem Sensorblick von oben und innen.“ Nicht nur die Außenanlagen kommen nämlich unter die Lupe, auch die Innenräume sollen bewertet werden. Dabei nehmen die Drohnen sowohl optische, thermal- und multispektralauflösende Bilder auf, die Rückschlüsse auf die Materialzustände zulassen. Wo findet sich Rost? Wo zeigen sich Grünspan oder Abplatzungen? Wie ist der Gesamtzustand der Objekte? „All das können wir bestenfalls sichtbar machen und dann eine Empfehlung abgeben, wo der Sanierungsbedarf am dringendsten ist“, erklärt Bernsdorf.
Für ein ganzheitliches Bild fusionieren die Fachleute des FZN die Drohnendaten mit Satellitenbildern des europäischen Copernicus-Programms, die wichtige Informationen über die Tagesoberfläche liefern. Zusätzlich kombinieren sie die Informationen aus der Luft mit Messungen vor Ort, bei denen ein Laserscanner die Einzelobjekte Zentimeter für Zentimeter abtastet. „Erstmals führen wir so das Know-how aus dem Bereich Geomonitoring und den Materialwissenschaften an einem kulturhistorischen Ort zusammen. Die Idee, Materialschäden dadurch zu erkennen, dass verschiedene Drohnengetragene Sensoren gemeinsam im Verbund interpretiert und in Korrelation gesetzt werden, ist dabei ein völlig neuer Ansatz im Bereich des Denkmalschutzes“, erklärt Prof. Rudolph begeistert. Bei erfolgreichem Einsatz soll die Methode auch auf weitere Standorte der Industriekultur übertragen werden. (THGA/Si.)